Ein Herz im Schnee

Ein Herz im Schnee
Skiurlaub. Sie lag krank im Bett, er eroberte fidel die Piste. Eine Woche mit Konfliktpotenzial.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Michi schnittig, Michi jubelnd, Michi lustig, tralalala

von Gabriele Kuhn

über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Nein, ich habe mir nicht leidgetan. Ich, die Jeanne d’Arc der Schnupfenden, ging erhobener Rotznase durch die Hotellobby und verabschiedete meine Mitreisenden in einen Tag auf perfekt präparierten Pulverschneehängen vor blitzblauem Himmel. Das Bergpanorama hätte sogar Luis Trenker Tränen der Rührung in die Augen getrieben. Mir nicht, da ich ab Tag 2 des Projekts „Familienskiurlaub mit Freunden“ völlig gaga darniederlag, weil: Viren. Sehr viele Viren. Zu viele Viren. Ich habe zum bösen Vervirspiel gelächelt und keinem der Mitreisenden nur eine einzige Sekunde das Gefühl vermittelt, ich sei neidisch, traurig oder grantig.

Extrem ungeil

Das kam dem Mann nebenan sehr entgegen. Der hat’s nämlich nicht so gerne, der findet das Korsett eines schlechten Gewissens extrem ungeil. Er, der mitunter gerne nach dem Motto Ich will Spaß, ich geb’ Gas lebt. Er, der genießt, aber (leider) nicht schweigt. Also abends an meine Hotel-Liegestatt tritt, um mir nach einem Na, alles gut? ausufernd zu schildern, wie lässig die Schattberg Nord heute war und der Schnee so perfekt wie noch nie. Oder wie lustig es war – mit all den anderen, die eine Mords-Gaudi beim kollektiven Kaiserschmarrn-Frossi auf der Sonnenterrasse hatten. Zum Nieder!knien! All das garniert mit Fotos meines Carving Charlies auf Facebook. Michi schnittig, Michi jubelnd, Michi lustig, tralalala. Umso überraschender dann sein Posting am nächsten Tag: Ein Herz im Schnee, darin ein „G“ – und dieser Text: So schön kann ein Skitag niemals sein, dass er nicht mit Gabriele Kuhn noch viel schöner wäre. Schatz, du fehlst! Schön. Blöd nur, dass mir in der Sekunde eine Skirulaubs-Szene aus jungen Jahren ins Hirn schoss: Junge Burschen, die den Namen ihrer Freundin in den Schnee pinkelten.

Twitter: @GabrieleKuhn, facebook.com/GabrieleKuhn60

Er

Stimmt. Meine Frau neigt in Extremsituationen zu vielem, aber kaum zu Selbstmitleid. Viel eher ist sie – von Tiefsinnigkeit beseelt – permanent dabei, etwas zu analysieren, wo nichts zu analysieren ist. Heißt: Sie gibt sich im seltenen Falle eines Infekts nie mit der banalen Ang’steckt-Pech-Ursache zufrieden, sondern tritt geistig in den Dialog mit ihrem Körper, dem Schicksal und dem Universum. Und sie erwartet sich von dieser Art Séance die Klärung, warum sie krank wurde. Warum sie jetzt und hier krank wurde. Warum außer ihr niemand krank wurde. Was ihr die Krankheit sagen will. Was nicht. Und überhaupt.

Zerrissenheit

Daran habe ich mich freilich gewöhnt. Und längst aufgehört, den Kuhn’schen Zugang, dass jede körperliche Prüfung über uns etwas (vermutlich sehr Bedeutendes) sagen will, infrage zu stellen. Ergo habe ich mir ihre Erkenntnisse, die sie über den Tag hinweg gewinnt (und das sind eine Menge), bei jeder Gelegenheit angehört. Blöd ist es nur, wenn so eine Konstellation just während der alljährlichen Skiwoche entsteht. Ich stand also vor der Alternative, entweder an ihrem Bett zu knien und bei einem Kännchen Bio-Tee den neuesten Ausführungen über die Reise ins Gaby-Ich zu lauschen (inkl. Husten, Niesen). Oder bei strahlendem Sonnenschein und perfekten Schneebedingungen den Pistengott zu geben. Ganz ohne sie. Natürlich hat sie mir diese Entscheidung abgenommen und mich gen Berg entlassen. Aber als Ausdruck meiner gewissensmäßigen Zerrissenheit habe ich ein Herz mit G in den Schnee gezeichnet und es ihr via Facebook als Foto-Botschaft übermittelt. Ein – wie ich finde – besonders romantischer Akt. Statt des üblichen „Bitte, wie lange kann man brauchen, um zwei Brett’ln anzuschnallen?“ Vielleicht wird ihr das Universum das einmal in aller Ruhe erklären. michael.hufnagltwitter: @MHufnagl, www.michael-hufnagl.com

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