Fotojournalismus: Die Macht der Toten

Es ist kompliziert. Warum man manchmal Leichen abbilden muss. Und was die Krone daran nicht versteht.
Philipp Wilhelmer

Philipp Wilhelmer

Es ist argumentierbar, so etwas herzuzeigen. Aber:

von Philipp Wilhelmer

Über die Abbildung von Toten:

Bilder können die Welt verändern”, schreibt Krone-Innenpolitiker Claus Pandi an prominenter Stelle in der Sonntags-Krone. Gemeint ist natürlich das vielfach kritisierte und schockierende Foto von Leichen im Schlepper-Lkw auf der A4. Pandi findet es folgerichtig völlig in Ordnung, dass seine Zeitung den traurigen Schnappschuss in den Laderaum gedruckt hat. Wenn man seinen Leitartikel zu Ende liest, gelangt man zur Erkenntnis, dass die Krone ernsthaft glaubt, die Welt damit ein Stück besser gemacht zu haben.

Vietnam

Als Kronzeugen führt Pandi den Vietnam-Reporter Nick Ut an, dessen Bild von einem napalverbrannten Mädchen als eine der Ikonen der Pressefotografie gilt.Eine bemerkenswerte Denkweise: Nick Ut machte mit seinem Foto, dass die New York Times zunächst nur verschämt auf der linken unteren Seite brachten, die Gräuel des Vietnamkrieges in den USA deutlich. Die konnte - nicht nur wegen solcher Bilder - bald nicht mehr anders, als sich von dem Dschungelgemetzel zurückzuziehen.

Box des Horrors öffnen

Die Krone wiederum ergänzte mit ihrer drastischen Bebilderung eine Geschichte, deren Grauen sich ohnehin schon voll entfaltet hatte: Ein Kühllastwagen mit dutzenden Leichen, aus dem schon “Verwesungsflüssigkeit” tropfte, wie die Polizei schockiert festhielt, reichte wohl für mehr als wohligen Grusel. Selbst hartgesottenen Zeitgenossen war klar: Hier ist Beispielloses geschehen. Mitten bei uns am Land.

Die Box des Horrors zu öffnen, war nicht notwendig, um sogar die internationalen Medien auf den Plan zu rufen. Dass die Krone die Leichen in dem Lastwagen herzeigte, trug nicht mehr zur Berichterstattung bei, als eine Spielart des besonders krassen Voyeurismus zu bedienen. Nebenbei konnte wohl irgendjemand in der Redaktion aufzeigen, wie toll man bei der Polizei vernetzt ist.

Treibend im Mittelmeer

In der Debatte um die Frage, ob man Tote herzeigen darf, sind einfache Antworten nicht wirklich leicht: Eine Leiche am Strand des Mittelmeeres illustriert wohl wie kein anderes Bild die tragische Notlage, in die Europa sich und die Flüchtlinge Afrikas manövriert hat.

In respektvoller Aufmachung (ein Bild hat auch immer einen grafischen und textlichen Kontext), ist es durchaus argumentierbar, so etwas herzuzeigen. Zumindest ethisch, denn ob man seinen Lesern so einen emotionalen Hammer zumuten kann, ist eine Entscheidung, die schon fast in kaufmännische Erwägungen reicht. (Die Facebook-Timelines seiner Follower mit solchen Schockern zu fluten, ist übrigens ein sehr vermessener Gag. Wir haben ihn diese Woche einem Politiker zu verdanken, der sich mit einem besonders mutigen Publizisten verwechselt.)

Und die NS-Zeit?

Interessanterweise ist in Postings zur Debatte auch immer die Frage zu lesen, warum man sich denn bitteschön über Tote im Lkw errege, hingegen hinnehme, dass immer noch Tote aus Konzentrationslagern der NS-Zeit gezeigt würden. Nun: Bei diesem historischen Verbrechen keine Bilder zu zeigen, käme fast einer Verleugnung der Opfer gleich. Eines der wichtigsten Anliegen der Überlebenden der Schoah war und ist es: Erzählt unsere Geschichte weiter.

Wir sehen: Es ist kompliziert.

Achja.. die BILD!

Dass sich die Krone, die das Leichenfoto überhaupt erst an die Öffentlichkeit gebracht hat, damit rechtfertigt, dass ja auch die Bild die Aufnahme gezeigt habe, ist ein besonders seltsamer argumentativer Kurzschluss: Der deutsche Boulevardtanker hatte der Krone die Aufnahme abgekauft und zeigte sie in einer zumindest erträglichen Collage im Zusammenhang mit einem Hilfsaufruf. Der Kontext war verkraftbar und das Tabu der Abbildung schon lange gebrochen - Krone sei dank.

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