Bambusrad: Optimale Rahmenbedingungen

Frisch gesprühtes Graffiti, erfrischendes Rad-Design: Schnappschuss bei der Testfahrt am Donaukanal.
Die Kieler Fabrikanten "my Boo" möchten Österreicher mit ihren in Ghana handgefertigten Rädern aus Bambus begeistern. Testfahrt und Gespräch in Wien.
Stefan Hofer

Stefan Hofer

Mit dem Fahrrad aus Bambus durch Wien - neugierige Blicke und Fragen sind einem gewiss.

von Mag. Stefan Hofer

über Kieler Hersteller "my Boo"

Bia ist ein Hingucker. So viel war nach meiner Probefahrt mit ihr klar. Erstes Abtasten und Kennenlernen auf der Fahrt vom Alser Gürtel nach Heiligenstadt zum Videoshooting (siehe unten) in der KURIER-Redaktion, dann entlang des Wiener Donaukanals mit Tempo zurück in die Innenstadt, abschließend gemeinsames Flanieren auf der Mariahilfer Straße. Einige Male blieben Menschen staunend stehen, wurde ich wegen ihr angesprochen: "Wie teuer?", "Aus welchem Holz?"

"my Bia" ist ein Fahrrad mit Bambus-Rahmen aus der Werkstatt des Kieler Jungunternehmens "my Boo". Maximilian Schay und Felix Habke (der dritte im Bunde, Jonas Stolzke, war nicht in Wien dabei) waren vor wenigen Tagen quer durch Österreich unterwegs, um auch in der Alpenrepublik Zweirad-Händler von den Qualitäten ihres Produkts zu überzeugen. Einen Tag warben die beiden kürzlich in Wien, und fanden mit "RLS-Sport" (zur Website) in Wien-Penzing bereits einen Kooperationspartner.

Bambusrad: Optimale Rahmenbedingungen

Test

Der KURIER konnte exklusiv für den österreichischen Markt testen (Bilder). Nach 20 Kilometern Probefahrt mit dem 2016er-Modell muss ich sagen: Die Kieler Jungs sind nicht auf dem Holzweg unterwegs. Mit 13 Kilogramm ist die geteste Damen-Variante in etwa so schwer wie ein Mountainbike oder Stadtrad. Das Design ist elegant, der Komfort hoch. Die Shimano Deore 9-Gang-Schaltung genügt in einer Stadt wie Wien vollauf. Der Preis liegt bei 1980 Euro und zieht damit eher Liebhaber an. Nachteil? Ich persönlich würde mich nicht trauen, so ein Unikat überall in der Stadt abzustellen ob der Diebstahl-Gefahr.

Vorteile des Bambus

Obwohl – neu ist die Idee des Bambusfahrrads nicht. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurden aus dem Naturrohstoff Fahrräder gebaut. Der Durchbruch blieb aus. Das große Hindernis: Jedes Bambusrohr hat unterschiedliche Maße und Größen, eine Fließbandproduktion ist dadurch nicht möglich. In jüngeren Jahren haben verschiedene Experten weltweit etwa in Kalifornien mit technischen Weiterentwicklungen diese Probleme gelöst. Denn grundsätzlich bringt Bambus Vorteile mit sich. Die Pflanze wächst extrem schnell, besitzt eine sehr dicke Außenwand und hat dadurch eine enorme Bruchsicherheit. Jedes Rohr besteht aus abgetrennten, rund 30 Zentimeter lange Kammern, die durch Kammerwände getrennt sind. Auch das sorgt für Stabilität.

Von der Idee zum Prototyp

"Ein Kumpel absolvierte in Ghana ein Freiwilliges Soziales Jahr", erzählt Schay bei unserem Gespräch im Schanigarten, "und hat auf der Straße ein Fahrrad aus Bambus gesehen." Die Begeisterung war entfacht. In Deutschland fand sich einerseits ein mittelständischer Unternehmer, der mit seinem technisches Know-How weiterhalf. Andererseits wurde man über Umwege auf das "Yonso Project" in Ghana (englische Website) aufmerksam. Mehrere Reisen nach Ghana folgten.

Bambusrad: Optimale Rahmenbedingungen

Arbeitsplätze in Ghana geschaffen

Das Sozialprojekt "Yonso" kümmert sich vor allem um Bildung und vergibt Mikrokredite an Frauen, um benachteiligten Kindern über Stipendien den Schulbesuch zu ermöglichen. In der angeschlossenen Fahrrad-Manufaktur werden nun von mittlerweile 15 ausgebildeten Mitarbeitern in Festanstellung die Bambus-Rahmen handgefertigt. Die Verbindungsstücke (Bild oben) sind aus Hanfseilen und Epoxidharz mit Hilfe einer speziellen Wickeltechnik gefertigt.

"90 Stunden Arbeit stecken in einem Bambus-Rahmen", schildert Schay. Unleistbar in Mitteleuropa, werfe ich ein. Wie sieht es mit der Bezahlung aus? "Für ghanaische Verhältnisse werden die Mitarbeiter fair bezahlt, sie bekommen drei bis vier Mal soviel wie ein Mindestlöhner vor Ort", betont Schay.

In Deutschland erfolgt die Endfertigung und der EN-NORM-Test. Nach acht Monaten war ein Prototyp fertig, nach insgesamt zwei Jahren waren die Bambusräder marktreif.

Zukunft

Seit April 2014 konnten die Jungs aus Kiel mehr als 160 Fahrräder verkaufen. Anfangs nur über Direktvertrieb, werden seit Jahresbeginn immer mehr Kooperationen mit Händlern geschlossen von Norddeutschland bis zum Gardasee in Italien. Die Zahl der verkauften Bikes will die Kieler Truppe jedes Jahr verdoppeln. Eine vierstellige Stückzahl pro Jahr zu verkaufen, sei das Ziel, "dann können wir langfristig überleben", so Schay.

In Zeiten, in denen Radfahren schick wie selten zuvor ist, mache ich mir auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten um die kreativen und bodenständig wirkenden Jungunternehmer aus Kiel keine Sorgen. Und wenn mit jedem verkauften Fahrrad ein Schulstipendium in Ghana finanziert wird, ist das dort wirklich eine Frage des Überlebens.

Video: Blick auf die Details

"Bambooride": Jedes Rad ein Unikat

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