Die neue Unschärfe

Die neue Unschärfe
Einblick. Wenn er plötzlich nicht mehr so gut sieht, wird das auch für sie zu einer Prüfung.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Dieser mentale Ausflug war jedenfalls lustiger als die Realität.

von Gabriele Kuhn

über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Seit neuneinhalb Monaten, zwei Tagen, vier Stunden und drei Minuten murmelt der Mann wiederholt zu sich selbst: Heast! Warum kann ich das nicht lesen? Ich glaub’, ich brauche eine Brille! Das Murmeln ist die Summe aus Genieren und Eitelkeit – multipliziert mit seiner Erkenntnis, dass auch Helden altern. Bitter. Weil: Das darf man weder laut denken noch laut sagen. Wo er doch lange Zeit dachte, er ginge mit seinen Adleraugen in die Hall of Fame der weltweit legendärsten Feld- und Wiesenstecher ein. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass ich die lange Geschichte Wie man mir beim Bundesheer gesagt hat, ich könnte mit meiner sensationellen Sehschärfe glatt Pilot werden sehr oft gehört habe. So oft, dass ich manchmal davon träume, ich wäre diese eine Tussi aus Top Gun.

Das Geständnis

Dann war es so weit: Lieutenant „Ich sehe so scharf“ musste laut gestehen, dass er in der Phase der Altersweitsichtigkeit gelandet war. Bei einem Glas Wein gestand er mir traurigen Blicks, dass er jetzt wohl eine Brille brauche. Bevor er mir die fade Adler-&-Piloten-Story erneut aufs Aug drücken würde, unterbrach ich ihn und kalmierte: „Alles gut, Baby. Männer mit Brille sind doch sehr erotisch.“ Mit dieser Ermunterung schien ich das Spindi-Prinzip in ihm wachgeküsst zu haben – er brach völlig entfesselt zum Optiker seines Vertrauens auf. Davor konnte ich ihn knapp davon abhalten, einen langatmigen Facebook-Eintrag mit dem Titel „Mut zur Brille“ zu verfassen. Kaum hatte er die Wohnung verlassen, atmete ich durch, um mir eine Pause zu gönnen. Aber nicht mit dem Mann nebenan! Denn kaum war er im Brillenfachgeschäft gelandet, erreichten mich sekündlich WhatsApp-Bilder mit Fragen wie Fesch, oder was meinst? bzw. Was sagst zu der? Anfangs äußerte ich mich rege – dass ich bei Brille Nr. 22 entschlummert bin, ist Gegenstand bilateraler Ehegespräche.

Twitter: @GabrieleKuhn

Er

Also erst einmal sei erwähnt, dass es auch Platz für persönliche Wehmut geben muss. Ohne dass mir, wie es modern ist, ein Vertreter der Deine-Sorgen-möcht’-ich-haben-Lobby ein Augenrollen schenkt. In diesem Sinne rekapituliere ich, dass es erst das Knie war, das kaputt ging. Dann das andere Knie. Dem folgte bald die Erkenntnis, dass die Haare nicht mehr das gewährleisten können, was die Menschen im allgemeinen Frisur nennen. Und natürlich begannen längst auch Genick und Rücken zu schmerzen. Alles untrügliche Indizien dafür, mir allmählich einzugestehen, dass ich mich in der Rolle des Helden heimlich und leise von der großen Bühne verabschieden sollte. Aber die Augen!!! Herrje, man nannte mich den Luchs vom Wienerwald (also ich mich). Und plötzlich: sehkrank.

Die Fassung

Und als wäre diese jähe Veränderung nicht traurig genug, war mir selbstverständlich wieder einmal die spezielle Mimik meiner Frau gewiss, die besagt: Meine Güte, was ihr Männer euch ständig leidtun könnt. Um danach unaufgefordert zum 173. Mal die eigene Leidensgeschichte zu erzählen, mit der originellen Botschaft, dass sie viel mehr zu ertragen hat, nur eben nie darüber redet. So oder so stand ich vor einigen Tagen im Fachgeschäft. Nicht ahnend, dass ich aus einem Angebot von rund 120.000 Brillenfassungen wählen musste. Sehr wohl wissend aber, dass ein falscher Griff Reaktionen wie „Na geh’, du schaust aus wie ein Existenzialisten-Uhu“ zur Folge hätte. Daher gewährte ich gnä Frau Mitspracherecht. Und ihre Kommentare („hm“, „tststs“ oder „eh“) waren dann auch extrem hilfreich. Man könnte sagen: Marke Augenstern.

Übrigens: Wir haben die „Szenen einer Redaktionsehe“ für die Bühne neu arrangiert. Zu sehen ist die Inszenierung am 9. 10. und 10. 11. im Wiener Rabenhof, www.rabenhoftheater.com.

Twitter:@MHufnagl

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