Die Medien sind schuld

Am Weg zum Shitstorm: In der Berichterstattung zu manchen Themen können Medien heutzutage nur alles falsch machen.
Medienmacher sehen sich einem neuen Druck ausgesetzt: den hysterischen Kritikern aus dem Netz.
Philipp Wilhelmer

Philipp Wilhelmer

Eine giftige Mischung, die zur Unzeit kommt, schließlich sind Journalisten durch die Konkurrenz von Twitter und Co. noch stärker unter Druck als bisher.

von Philipp Wilhelmer

Über die hysterische Medienhäme im Internet:

Eine russische Invasion in der Ukraine, eine islamfeindliche Bürgerbewegung in Deutschland und zuletzt ein Germanwings-Airbus, dessen Copilot willentlich gegen einen Berg flog: Es gibt Themen, bei denen Zeitungen und Fernsehstationen offenkundig nichts mehr richtig machen können. Sie berichten, was ihrer Meinung nach wichtig und korrekt ist – aus dem Netz, der Echokammer der Empörten, schallen ihnen dennoch nur Vorwürfe entgegen. Wenn angeblich wichtige Details verschwiegen werden, ist verschwörerisch die Rede von der „Systempresse“; wird zu viel berichtet, ist von der „sensationsgeilen Meute“ zu hören. Dazwischen gibt es derzeit wenig zu holen.

Neues Verhältnis

Mit dem Germanwings-Crash hat die Hysterie über angebliche und echte Fehler der Berichterstatter in Deutschland eine Intensität erreicht, die ein neues Verhältnis zwischen Medien und Konsumenten markiert. Und auf sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter wird derart gegen Journalisten gehetzt, dass einem angst und bange werden könnte.

Kein Anlass ist zu gering. Die Frage, ob man den Piloten Andreas L. mit vollem Namen nennen, seine Lebensumstände beleuchten, ihn einen Mörder nennen dürfe – wo früher honorige Zirkel tagten, um anschließend soigniert den Zeigefinger zu heben, fliegen heute ansatzlos die digitalen Fäuste, und das gleich tausendfach.

"Kein Vergnügen"

Der Druck im Fall der Germanwings-Berichte ist so stark, dass auch die mächtigsten Medienmacher Stellung beziehen. „Glauben Sie mir, es ist kein Vergnügen, in solchen Zeiten Berichterstatter zu sein“, schrieb etwa die Chefredakteurin der Bild am Sonntag, Marion Horn, ihren Kritikern. Sie schloss trotzig: „Wir entscheiden selbst, wie wir unsere Zeitung machen. Weil wir es können.“ Früher wäre der Boulevardtanker damit kraft seiner Reichweite über seine Kritiker einfach drübergefahren. Heute gibt es für die Chefredakteurin Häme als Nachschlag. „Kannte dieses Argument auch als Begründung, warum Hunde sich selber den Hintern lecken“, ätzte ein anonymer Twitter-Nutzer.

Ein anderer stellte bösartig zwei Bilder der Top-Journalistin nebeneinander. Auf dem einen sieht sie wie aus dem Ei gepellt aus, auf dem anderen wirkt sie zehn Jahre älter und etwas zerknautscht. Draufhauen, demütigen, weiterziehen: Die Mechanismen des Netzes sind ebenso niederträchtig wie oberflächlich.

Indikator Empörung

Mit den sozialen Netzwerken scheint die menschliche Grundneigung zur Empörung zum wichtigsten Indikator dafür zu werden, worüber wir uns unterhalten: Was aufregt, wird geteilt und kommentiert. Und die Rhetorik überschreitet dabei alle Grenzen. Je demütigender jemand angegriffen wird, desto beleidigter fällt die Antwort aus, bis man die „Wehleidigkeit“ der Mächtigen endlich herausgekitzelt hat.

Eine giftige Mischung, die zur Unzeit kommt, schließlich sind Journalisten durch die Konkurrenz von Twitter und Co. noch stärker unter Druck als bisher. Wo die Quoten regieren, fallen die Hemmschwellen oft schneller, als es einem im Nachhinein lieb wäre.

Aber was dann? Wo früher Fehler am Tag danach in einer kleinen Notiz richtiggestellt werden konnten, werden sie heute selbst zur Nachricht, die bloßstellt, bevor man noch selbst reagieren hätte können. Andererseits wäre so manchem Meinungsmacher mehr Souveränität im Umgang mit Kritikern zu wünschen. Die Zeiten, in denen die Journalisten von der Kanzel die Wahrheit predigen und die Leser und Seher ihnen untertänig und komplizenhaft vom Sofa aus zuprosten, sind vorbei. Aber deswegen übel beschimpfen? Es sieht so aus, als müssten wir unser Verhältnis grundlegend neu definieren.

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