Schleichweg

Schleichweg
Im Verkehrsnetz.Er wähnt sich als Meister der Umfahrung, sie ortet lediglich Ungeduld.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Mittlerweile kenne ich das Datum so gut, als würde an dem Tag das Champions-League-Finale stattfinden

von Gabriele Kuhn

über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Es gab in meinem Leben eine Dame, die galt als berüchtigte Sprüchesammlerin. In ihrer eher kleinen Wohnung häufte sich unfassbarer Schrott: Tischdecken mit aufgestickten Sprüchen, Häferln und Holzbretterln mit allerlei Scherzen – etwa: „Sei nett zu mir – vielleicht bin ich mal deine Nachtschwester“. In ihrem Badezimmer prangte auf Klositz-Augenhöhe ein lindgrünes Schild mit folgendem Satz: „ Ungeduld ist ein schnelles Pferd, aber ein schlechter Reiter.“ Weshalb mir das jetzt einfällt, hat einen Grund. Der wacht jeden Morgen neben mir auf und hat kleine, aber feine Neurosen. Etwa die „Ich-umfahre-jeden-Stau“-Neurose.

Hartes Pflaster

Dabei handelt es sich um zwanghaftes „Ausweichen-Müssen“, sobald mehr als drei Autos vor ihm zu stehen kommen. Das artet mitunter aus – ein Beispiel: der Weg aus dem Westen Wiens in den Süden der Stadt. Der ist für Ungeduldige wie den Mann nebenan ein hartes Pflaster – weil stauanfällig. Deshalb wählt mein Zwängler stets eine Ausweichstrecke – raffiniert ersonnen, mithilfe des ihm innewohnenden Hufi-Navigationssystems. So kann’s dann schon einmal passieren, dass wir den Süden von Wien, aus dem Westen kommend, über die Ostflanke nehmen.Und wir auf der Fahrt vom westlichen Wienerwald nach Mödling kurz einmal am Flughafen vorbeihuschen, um einem Airbus A 320 beim Landen zuzuwinken. Zugegeben, so extrem ist das eher selten – aber mir ist vom vielen jetzt links, dann rechts, dann halblinks, nur um einen 100-Meter-Stau zu umfahren, schon speiübel geworden. Solche Unpässlichkeiten quittiert er gerne mit einem Spruch , den er vermutlich auf irgendeinem Klo gesehen hat: Wenn du in Eile bist, mache einen Umweg. So betrachtet ist er Großmeister der Umwegrentabilität.

Twitter: @GabrieleKuhn

facebook.com/GabrieleKuhn60

Er

Ich darf in aller Bescheidenheit durchaus als Großmeister der Schleichweg-Akrobatik betrachtet werden. Mitunter bin ich sogar richtig beeindruckt von mir selbst über meine kreative Findigkeit im Straßennetz. Wo andere nervös „Scotty, beam me up“ in ihr Navi tippen, beginnt meine Umleitungskompetenz erst so richtig zu erwachen. Meiner Frau ist diese Attitüde natürlich völlig fremd. Was an jenem Orientierungssinn liegt, den sie so absolut nicht besitzt. Sie würde auf der ihr bekannten und tausendfach befahrenen Straße von A nach B selbst dann noch beharrlich darauf warten, dass es da vorne endlich weitergeht, wenn ihr die Arbeiter längst allesamt persönlich im Chor ein Ständchen bringen, dass diese Route wegen einer Baustelle bis September gesperrt sei. Weil: Ausweich- streckenrecherche ist definitiv nicht ihre Stärke.

Pionierarbeit

Umso mehr scheint sie mir mein Talent zum Seitengasserl-Gneißen zu neiden. Weshalb sie keine Gelegenheit auslässt, meinen spontanen Spürsinn in das Reich der Neurose zu verbannen. Mehr noch, wenn passiert, was passieren kann. Dass nämlich mein großräumiger Spurwechsel in einem Superstau oder gar in einer Sackgasse endet. Dann triumphiert sie, und zwar am liebsten wortlos – man kann nämlich „na, eh klar“ auch verdammt laut denken. Ich hingegen muss ihr wieder und wieder erklären, wie Pionierarbeit funktioniert. Und dass nur ein konsequent angewandtes Trial-and-Error-System Garant dafür sein kann, später den ersehnten Gezuckelvermeidungstriumph feiern zu können. Sie aber findet, während sie im Unterschied zu mir trotz Verkehrs- hölle entspannt im Smartphone surfen darf, „das Theater wegen ein paar lächerlichen Minuten“ kindisch. „Dann fahr’ doch du“, sage ich. Und schon lachen wir beide herzlich. michael.hufnagltwitter: @MHufnagl

Twitter: @MHufnagl

www.michael-hufnagl.com

Kommentare