Ich bin Feminist …

Menschen werden in Rollen gesteckt, weil die Gesellschaft glaubt, dass diese dorthin gehören. Das muss kritisiert werden.
Jürgen Klatzer

Jürgen Klatzer

Menschen urteilen über Menschen, weil diese in gewisse Schubladen gesteckt wurden.

von Jürgen Klatzer

über den Feminismus

Ja, ich bin Feminist. Und ja, Ich bin mir durchaus bewusst, welch Resonanz solch ein Outing erzeugen kann. Eine sachliche Diskussion schlägt schnell in Unmut um, der Autor wird diffamiert und mit einem politischen Stempel versehen. Bevor Sie mich aber über den Boden schleifen, auf einen Heuwagen fesseln und der wütenden Bevölkerung zum Fraß vorwerfen, gönnen Sie sich zwei Minuten und lesen den Kommentar von Anfang bis zum Ende.

Im Kontext einer sich anbahnende Französischen Revolution formulierte Jean-Jacques Rousseau ein Menschenbild, das sich bedenkenlos ins 21. Jahrhundert übernehmen lässt: "L’homme est né libre, et partout il est dans les fers." Der Mensch (oder der Mann) mag zwar frei geboren sein, liegt aber dennoch in Fesseln. Wir leben nicht autark, auch wenn wir es wollen, sondern sind an die Gesellschaft gebunden und auch an deren Vorstellungen, was zum Beispiel als typisch "männlich" und was als typisch "weiblich" erachtet wird. Niemand hat es so pointiert gefasst wie Simone de Beauvoir: "Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht" (das gilt auch für Männer).

Bild: Eine Por­t­rät­büs­te des französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau

Rollenzuschreibungen

Diese umstrittene Aussage von Beauvoir ist, so abstrakt sie auch scheinen mag, wesentlich für unser Verhalten im Alltag. Die Identität einer Person ist vor allem durch gesellschaftliche Zuschreibungen bedingt. Eine Frau wird üblicherweise mit "weiblichen" Eigenschaften, ein Mann mit "männlichen" Eigenschaften definiert. Auch bekannt als doing gender.

Rollenzuschreibungen sind für das menschliche Wesen ein sicherer Hafen, wir können auf das Schubladendenken vertrauen und uns darauf in schwierigen Situation beziehen: "Ach ein Deutscher, fleißig wie immer". Geschlechterklischees, die wir uns über Jahrtausende zu eigen gemacht haben, führen auch unweigerlich zu Diskriminierungen, beispielsweise am Arbeitsmarkt. Menschen urteilen über Menschen, weil diese in gewisse Schubladen gesteckt wurden.

Wer also behauptet, dass wir in einem Land leben, in dem der Einzelne für sich kämpft und seines Glückes Schmied ist, irrt gewaltig. Wir liegen in Ketten, genauer gesagt in Ketten unserer Mitmenschen.

Bild: Simone de Beauvoir mit dem Philosophen Jean-Paul Sartre in Paris 1974

Gleichstellung

Selbstverständlich könnte man diese Diskussion als Luxus abtun und sich der als Frage getarnten Allzweckwaffe bedienen: "Haben wir keine anderen Probleme?" Dieser Meinung bin ich nicht. Denn solange wir Stereotype - die wahrlich nicht "gottgegeben" sind, sondern von Menschen konstruiert werden - nicht infrage stellen, wird sich nichts ändern und ein Feminismus wird weiterhin die Ungleichbehandlung zwischen den Geschlechtern aufzeigen müssen, auch hinsichtlich der sexuellen Orientierung.

Das hier Geschriebene stammt weder aus der Feder "linkslinker" Provenienz noch eines sogenannten "Gutmenschen". Ich bin Feminist, weil das Streben nach Gleichstellung aller Menschen nicht auf der Strecke bleiben darf.

Sie sind anderer Meinung? Hinterlassen Sie einen Kommentar und lassen Sie uns doch diskutieren!

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