¡Adiós!

Gedanken und Analysen eines Aficionados (Achtung: Langer Text eines Fußballnarren)
Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Ein unerschütterliches Credo: Fußball, das sind wir!

von Michael Hufnagl

über Spanien und das runde Leder

1 Ich habe einst (1991/92) ein Jahr in Spanien gelebt. Nun, sagen wir besser, in Barcelona. Wer die Geschichte kennt, weiß, warum diese Differenzierung erwähnenswert ist.

Aber unabhängig davon habe ich mich für alle Zeit in das Land verliebt. Ein wenig mehr in Katalonien, ja, klar, aber ich sehe, höre und fühle auch gerne die Basken, die Galizier, oder die Andalusier.

Spanien weckt in mir gleichermaßen den Romantiker wie den Abenteurer, und es hat mir – um endlich zur Sache zu kommen – auch diese wunderbare Leidenschaft zum Fußball offenbart. Ich, der von Kleinkindesbeinen an mein Herz an diesen Sport verloren hat, fühlte mich plötzlich verstanden, an der Hand genommen, verführt.

Ich war dem österreichischen Kleingarten-Mief entflohen, mitten in die große, duftende Welt der Fußballstars. In Spanien rümpft niemand die Nase, wenn es um Bekenntnisse zum Sport im allgemeinen und zum Fußball im Speziellen geht. In Spanien ist das Leben mit der Wuchtel gesellschaftliche Pflicht. Hingabe und Emotion Ehrensache.

Aber: Während vor allem der FC Barcelona und Real Madrid immerzu in der ersten Liga Europas geigten, versagte das Orchester der Nationalmannschaft in dramatischer Regelmäßigkeit. Von Turnier zu Turnier konnte das stolze Spanien seinen Ansprüchen nicht gerecht werden.

Bis Pep Guardiola die Bühne betrat.

Pep und das "Tiqui Taqua"

2 Ein junger Trainer veränderte die Fußballwelt. Guardiola ist ein Denker, ein Bastler, ein Arbeiter. Und er erschuf für seinen FC Barcelona das ultimative System des Ballbesitz-Fußballs. Denn, einfaches Credo: Wer die Kugel hat, kann kein Tor kassieren. Und statt dessen geduldig Chancen kreieren.

Aber diese Idee erforderte intelligente, laufbereite und vor allem technisch perfekt ausgebildete Fußballer. Die hatte er in Barcelona. Es gab mitunter Spiele mit 80 Prozent Ballbesitz. Zermürbend für die Gegner, die sich müde liefen und im Defensivverbund mehr und mehr durcheinandergewirbelt wurden. Es wurde rotiert, im Dreieck verschoben, gegengepresst. Pässe in die Tiefe hier, Wechselpässe dort, Pässe, Pässe, Pässe überall. Die totale Machtdemonstration auf engstem Raum.

Die Medien erfanden dafür das mittlerweile berühmte Wort "Tiqui Taqua". Einen Begriff, den Pep Guardiola im übrigen immer ablehnte. Da er aus seiner Sicht für Überheblichkeit und Arroganz steht. Er fand Tiqui Taqua nicht nur respektlos den Konkurrenten gegenüber, sondern auch als Abwertung der eigenen Qualität. Argument: Das, was so spielerisch leicht aussieht und den Erfolg garantiert, ist keine lässige Laune, sondern ausschließlich das Produkt bedingungslos harter Arbeit.3 Von dieser Revolution profitierte klarerweise auch das Nationalteam. Mehr und mehr entwickelte sich Spanien, das mehrheitlich aus Spielern des FC Barcelona bestand, und das den Ballbesitz-Furor längst verinnerlicht hatte, zur Maßeinheit für modernen Fußball. Zur unbesiegbaren Furie. Zum unumstrittenen König des Weltfußballs.

Ein paar Zahlen: Seit 2008 hat der spanische Fußball drei Champions-League-Titel, drei Europa-League-Titel, zwei Europameister-Titel und einen Weltmeister-Titel errungen. Neun Pokale! Zum Vergleich: England holte drei Pokale. Italien und Deutschland, das sich seit dem Sommermärchen 2006 komischerweise beharrlich auf Augenhöhe wähnt, je einen Pokal.

Das spanische Nationalteam holte sich in ein paar Jahren alles das, wozu es Jahrzehnte lang nicht imstande war. Und im Königreich machte sich ein unerschütterliche Credo breit: Fußball, das sind wir!

Ende einer Ära

4 Aber nichts währt ewig, jede Ära endet irgendwann. Mitunter auch schmerzlich. Gründe dafür gibt es viele. Die vier wichtigsten aus meiner Sicht.a) Gegenmittel Jede Dominanz fordert auch die Gegner heraus, Mittel und Wege zu entwickeln, wie das Erfolgssystem zu zerstören ist. In diesem Fall hat es ohnehin erstaunlich lange gedauert, ehe die Strategie von Pressing und blitzschnellem Umschaltspiel als neue Leitkultur den (spanischen) Automatismus außer Kraft setzte. Aber am Ende schreiben heute alle Medien vom Tod des Tiqui Taqua.b) Motivation Man nehme einen Spieler des FC Barcelona. Wie Xavi. Der hat allein in den vergangenen sechs Jahren vier Meisterschaften gewonnen. Und zwei Landespokale. Und vier Supercups. Und zwei Champions-League-Titel. Und zwei europäische Supercups. Und zwei Weltpokale. Und zwei Europameisterschaften. Und eine Weltmeisterschaft. Triumphe, Triumphe, Triumphe. Nebenher haben in Barcelona viele Spieler geheiratet, es kamen Kinder auf die Welt. Steuerskandale trafen den Verein, es kam zum Rücktritt des Präsidenten. Und, nicht vergessen: Ein wichtiger, beliebter Mitspieler (Abidal) erkrankte an Krebs, ein junger, verehrter Trainer (Villanova) starb erst kürzlich daran.

Das alles mag in Summe ganz besondere Spuren hinterlassen und dazu führen, dass einer wie Xavi (oder Iniesta oder Busquets, …) irgendwann einmal unbewusst nachlässt, Unschärfen im Fokus entwickelt, nicht mehr mit dem Messer zwischen den Zähnen auf das Spielfeld läuft und sich sagt: „Verdammt, niemand will diesen Titel so sehr wie ich.“ Im Gegenteil: Der Körper ist müde, der Geist ist müde, der Hunger lässt nach, die Leichtigkeit schwindet. Sich zu pushen und die Selbstlüge der immerwährenden Motivation zu ignorieren, wird immer schwieriger.

Sicher scheint: Die schwache Vorstellung der spanischen Mannschaft ist auch ein Spiegel der schwachen Saison von Barça.c) Müdigkeit Erfolg führt auch immer zwangsläufig zu Belastung. Wer in den vielen Turnieren weit kommt, muss auch viele Spiele bestreiten. Mehr als alle anderen. Viel mehr sogar. Die spanischen Fußballer haben in den vergangenen Jahren auf nationaler und internationaler Ebene garantiert ein Viertel mehr Pflichtspiele absolviert als sämtliche Konkurrenten. Das fordert seinen Preis. Nicht nur der Körper ist dauerhaft im Maximalbereich gefordert. Auch die geistige Frische muss wieder und wieder von Achtelfinale zu Viertelfinale zu Halbfinale zu Finale produziert werden. Das laugt aus. Ein kleines zusätzliches Beispiel: Während sich andere Kicker schon auf Urlaub oder in regenerativer Vorbereitung auf diese WM befanden, mussten sich Casillas, Ramos oder Xabi Alonso (obwohl gesperrt), Diego Costa, Koke, Villa oder Juanfran nach einer langen, bis zum Schluss spannenden Saison am 24. Mai noch intensiv mit einem Champions-League-Finale beschäftigen. Erholungsmöglichkeiten bis zur WM: Nahezu null.d) Turnierverlauf Wer Titel gewinnt, braucht immer auch Glück. Die Spanier hatten bei all ihrer Qualität stets auch das Schicksal auf ihrer Seite. 2014 nicht.

Kurzer Rückblick: Beim Stand von 1:0 gegen die eher harmlosen und ungefährlichen Holländer hatte David Silva knapp vor der Pause eine so genannte hundertprozentige Torchance auf das 2:0. Sein Schupfer, der dieses Spiel vermutlich entschieden hätte, wurde abgewehrt. Und im Gegenzug kassierten die Spanier, die das Spiel bis dahin zwar nicht dominiert, aber kontrolliert hatten, das 1:1. Und gleich nach der Pause das 1:2. Kann passieren. Aber ehe sie Reaktion zeigen konnten, fiel schon das 1:3. Nach einem Freistoß, der keiner war und einer Attacke am Tormann, die abgepfiffen hätte werden müssen. Egal. Was dann folgte, war nicht nur ein kapitaler Patzer von Casillas zum 1:4, sondern auch die Schockstarre. Gegen ein berauschtes (und seither überschätztes) holländisches Team. Was daneben gehen konnte, ging auch daneben.

Das 1:5 war daher nicht nur eine Niederlage, die gefühlsmäßig wie aus heiterem Himmel entstand, sondern nach diesen vielen Jahren der Macht ein Nackenschlag, der Selbstverständnis, Glaube und Stolz zertrümmerte.

Was nach einem Auftaktsieg gegen Holland passiert wäre, ist müßige Spekulation. Faktum ist: Die wahre Entzauberung gelang erst den Chilenen. Die haben erst das Wanken und Stolpern des Riesen, dessen Plan-, Ideen- und Hilflosigkeit in einer völlig ungewohnten Situation zur Schau gestellt. Und gnadenlos bestraft.

Raum für neue Kräfte

5 Am Ende bin ich trotz aller schmerzlichen Erlebnisse froh, dass die Zäsur so deutlich ausgefallen ist. Sie lässt mehr Raum für neue Kräfte, neue Kreativität, neue Leidenschaft. Die Demontage schreit danach, dass sich Spaniens Team jetzt ganz neu erfinden muss. Und darauf freue ich mich schon.

Den ganzen Hohn und Spott, den die Verlierer der letzten Jahre nun kübelweise über España schütten, ertrage ich mit besonderer Leichtigkeit. Es sei den so oft Geschmähten und Besiegten gegönnt.

Mein Gedanke ist: Nicht weinen, was in den letzten Tagen geschehen ist. Sondern lachen, was ich als Aficionado hoher Fußballkunst und Ballkultur in den letzten Jahren erleben durfte. Dafür, meine lieben Spanier: Danke.

Twitter: @MHufnagl

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