Schweigeviertelstunde

Birgit Braunrath

Birgit Braunrath

Heute um 11.45 wird in Nizza geschwiegen. Dann soll die Stadt wieder den Regelbetrieb aufnehmen

von Birgit Braunrath

über die Wirkung von Schweigeminuten

Die Kulturtechnik des Schweigens ist vom Aussterben bedroht. Warum? Weil sie deutlich weniger Image-Punkte bringt, als Heißluft in die Atmosphäre zu palavern, Ego-Befindlichkeiten mit überhöhter Lautstärke rauszuposten oder aufkommende Stille mit leeren Worthülsen einzufangen. Nur in Form der Schweigeminute hat Stille noch ihre Berechtigung.

Heute wird in Nizza geschwiegen: eine Minute Trauer-Konzentrat von 11.45 bis 11.46 Uhr. Dann sollen Stadt und Bewohner wieder den Regelbetrieb aufnehmen.

Offiziell wird meist „für die Opfer“ geschwiegen. Doch in Wahrheit helfen Schweigeminuten den Ausführenden; denen, die für Sekunden aus allem ausbrechen, ihre Alltagsverrichtungen einstellen, ihren epidemischen Redeschwall eindämmen und bemerken, was im Inneren los ist, wenn die Schleusen nach außen auf Pause stehen.

Nach all dem Sonderdiskussionsbedarf der vergangenen Wochen täte jedem von uns die eine oder andere Schweigeviertelstunde gut. Aber wer traut sich anzufangen, ohne als Sonderling dazustehen? Wo lernt man das? Und wie hält man es aus?

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