Ich war dort, als sie den 3-jährigen Aylan tot vom Sand geklaubt haben

von Niki Glattauer

über den Umgang mit dem Flüchtlingsthema

... und da entblödet sich Ihr Lehrer Glattauer nicht, angesichts einer Flüchtlingsschwemme, wie sie Österreich noch nie erlebt hat, über rinnende Seifenspender zu fabulieren. Da sieht man, welch geistigen Zuschnitts unsere Lehrer sind.“ (aus dem Mail des Lesers Johann Fraisl ... nein, eben nicht an mich, sondern an meine Chefredaktion).

Danke, Herr Fraisl, ganz lieb! Aber ziemlich ... hm. Oder glauben Sie, den Sportredakteur W. W. z. B. lasse die „Flüchtlingsschwemme“ kalt, nur weil er sich berufsbedingt über Benni Raich verbreitet?

Oder die Kolumnistin K., nur weil sie gern über das Anmachen fabuliert (alte Männer, junge Männer, Bäume, Salate, so was)? Und der Buch- und Fernsehkritiker P. ist definitiv alles andere als geringen geistigen Zuschnitts (ich kannte ihn früher ein wenig), trotzdem schreibt er über Staubzucker im Erdäpfelsalat, während am Westbahnhof ...

Aber wenn Sie’s wissen wollen: Ich war dort, als sie den 3-jährigen Aylan im roten Hemd und blauer Hose in Bodrum tot vom Sand geklaubt haben. Ich saß am Hauptplatz in Bodrum im „Corner Pub“ und wurde, während sie ein paar Hundert Meter entfernt auch noch Aylans 5-jährigen Bruder Galip in den Leichensack steckten, Zeuge dessen, was Sie, Herr Fraisl, „Flüchtlingsschwemme“ nennen. Die halbe Nacht lang sah ich Männer und Frauen zu den Schlauchbooten Richtung Europa unterwegs, manchmal so eilig, dass sie ihre Kinder mehr schliffen als zogen, schwarze Müllsäcke in der Hand, darin die orangen Schwimmwesten, die in Bodrum jetzt plötzlich 100 Lira kosten statt wie sonst 30. Ich habe, da müssen sie gerade Aylans und Galips Mutter Rehan tot aus dem Wasser gezogen haben, mit einem Dutzend Flüchtlingen geredet, einer davon ein Arzt aus Damaskus. „Europa gut?“, hat er gefragt und gelächelt.

Ich habe mir, während sie dem Friseur Abdullah Kurdi aus Kobane beibrachten, dass er eben seine ganze Familie verloren hat, vorgenommen, sie nie wieder leichtfertig nur „Flüchtlinge“ zu nennen, denn Flüchtling ist kein Name und es ist kein Beruf. Und wer das Wort „Flüchtlingsschwemme“ in den Mund nimmt, sollte Strafe dafür zahlen müssen. Für Entblödung, Herr Fraisl.

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