"11. Februar wird Lostag für Saatenvielfalt"

Iga Niznik: "Österreich hat aus den derzeit geltenden EU-Gesetzen das Maximale für die Vielfalt herausgeholt"
Hunderttausende Europäer wollen mit einer Petition seltene Sorten von Gemüse, Obst und Getreide retten. Saatgut-Expertin Iga Niznik vom Verein "Arche Noah" analysiert für den KURIER, wer von der EU-Verordnung profitiert - und wer verliert.
Stefan Hofer

Stefan Hofer

Der 11. Februar wird Lostag für Saatenvielfalt

von Mag. Stefan Hofer

über die EU-Saatgutverordnung

Frage: Mit der Kampagne "Freiheit für die Vielfalt" ziehen NGOs gegen die EU-Saatgutverordnung zu Felde - und sammelten europaweit mehr als 700.000 Unterschriften besorgter Bürger. Warum sollten Agrar-Industrie, Bauern und Konsumenten am 11. Februar gespannt nach Brüssel blicken, Frau Niznik?

Iga Niznik: Der 11. Februar wird der Lostag für die Saatenvielfalt. An diesem Tag kann der Landwirtschaftsausschuss im EU-Parlament empfehlen, die EU-Saatgutverordnung zurück an den Start zu schicken. Die Zivilgesellschaft in Europa fiebert diesem Tag entgegen, denn der Ausgang ist ungewiss, und es steht viel auf dem Spiel. Die Verordnung bedroht die Vielfalt an alten und seltenen Sorten von Gemüse, Getreide und Obst. Bis heute haben in Europa 700.000 Menschen Protestpetitionen unterschrieben, davon knapp 300.000 in Österreich.

"11. Februar wird Lostag für Saatenvielfalt"
www.arche-noah.at

Was steckt dahinter? Die EU-Saatgutverordnung regelt, wer welches Saatgut unter welchen Bedingungen verkaufen oder weitergeben darf. Darin ist nur ein Standard Gesetz: Der Industriestandard. Vielfaltspflanzen, wie wir sie seit Jahrtausenden nutzten, sind illegal, Verkauf und Weitergabe ihrer Samen strafbar. Nur in Nischen und hinter bürokratischen Hürden soll es Vielfalt geben. Industriepflanzen sollen die Regel sein. Kein Wunder, dass die Konzernvertreter dieser Tage im EU-Parlament die Klinken putzen, um eine Zurückweisung der Verordnung zu verhindern…

Diskussion ist keine romantische Wohltätigkeitsveranstaltung für ein paar arme Pflanzerl

Für alle andern bringt die Verordnung Verschlechterungen. Für Konsumenten: Weniger Angebot an regionalem Obst und Gemüse auf unseren Tellern. Für Bauern: Noch mehr Abhängigkeit von Konzernen und Einschränkungen für den Bio-Landbau. Für die Umwelt: die genetische Vielfalt und mit ihr die Anpassungsfähigkeit an Klimawandel oder Schädlinge wird reduziert. Für Steuerzahler: Mehr Kosten durch den Wegfall von Ökosystemleistungen - der Verlust der Vielfalt soll mehr als 1,1 Billionen Euro pro Jahr kosten.

Damit ist die Diskussion um das Saatgut keine romantische Wohltätigkeitsveranstaltung für ein paar arme Pflanzerl, die sonst aussterben würden, sondern eine Grundsatzentscheidung über die soziale und ökologische Verträglichkeit unserer Agrarpolitik.

Österreich hat aus den derzeit geltenden EU-Gesetzen das Maximale für die Vielfalt herausgeholt. Es gibt zwar nicht ausreichend Mittel, aber zumindest vernünftige Nischen, in denen Vielfalt überleben kann. Die neue EU-Saatgutverordnung würde diese nationalen Spielräume ausradieren. Doch die Forderungen der europäischen Zivilgesellschaft gehen über Ausnahmen hinaus: Die Vielfalt muss die Nische verlassen und auf Augenhöhe mit dem Industriestandard anerkannt werden. Das würde einer völligen Neuausrichtung des Saat- und Pflanzgutrechts bedürfen.

Im EU-Parlament wurden fast 1500 Verbesserungsvorschläge eingebracht, und die österreichischen EU-Parlamentarier haben sich für die Vielfalt ins Zeug gelegt. Sollte die Verordnung abgelehnt werden, bekommt auch Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter ein kurzes, aber wertvolles Zeitfenster, die Vielfalt auf nationaler Ebene zu stärken. Das täte nicht nur der Vielfalt gut, sondern auch unserer Verhandlungsposition in Brüssel, wenn dann ein neuer Vorschlag auf dem Tisch liegt. Doch vorerst ist das Parlament am Wort. Traut man sich in der Politik noch, Zukunft zu gestalten statt nur die Gegenwart zu verwalten? Der 11. Februar wird es zeigen.

von Iga Niznik

Zur Person Iga Niżnik ist Lobbyistin für nachhaltige Saatgutpolitik bei der ARCHE NOAH, einem Verein zur Erhaltung und Verbreitung der Kulturpflanzenvielfalt.

Zum Verein Die ARCHE NOAH entstand 1989 auf Initiative von GärtnerInnen, BäuerInnen und JournalistInnen und bewahrt und pflegt tausende gefährdete Gemüse-, Obst- und Getreidesorten. Sie zählte 2013 rund 12.000 Mitglieder und Förderer.

Der Schaugarten liegt in Niederösterreich an der Grenze zwischen Wein- und Waldviertel- oberhalb vom Weindorf Langenlois und rund 20 Kilometer von Krems an der Donau entfernt. Der Schaugarten und der Pflanzenverkauf sind heuer vom 4. April bis zum 5. Oktober geöffnet. Zur Website: www.arche-noah.at

"11. Februar wird Lostag für Saatenvielfalt"
Arche Noah in Schiltern, Niederösterreich.
"11. Februar wird Lostag für Saatenvielfalt"

Kommentare