Angst essen Sprache auf

Rettungswesten hängen auf einem Baum auf der griechischen Insel Lesbos.
Stephanie Lehner

Stephanie Lehner

Wie wir über Flüchtlinge sprechen, beeinflusst die tatsächliche, menschliche Katastrophe.

von Stephanie Lehner

über das angemessene Sprechen über Flüchtlinge

Metaphern können töten." Dieser Satz des US-Linguisten George Lakoff stammt zwar aus dem Jahr 2003. Doch an Aktualität wird er nicht verlieren, solange wir mit menschlichen Katastrophen konfrontiert sind - und das sind wir. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat es keine Flüchtlingsbewegung von diesen Ausmaßen mehr gegeben.

In dieser Ausnahmesituation lassen sich selbst Qualitätsmedien wie die Süddeutsche Zeitung dazu hinreißen, von einer "Flut nach Westen" zu sprechen. Das Gleichstellen von Menschen mit potentiellen Naturkatastrophen fördert nicht zufällig jene Angst, mit der manche Parteien politisches Kleingeld machen. Doch Angst wühlt auf und verhindert eine sachliche Auseinandersetzung mit der Thematik. Gleichzeitig laufen wir Gefahr, durch die sprachliche Enthumanisierung Gleichgültigkeit gegenüber den individuellen Schicksalen und vielen Toten zu entwickeln. Es ist mehr denn je Aufgabe der Medien, Verläufe objektiv einzuordnen, und gleichzeitig eine menschenwürdige Sprache beizubehalten.

Denn es ist nicht egal, ob vom "Asylant" - lediglich ein Synonym für Sozialschmarotzer - oder von Asylbewerbern die Rede ist. Das Wort "Wirtschaftsflüchtling" meint natürlich mit, dass ein Mensch ein Leben abseits von Armut und Aussichtslosigkeit sucht, das aber nicht "darf". Wer "illegal" nach Europa gelangt ist, wird sprachlich mit einem Verbrecher gleichgestellt. Dabei vergessen wir, dass dieser " Tsunami" menschengemacht ist.

Ängste der Bevölkerung sind ernstzunehmen, und wenn man sich die Online-Kommentare mancher KURIER-Leser ansieht, merkt man, dass sich einige wünschen, die "Asylantenflut" möge doch bitte einfach vorbeiziehen. Besonders "Wirtschaftsflüchtlinge" hätten ohnehin keine Berechtigung, gen Westen zu "strömen". Doch sollten wir nicht ein Kastensystem einführen und Menschen den Wunsch auf ein Leben nicht nur abseits von Krieg, sondern auch finanzieller Not absprechen.

"Eine solche dehumanisierende Rhetorik, die andere Menschen auf minderwertige Lebewesen, [...] oder 'Schädlinge' reduziert, steht fast immer am Anfang von Diskriminierung und Gewalt bis hin zum Genozid", sagt der Wiener Sprachphilosoph Gerald Posselt zum KURIER. Wie wir über Flüchtlinge sprechen, beeinflusst die tatsächliche, menschliche Katastrophe. Und wie wir über diese Menschen in der Vergangenheit gesprochen haben, hat die tatsächliche, menschliche Katastrophe erst möglich gemacht.

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