Drei Gedanken zu Paris

Von Flaggen auf Facebook, politischem Anstand und dem Zusammenhang zwischen Flüchtlingen und Terroristen.
Philipp Hacker-Walton

Philipp Hacker-Walton

Flagge zu zeigen, das reicht nicht

von Philipp Hacker-Walton

über die Reaktionen auf Paris

1) Wir brauchen mehr Schweigeminuten

Und zwar online, und zwar gleich. Als am Freitagabend die ersten Meldungen über die Anschläge in Paris eintrafen, wurde von viel zu vielen Menschen viel zu viel auf Twitter & Facebook über etwas gepostet und geteilt, von dem wir viel zu wenig wussten.

Die Kollegen vom Bildblog haben sich in diesem Post mit der Berichterstattung von Bild.de befasst; die Kollegen von der New York Times haben hier einige Gerüchte und Falschinformationen gesammelt, die sich rund um die Anschläge in Paris viral verbreiteten.

Ja, es gibt eine Erwartungshaltung gegenüber Medien. Ja, wir wollen (müssen?) immer schneller werden. Ja, wir wollen alle gleich eine Meinung dazu haben. Trotzdem gilt: Get it first - but first get it right.

Im Zweifelsfall, ob Journalist oder nicht: Hände weg von der Tastatur, vom Like-Button und vom Retweet-Symbol.

Erst einmal nicht sagen, das würde auch manchem Politiker gut tun.

Die erste Reaktion auf Paris von ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka:

Zum einen zeugt es nicht von wahnsinnig hohem politischen Anstand, Ereignisse wie jene in Paris reflexartig für die eigene politische Agenda einzuspannen.

Zum anderen ist die Botschaft - bewusst oder unbewusst - irreführend: Lopatka fordert strengere Gesetze - "Staatsschutzgesetz !!" -, und man kann aus Lopatkas Tweet sehr leicht den Eindruck erhalten, dass strengere Gesetze, wie sie die ÖVP schon seit längerem will, die richtige Reaktion auf die Anschläge sind, weil diese dadurch verhindert werden können.

Allerdings: Frankreich hat seit Jahren viel strengere Gesetze, viel mehr Befugnisse für die Behörden, man hatte offenbar sogar mehrere der Attentäter auf Verdächtigen-Listen - gestoppt wurden sie dennoch nicht.

2) Flagge zeigen, das reicht nicht

Jeder geht mit der Trauer, Wut, Hilfslosigkeit, die sich nach Ereignissen wie jenen in Paris einstellt, anders um. Vielen Menschen ist es ganz offenbar ein Bedürfnis, ihre Anteilnahme und Solidarität auszudrücken - und viele machen das dann, indem sie ihr Profil-Foto auf Facebook mit der französischen Flagge schmücken, oder mit einem Friedenssysmbol oder einem Eiffelturm.

Es soll hier gar nicht darum gehen, warum manche das für keine gute Idee halten oder andere meinen, Anteilnahme könne gar nicht falsch sein.

Bitte, jeder soll das machen, wie es ihr oder ihm behagt.

Aber.

Kann es sein, dass wir es uns zu einfach machen? Dass uns ein geändertes Facebook-Profilbild ein kleines Ventil gibt, das Gefühl, sich solidarisch erklärt zu haben - und dass es das dann war? Dann wäre Flagge zeigen zu wenig. Wer wirklich Solidarität mit den Terror-Opfern zeigen will, sollte auch den überwiegenden Großteil der Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen, dazu zählen. Vorschlag: Zuerst Facebook-Profil ändern (oder auch nicht) - und dann ganz konkret etwas für Flüchtlinge tun; Geld spenden, Essen vorbeibringen, Spenden sortieren, Deutschkurse halten.

Und: Kann es sein, dass zu schnell ein Gewöhnungseffekt einsetzt? Es gibt sofort Hashtags (#jesuischarlie, #prayforparis), Facebook bietet einen Service an, die Tricolore über das eigene Profilbild zu legen, usw. Der routinierte Umgang mit Ausnahmesituationen, der hat auch eine unbehagliche Seite.

3) Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Flüchtlingskrise und den Terror-Anschlägen

Und zwar nicht den, dass wir uns vor "den Flüchtlingen" fürchten müssen, weil sie potenzielle Terroristen sind.

Auch nicht den, dass die Paris-Attentäter Flüchtlinge waren - das waren sie ganz offensichtlich nicht, auch wenn zumindest einer mit einem (gefälschten? gestohlenen?) syrischen Pass durch Europa gereist ist.

Und auch nicht den, dass manche Terroristen offenbar im Zuge der Flüchtlingsbewegung von Syrien zurück nach Frankreich gereist sind. Dass Hunderttausende mehr schlecht als recht kontrolliert über die Balkan-Route nach Mitteleuropa kommen, mag ihnen die Reise erleichtert haben. Man kann aber davon ausgehen, dass sie sie auch unter "normalen" Umständen geschafft hätten.

Der eine Zusammenhang, den es gibt: Viele flüchten vor genau diesem Terror - sie jetzt mit den Terroristen, vor denen sie flüchten, in einen Topf zu werfen, wäre absurd. Als Reaktion auf Paris keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen, so wie Polen das jetzt angekündigt hat, wäre falsch.

Der andere Zusammenhang, den es gibt: Den großen, großen Auftrag, jene, die bei uns Schutz suchen und bleiben dürfen, ordentlich zu integrieren. Nach allem, was man weiß, waren die Paris-Attentäter (fast) alle Franzosen und Belgier mit Migrationshintergrund. Frankreich und Belgien haben seit Jahren massive Probleme mit "hausgemachtem" Dschihadismus - und da ist die misslungene Integration natürlich ein Faktor.

Die, die da jetzt zu uns kommen, aufzunehmen, zu unterstützen und zu integrieren, ihnen eine Perspektive zu geben - das wäre wohl die allerbeste Antwort auf den Terror von Paris.

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