Ausflug ins Jammertal

Romantisch. Oder?
Gedanken zum Würfeln auf dem Spielbrett des Ehelebens.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Zumal sie Selbstmitleid eben anders zur Schau stellt. Viel subtiler nämlich.

von Gabriele Kuhn

über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Das Leben an der Seite des Mannes nebenan ist ein kleines Abenteuer. Mit Betonung auf klein. Es passieren ihm Dinge, die sonst niemandem passieren. So betrachtet ist er ein Ausnahmemann (aber wirklich nur so betrachtet). Da wäre etwa die Sache mit dem Strafmandat. Eines Tages lag eine Strafverfügung im Postkastl, beim partnerschaftlichen Öffnen der Briefe schielte ich auf das Schriftstück. Dem entnahm ich, dass er an einem Dienstag im Jänner um 9 Uhr Früh in einem Halteverbot gestanden sei. Und zwar weit weg von daheim, nämlich in der Wiener Straße im idyllischen Brunn am Gebirge. Die Kosten für die vermeintliche Verkehrssünde? 38 €. Ich scannte in der Sekunde meinen inneren Kalender und zischte: "Du hast doch gesagt, du warst beim Frisör? Wo warst du wirklich?" Rasch googelte ich die Adresse auf Laufhäuser, er schrie auf: Glaubst echt, dass ich mir die Glatze im Puff machen hab lassen? Nach mehrstündiger und minutengenauer Rekonstruktion der Ereignisse wurde klar: Er war’s doch net. Der Rest ist nun ein laufendes Verfahren.

Pechvogel

Dieses Beispiel ist exemplarisch für (s)eine Erlebens-Welt, die immer irgendwie komisch ist. Er gibt einen eingeschriebenen Brief auf, um ihn anderntags im eigenen Postkasten wiederzufinden. Eh klar: Der Briefträger hat Absender mit Adresse verwechselt. Er kauft beim Fleischhauer 5 Kalbsschnitzel. Um abends, eh klar, beim Kochen draufzukommen: Es sind drei, und leider vom Schwein. Er jätet Unkraut im Garten. Und hat zwei Stunden später einen Nesselausschlag auf der Zunge. Er isst zwei Knödel zu viel. Und bekommt von mir einen Thermophor, der im Fall der später diagnostizierten Gallenkolik kontraindiziert ist. Im Übrigen bin ich der Meinung: Der Mann sollte ein Buch schreiben. Titel: Die abenteuerliche Reise zum Mittelpunkt des Michi.

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Er

Ganz abgesehen davon, dass der Satz "Das passiert immer nur mir" Allgemeingut ist und dennoch bei nie!man!dem! so berechtigt erscheint wie bei mir, sollte schon klar sein: Selbstmitleid ist garantiert die am stärksten ausgeprägte Mitgefühlsemotion.

Es kommt lediglich auf das Mascherl an. In diesem Sinne kann ich bestätigen, dass meine Frau wesentlich gelassener als ich wäre, würde sie hinter jenem Mann warten, der an der Supermarktkasse "Ah, die Bananen muss man auch auf die Waage legen?" sagt. Und sie würde kaum in hysterisches Gelächter verfallen, weil sie im Windschatten einer Straßenbahn dahinzuckelt, die das Schild Fahrschule aufgezogen hat (Bim allein reicht wohl noch nicht – kein Schmäh, ist mir passiert, Beweisfoto existiert). So verwundert es bei allen diesen Situationen, die mich wütend machen, auch kaum, dass ihr die Geschichte mit dem Ort, an dem ich (und zwar in meinem gesamten Leben) nie war, seltsam vorkommt.

Subtile Botschaft

Zumal sie Selbstmitleid eben anders zur Schau stellt. Viel subtiler nämlich. Sie widmet sich einer Tätigkeit (z. B. dem Reinigen der Duschkabine), um dann in fein dosierten zeitlichen Abständen en passant zu erwähnen (bitte ja nicht mit meiner lächerlichen Jammerei verwechseln), dass es ein Wahnsinn ist, wie viele Ablagerungen dort im Laufe der Wochen entstehen. Und wie schwer man da dazukommt. Und wie heiß einem werden kann, wenn man das ordentlich putzt. Und. Und. Und. Die Botschaft ist klar: Nein, ich tu’ mir nicht im Geringsten leid, überhaupt gar nicht, i wo, keine Spur. Aber jetzt ehrlich, zum Vergleich, deine Sorgen, Mann, möchte ich einmal haben. Daher antworte ich auf Sätze wie "Sogar der Duschkopf selbst ist ganz verkalkt" gerne justament entspannt: "Stimmt. Irgendwie witzig."

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