Gedenkfähigkeit

Birgit Braunrath

Birgit Braunrath

Gedenken findet nicht im Kopf, sondern im Herzen statt.

von Birgit Braunrath

über Gedenkfähigkeit

Gedenken klingt überall anders: Kirchenglocken, Salutschüsse oder Beethovens Neunte. Gedenken heißt überall anders: "Fest der Freude", "Fest der Freiheit", "Fest des Sieges". – In vielen Städten wurde gestern des Kriegsendes vor 70 Jahren gedacht. Aber kann es überhaupt ein kollektives Gedenken an eine Zeit geben, zu der die meisten von uns noch nicht am Leben waren? Es kann.

Der Mensch ist sozusagen gedenkfähig. Er verfügt über die Möglichkeit, seine Geschichte umfassend zu reflektieren und – im besten Fall – daraus zu lernen. Dazu benutzt er seinen Kopf. Dort speichert er Daten und Fakten. Doch die Erwähnung des Datums der Kapitulation allein ist noch kein Gedenken. Das ist Erinnern. Gedenken findet nicht im Kopf, sondern im Herzen statt. Dort, wo die Zahl der Toten zu Menschen wird, die Familien hatten, die Träume hatten. Dort, wo die Opferstatistik Namen hat, Gesichter und Lebensläufe.

Und wie haben Sie den 8. Mai begangen? Im Kopf? Im Herzen? Gar nicht? Es ist auch am 9. Mai nicht zu spät, um dankbar zu sein für Frieden und Wohlstand.

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