Wie ticken Terror-Jihadisten?

Deutscher Gerichtspsychiater hat in 15 Jahren 29 Angeklagte untersucht: kaum typische "Überzeugungstäter".

Die Frage, was in den Köpfen von Terror-Jihadisten und "Möchtegern"-Terroristen vorgeht, beschäftigt die Öffentlichkeit. Unter dem Titel "Hirngewaschen oder geisteskrank?" hat die Ärztezeitschrift "Ärztewoche" einen Artikel des Gerichtspsychiaters Norbert Leygraf (Duisburg) veröffentlicht. Er hat 29 Angeklagte untersucht. Fazit: Oft zeigt sich asoziales und extrem geltungsbedürftiges Verhalten.

Leygraf, tätig am Institut für Forensische Psychiatrie der Universität Duisburg-Essen, hat zu dem Thema in der Fachzeitschrift "Forensische Psychiatrie, Psychologie und Kriminologie" im vergangenen Jahr eine ausführliche wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht. Auf ihr beruht der von dem Experten gezeichnete Beitrag.

Grundsätzlich warnt der Gerichtspsychiater vor der Pathologisierung von Glaubensfanatikern und Personen, die Terrorismus-Aktivitäten entfalten: "Ein bestimmter Glaube wird nicht dadurch zu einer psychischen Störung, dass dieser Glaube die Notwendigkeit seiner möglichst weltweiten Verbreitung beinhaltet, weshalb auch der gewalttätige Kampf gegen die Ungläubigen zur scheinbaren Pflicht wird." Der Jihadismus sei ein "weltweites Problem", dessen Verfechtern man "kaum gerecht" werde, wenn man sie "allein unter dem Aspekt einer psychischen Abnormität betrachtet."

Leygraf hat in den vergangenen 15 Jahren in Deutschland als Gerichtsgutachter 29 "Probanden" begutachtet (in 27 Fällen unter dem Vorwurf der Unterstützung/Mitgliedschaft/Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung, in drei Fällen mit Anklage wegen Mordes oder Vorbereitung von Sprengstoffattentaten). Dies betraf auch drei von vier Mitgliedern der sogenannten "Sauerland-Gruppe". Insgesamt hätten in arabischen Ländern geborene Personen überwogen. Auch von den zehn in Deutschland geborenen Untersuchten hätten nur drei "keinen Migrationshintergrund" gehabt.

Der Experte zu psychischen Charakteristika: "Von den 19 älteren, insbesondere aus dem arabischen Raum stammenden Probanden wies keiner eine schwerwiegende Psychopathologie auf. Es fanden sich aber auch nur wenige psychisch robuste, in sich ruhende Überzeugungstäter. Stattdessen war hier eine Reihe recht illustrer und primär dissozial auffälliger Persönlichkeiten vertreten."

Für die ersten Gruppe stellt der Gerichtspsychiater den Fall von Shadi A. dar, der im Dezember 1999 via Mekka nach Afghanistan gekommen war, dort über einen Schwiegersohn von Osama Bin Laden in ein Trainingslager wechselte und schließlich von dem Terror-Paten Abu Mussab al Zarqawi für entsprechende Aktivitäten nach Deutschland geschickt worden war.

Shadi A. hatte sich zwar schon im Libanon im Jugendalter wegen aggressiven Verhaltens in psychiatrischer Behandlung befunden, doch direkt psychiatrisch krank war er nicht: "Nach zwei gescheiterten Berufsausbildungen arbeitete er in Beirut als Marktverkäufer und finanzierte sich durch Diebstähle. Schon in Jordanien hatte er homosexuelle Kontakte, die er nach seiner Einreise im Jahr 1995 in Deutschland mit wechselnden Partnern fortsetzte, wobei er nebenher auch heterosexuelle Kontakte in Bordellen pflegte. Er konsumierte in erheblichen Mengen Cannabis und Alkohol und verschaffte sich das Geld vor allem durch Betrugsdelikte."

Der weitere "Weg": "Wegen seiner finanziellen Schwierigkeiten kam er in Kontakt zu einer Moschee, in der er auf Kredit Lebensmittel erhielt." Dann kam die Vermittlung nach Afghanistan und die Rückkehr nach Deutschland. Während der Vorbereitungen für Anschläge - einen Teil der dafür vorhandenen Finanzmittel investierte er in "Haschisch, Alkohol und sexuelle Kontakte" - wurde er schließlich von den deutschen Behörden "an einer Bushaltestelle auf einer gerade gekauften Kiste Bier sitzend" festgenommen.

Was die Begutachtung von Shadi A. und den drei weiteren Angeklagten erbrachte: "Insgesamt erschien er letztlich als das Gegenteil dessen, was man sich unter einem islamistischen Fundamentalisten vorstellen würde. Die drei weiteren Mittäter dieser Gruppe hatten es ebenfalls sämtlich in Deutschland nicht weit gebracht. Keiner von ihnen verfügte über einen beruflichen Abschluss; alle hatten vor der Missionierung (...) kein muslimisch orientiertes Leben geführt, sondern hatten sowohl Alkohol als auch Cannabis konsumiert; alle waren vorbestraft (u.a. Diebstahl Körperverletzung, Drogenhandel). Sie waren mit ihren Zielen gescheitert und sozial isoliert."

Etwas anders sei dies bei in Deutschland aufgewachsenen angeklagten Islamisten gewesen. Zwei von zehn Untersuchten hätten "den fundamentalistischen Islam dazu genutzt, ihr überhöhtes Selbstwertgefühl nach außen hin zu präsentieren" und "eine Möglichkeit gefunden, ihre aggressiven Impulse scheinbar moralisch legitimiert" ausleben zu können. Allerdings, bei drei der zehn Personen hätten sich in der Vorgeschichte auch psychotische Phasen erheben lassen.

Leygraf zieht in dem Artikel folgende Schlussfolgerungen: Zusammenfassend seien bei jungen Islamisten eher Probleme in der Identitätsfindung zu bemerken, allerdings sei das kein generelles Muster. "Vielmehr scheint die Faszination, die für einen jungen Mann davon ausgeht, sich als Mitglied einer scheinbar elitären Gruppe zu fühlen und für ethisch hochstehende Ziele in den Kampf ziehen zu können, an sich schon ein hohes Gefährdungspotenzial mit sich zu bringen."

Die moderne und global funktionierende Kommunikation ist wohl in ihrer Funktion als "Missionierungswerkzeug" nicht zu unterschätzen. Der deutsche Gerichtsmediziner: "Dabei bieten sich Islamismus und Jihad angesichts der weiten Verbreitung entsprechenden Propagandamaterials im Internet heutzutage als weitere, wenn auch zuweilen besonders schicksalsträchtige Möglichkeit an, sich im Prozess des Erwachsenwerdens auf dem Weg ins rechte Leben zu verirren."

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