"Christian & Christiane": Ein Macho in Frauenkleidern

"Christian & Christiane": Ein Macho in Frauenkleidern
Unsere tägliche Begleiterscheinung zum Fernsehabend des Vortages. Diesmal: Zwei Meinungen, Mann und Frau, zur Doku "Christian & Christiane" auf ARTE.
Evelyn Peternel

Evelyn Peternel

Karl Oberascher

Karl Oberascher

Klischeeeeeeee!

von Mag. Evelyn Peternel

über 'Christian und Christiane'

Christian Seidel, einst Manager von Heidi Klum und Arabella Kiesbauer, beschließt für ein Jahr als Frau zu leben. Er ist weder trans- noch intersexuell, noch möchte er sich einer Hormon- oder Sexualtherapie unterziehen - er will einfach die Frauen besser verstehen und seine Rolle als Mann hinterfragen.

Autor Dariusch Rafiy hat dieses Experiment ein Jahr mit der Kamera beobachtet - das Resultat war gestern um 22.40 Uhr auf ARTE zu sehen. Passend zur Gratwanderung zwischen den beiden Geschlechtern wollen wir "Christian & Christiane" heute auch von zwei Seiten beleuchten: Unsere Redakteure Evelyn Peternel und Karl Oberascher haben sich ihre jeweils eigenen Gedanken gemacht.

„Ich hatte noch nie eine Nagelbettmassage!“, sagt Christiane. Ich auch nicht, kann ich sagen. Bis dato wusste ich nicht mal, dass sowas existiert. Seit der Doku „Christian und Christiane“ bin ich um diese Erkenntnis reicher.

Christiane, früher als Christian in der Münchner Bussi-Bussi-Gesellschaft unterwegs, bekommt in der unkommentierten Doku eine solche Tiefenbehandlung fürs Nagelbett. Passt ja auch, schließlich ist sie neuerdings mit langen blonden Haar und recht kurz geratenem Rock anzutreffen. Auch den passenden Style für die Perücke und den passenden Busen-Ersatz („bitte die großen – bei kleineren hab’ ich das Gefühl, dass ich nicht genügend fühle“) verpasst Christiane ihrem neuen Ich. Ihr Plan: Sie will ihre Sinne erwachen fühlen, sich von der „martialischen Vermarktung der Frauen“ emanzipieren. Sich die Frauenrolle aneignen.

Gut funktioniert das leider nicht, meine Liebe. Das muss Christiane durchaus selbst feststellen („ich bin die Karikatur meiner Traumfrau“ lässt immerhin auf ein bisschen Einsicht schließen). Denn was als vielversprechendes Experiment beginnt, gleitet in den 18 Monaten Beobachtungsphase in eine etwas unrühmliche und vor allem unspannende Sinnsuche ab. Man hätte es erahnen können: Anfangs stellt Christina die verräterische Frage, was denn jetzt komme - Kinder vielleicht? Schlussendlich wird ihm (oder besser: ihr) von einem Arzt bestätigt, dass sein Testosteron-Haushalt durch die neue Weiblichkeit in den Keller gerasselt sei, auf weibliches Niveau sozusagen – und die Unfruchtbarkeit droht.

Der Doku fehlt es an Tiefgang, und das auf allen Ebenen. So wie Christiane sich auch optisch nur auf Klischees reduziert, werden diese überall bedient – und lassen leider keinen Platz für wirklich interessante Fragen. Etwa jene der Sexualität wird völlig außen vor gelassen (wobei, Verzeihung, nicht ganz: Die Erkenntnis, dass Christiane mit ihrem mädchenhaftem Outfit kein Interesse der Frauenwelt mehr hervorruft, ist so irritierend, dass sie das Experiment sogar zu seinem Ende führt.) Aber auch die Frage nach dem Befinden von Christians Ehefrau, die hinter der Kamera ein paar Mal ablehnende Kommentare von sich gibt, wird nie gestellt. Stattdessen lässt sich Christiane die Zukunft durch eine Tarot-Expertin aufzeigen und lamentieret, wie sehr die abwertenden Blicke der anderen sie doch stören. Willkommen im Klischee-Karussell.

Diese simple Sinnsuche eines älteren Herren, der leider wirkt, als habe er sich im Kleiderschrank einer jungen Frau verirrt, hätte durchaus interessant sein können - hätte man die Selbstbeweihräucherung des Protagonisten nicht auf dem Rücken der Rollenstereotype ausgetragen. Eine Nagelbettmassage wäre mir lieber gewesen.

Christian ist ein Leistungsschwein. Er hat Arabella Kiesbauer gemanagt. Und Heid Klum. Und Thomas Gottschalk hat er zu seiner ersten Talkshow verholfen. Heute ist er Buchautor. Früher war er ein Macho, sagt er selber.

Christian empfindet das als Bürde. Als Zumutung fast. Wieso wird ihm als Mann immer so viel abverlangt? Wieso muss er immer der Starke sein?

Kein Wunder, dass er sich von diesem vermeintlichen Erwartungshaltungen befreien will. Das verstehe ich ja. Ein zurückgelehntes „Nein“ hätte aber doch genügt. Das geht. Glauben Sie mir. Auch als Mann. Vielleicht hätte ihm das einfach einmal jemand sagen sollen. Stattdessen begibt sich Christian mitten in der Midlife-Crisis auf Sinnsuche und meint sie im Schlüpfer der Frauen zu finden, wie praktisch eh alle Männer vor ihm. Nur dass er den Schlüpfer jetzt halt an hat. Wer sich davon jetzt mehr Erleuchtung erwartet hätte, als das obligate Motorrad gebracht hätte, wird aber auf allen Ebenen enttäuscht:

Christian sagt, seit er als Christiane unterwegs ist, fühlt er sich frei. Die Männerrolle war immer die Maske. Christian sagt auch, er mag Brüste. Also legt er sich welche zu. Richtig große. Damit er sie auch fühlt. Und Röcke muss er anhaben. Richtig kurze. Christian wird also Christiane. Schlecht geschminkt, mit Lippenstift auf den Zähnen und der Garderobe einer 20-Jährigen.

Er sagt es selbst: Christian wird zur Karikatur seiner Traumfrau. Das ist ein Klischee, natürlich. Aber bei zwei Polen ist eben jede Unterscheidung, die auf Ausschließlichkeit beruht, zum Klischee verdammt. Wer die Kluft überwinden will, muss selbst zum Klischee werden. Das geht gar nicht anders. Wer dem 1,90 Meter-Hünen übel nimmt, wie er mit Stolz und Silikon geschwellter Brust auf seinen High Heels durch die Fußgängerzone tappst und die verwunderten Blicke der Passanten aufsaugt, als wären sie eine Bestätigung seiner eigenen Vorurteile, hat das nicht verstanden.

Christian sagt aber auch, jetzt kann er endlich seine weiche Seite zeigen. Jetzt kann er endlich faul sein. Jetzt braucht er endlich kein schlechtes Gewissen mehr zu haben, wenn er drei Stunden im Nagelstudio sitzt und sich das Nagelbett massieren lässt. Jetzt muss er endlich nichts mehr leisten, kann einfach sein. Jetzt kann er auch einmal Schwäche zulassen. Das ist auch ein Klischee, ein viel schlimmeres. Eines, das man ihm tatsächlich vorwerfen muss. Aber das merkt Christian nicht. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es wohl gut wäre ein bisschen was von beiden Geschlechtern zu haben. Aber ganz ehrlich, Christian, das wusste ich auch schon vor deinem Experiment. Vielleicht funktioniert der Selbsterfahrungstrip beim nächsten Mal ja mit dem Motorrad.

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