Merkels Zögern ist ärgerlich, aber nicht überraschend

Angela Merkel bremst bei der Bestellung des Kommissionspräsidenten - das war zu erwarten
Die Aufregung über die (vorläufige) Nicht-Nominierung von Jean-Claude Juncker als Kommissionschef ist verfrüht. Seine Chancen sind intakt.
Philipp Hacker-Walton

Philipp Hacker-Walton

Alle halten sich an das, was sie vor der Wahl gesagt haben.

von Philipp Hacker-Walton

über die Bestellung des EU-Kommissionschefs

Nachdem die Staats- und Regierungschefs der EU am Dienstag bei ihrem Mini-Gipfel in Brüssel sich nicht auf Jean-Claude Juncker als nächsten Kommissionspräsidenten festgelegt haben, ist eine Welle der Empörung über sie geschwappt - vor allem über die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Wahlbetrug sei das, hieß es an vielen Stellen, der deutsche Brüssel-Korrespondent Rolf-Dieter Krause meinte in der Tagesschau, Merkel "plant einen Betrug" und kommentierte: "Dieses Spiel ist nicht nur eine Schande, sondern auch außergewöhnlich dumm."

Die Aufregung ist verständlich - schließlich sind Martin Schulz und Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidaten der Sozial- bzw. Christdemokraten im Wahlkampf durch die Lande gezogen und haben verkündet: "Einer von uns beiden wird's - und sonst niemand."

Aber ist die Aufregung nicht vielleicht auch etwas verfrüht? Und: Wen konnte es eigentlich überraschen, dass sich der Dienstag so entwickelt hat & Juncker zwei Tage nach der Wahl nicht explizit nominiert worden ist?

Denn im Grunde hat jeder, der hier eine Rolle spielt, sich an das gehalten, was er schon vor der Wahl gesagt hatte.

Das EU-Parlament, das die Idee der Spitzenkandidaten für die Kommissionsspitze gepusht hat, hat Dienstagmittag eine Erklärung abgegeben, wonach Juncker als Kandidat der stimmenstärksten Partei als Erster versuchen soll, mit seinem Programm eine Mehrheit im Parlament zu finden.

David Cameron hat nach wie vor der Wahl die Idee der Spitzenkandidaten abgelehnt. Das kann man für eine schlechte, falsche, undemokratische Position halten - aber fairerweise muss man sagen, dass er sie konsequent vertreten hat. Camerons Tories sind auch nicht Teil der Europäischen Volkspartei, sie haben also tatsächlich keinen Spitzenkandidaten unterstützt.

Merkel hat wiederholt, was sie in den Monaten vor der Wahl x-Mal gesagt hatte - streng genommen hat sie den Lissabon-Vertrag eingedeutscht und vorgelesen: Es gibt keinen Automatismus, dass einer der Spitzenkandidaten Kommissionschef wird; die Regierungschefs nominieren ihn, das Parlament wählt ihn mit Mehrheit.

Wer mitverfolgt hat, wie wiederwillig Merkel sich im Frühjahr dazu bringen ließ, überhaupt einen EVP-Spitzenkandidaten aufzustellen; wer gehört hat, wie sie auch nach der Nominierung noch betont hat, es gebe keinen Automatismus, den sollte nicht überrascht haben, dass sie zwei Tage nach der Wahl nicht die "Er wird es und sonst keiner"-Position des Parlaments übernommen hat.

Man sollte nicht vergessen, dass es sich hier auch um einen Machtkampf zwischen den EU-Institutionen handelt: Bisher haben die Regierungschefs den Kommissionschef alleine vorgeschlagen und bestellt. Mit Einführung des Lissabon-Vertrages braucht der Kommissionschef jetzt eine Mehrheit im Parlament. Hätten Merkel & Co. Juncker zwei Tage nach der Wahl bedingungslos nominiert, wäre dieser Zug endgültig abgefahren - dann gäbe es, politisch, wenn auch nicht rechtlich, ab dem nächsten Mal diesen Automatismus.

Was heißt das jetzt für Junckers Chancen? Zunächst einmal nicht viel: Ratspräsident Herman Van Rompuy wird jetzt vier Wochen mit den Fraktionen im Parlament versuchen, ein Personal- und Programmpaket zustande zu bringen - "in Absprache", wie Merkel sagt, mit Juncker. Bis zum Gipfel Ende Juni soll klar sein, ob es eine Mehrheit für Juncker gibt oder nicht.

Gut möglich, dass Merkel nicht wirklich hinter Juncker steht - seine Chancen sind aber trotzdem intakt. Schon allein deshalb, weil es - aus heutiger Sicht - politisch "billiger", schneller und schmerzfreier sein dürfte, Blockierern wie Cameron politische Zugeständnisse im Programm der nächsten Kommission zu machen bzw. einen der anderen Top-Jobs zu geben, als im Parlament einen Nicht-Spitzenkandidaten durchzuboxen.

Sollte Merkel das wider Erwarten versuchen und Juncker gänzlich fallenlassen, dann ist es an der Zeit, sich richtig zu empören.

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