Insel Šolta, oder: Über das Wenigerwerden

Aufgemalte Sorgen: Dinko Sule vor seinem Haus in Grohote
Uwe Mauch

Uwe Mauch

Die Sorge des Universalgelehrten der Insel Šolta hat Berechtigung.

von Mag. Uwe Mauch

über Dinko Sule

Blog Nr. 1131: Mein Freund Dinko Sule sitzt in diesem Sommer oft vor seinem Haus in Grohote, und malt. Er ist gut in der Zeit. In Kürze soll sein neuer Zyklus Sve nas je manje ausgestellt werden. Unsereins wird weniger, so würden ich den Titel ins Deutsche übersetzen. Sule macht sich Sorgen. Dass seiner Insel, der dalmatinischen Insel Šolta, allmählich die (denkenden) Menschen abhanden kommen. Die Sorge des Universalgelehrten hat Berechtigung. Sie gilt übrigens nicht nur für sein Eiland.

Zu viele liegen bereits auf dem Friedhof

Insel Šolta, oder: Über das Wenigerwerden
Lebensnah Blog Uwe Mauch

Auffallend viele Häuser sind nicht mehr bewohnt. Die Fabrik Jugoplastika ist tot. Auffallend viele Insulaner leben auf dem Festland, in Split, Zagreb, Rijeka, in anderen Ländern (auch in Österreich) oder auf anderen Kontinenten. Dort, wo sie Glück und Arbeit finden. Auf den Feldern reifen nicht mehr so viele Trauben und Oliven heran, dafür wachsen überall die Bäume in die Höhe. Zu viele, die sie kappen könnten, liegen bereits drüben, auf dem Friedhof. Und wieder sagt jemand: „Sve nas je manje.“

Auch wir daheim werden immer weniger

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Grohote, 2016. Beim Flanieren durch eine menschenleere Gasse fällt mir ein: Auch wir daheim werden immer weniger. Weniger, die noch ein Buch oder eine Zeitung lesen. Weniger, die nicht den nationalen Rattenfängern folgen. Weniger, die auf Augenhöhe miteinander reden. Weniger, die sich über ein Augenzwinkern im Spiegel oder einen Tag ohne arge Aufregungen freuen können. Weniger, die Nachbarn oder Kollegen zu deren Erfolgen ehrlich gratulieren. Weniger, die bei Wir nicht zuerst an sich denken.

Ein Hoch auf die alten Yugos und Fidschos

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Auch die Individualisten werden immer weniger, wie uns die Fußball-EURO in Frankreich eindrucksvoll gezeigt hat. Wo alle Spieler dieselben Frisuren und Tattoos trugen und sich auf dem Platz nur in vorgegebenen taktischen Korsetten bewegen durften. Wie im richtigen Leben. Und wenn wir schon dabei sind: Auch unsere Autos werden sich immer ähnlicher. Daher ein Hoch auf die alten Yugos und Fidschos, an die man sich auch dann noch gerne erinnert, da sie längst von der Straße geschoben wurden.

Und auch die Rauchfangbauer sterben aus

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Nochmal zurück auf die Insel Šolta: Hier gibt es weniger Menschen, die noch einen Rauchfang oder ein Steinhaus bauen können, ein Feld bestellen oder einen Fisch fangen wollen. Es gibt auch weniger Kindergartenkinder und Schüler. Irgendwie erinnert das Wenigerwerden hier an ostösterreichische Grenzregionen oder westösterreichische Alpentäler. Und wie auf dem Festland gibt es mehr Leute, die den sozialen Frieden in Gefahr sehen, und weniger Leute, die noch an ein gemeinsames Europa glauben.

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