Monogamie: Alles nur gelogen?

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Der Mensch ist für die sexuelle Treue nicht geschaffen.

"Ich bin von Zeit zu Zeit monogam, aber ich ziehe die Polygamie vor. Die Liebe dauert lange, aber die brennende Lust nur zwei bis drei Wochen."

Es war Carla Bruni, Musikerin und Ehefrau des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, die diesen Satz formulierte. Und damit ausdrückte, was viele nicht zu sagen wagen – oder nur insgeheim denken. Dass das mit der immerwährenden Treue problematisch ist. Dass es schwierig sein kann, ein Leben lang nur einen Menschen anziehend zu finden. Dass der Satz "Ich werde dir für immer treu sein" womöglich eine Lüge ist. Beziehungsweise etwas, das wir uns wünschen, aber nicht naturgemäß ist.

Monogamie: Alles nur gelogen?
Nur in Zusammenhang mit Buchbesprechung honorarfrei
Wer das offen anspricht, gilt als Agent provocateur. Wie der Psychologe Christopher Ryan und die Psychiaterin Cacilda Jethá. Die beiden sind auch privat ein Paar und veröffentlichten im Jahr 2011 ihr Buch "Sex at Dawn".
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Es landete zwar rasch auf der Bestseller-Liste der New York Times, polarisierte und schockierte jedoch. Mit Sätzen wie "Die serielle Monogamie erleben viele Menschen als eine Kette des Versagens, als vereinzelte Glücksmomente in einem dunklen Meer von Enttäuschung" oder "Derzeit befinden wir uns im Krieg gegen unsere erotischen Sehnsüchte" schlug das Buch mitten ins Epizentrum der Liebe ein. Jetzt ist es auf Deutsch erschienen – seine Botschaft: Monogamie ist von der Natur nicht vorgesehen.

Bibel der Polyamorie?

Dabei hinterfragt das Duo so ziemlich alles, was als "Standardnarrativ der Verhaltensbiologie" zum Thema gängig ist – das gesellschaftliche Konzept der monogamen Paarbeziehung und die Ehe in ihrer aktuellen Auslegung. Der bekannte deutsche Sexualtherapeut Ulrich Clement bezeichnet das Buch gar als "Bibel der Polyamorie" und kommentiert die These der Autoren so: "Wenn man die ernst nimmt, hat sie dramatische Konsequenzen für unsere Sexualmoral und ganz besonders für unsere Einstellung zu sexueller Treue."

Dazu ein statistischer Ausflug in die Mühen der Ehe-Ebenen: Zwar ging die Gesamtscheidungsrate in Österreich 2015 etwas zurück, doch liegt sie mit 41,6 Prozent nach wie vor hoch. Trennungsspitzenreiter sind die Wienerinnen und Wiener: In der Landeshauptstadt wird beinahe jede zweite Ehe geschieden. Eine der häufigsten Gründe dafür: sexuelle Langeweile und Frustration, die irgendwann in einem Seitensprung mündet. Erich Kästner hätte es in seinem Gedicht "Sachliche Romanze" kaum besser auf den Punkt bringen können: "Als sie einander acht Jahre kannten (und man darf sagen, sie kannten sich gut), kam ihre Liebe plötzlich abhanden. Wie andern Leuten ein Stock oder Hut."

Wichtige Anmerkung: Oft ist es nicht die Liebe, die verloren geht, sondern die Lust. Eine im Grunde fatale Verwechslung. Für Buchautor Ryan wenig verwunderlich, schließlich "stammt der Mensch nicht vom Affen ab, sondern wir sind Affen". Konkret meint er damit Bonobos und Schimpansen, "die triebgesteuerten Nachkommen unserer hypersexuellen Vorfahren", denen die Menschen sehr ähneln. Das Problem: Die Konvention der "Bis-dass-der-Tod-euch-scheidet-Ehe" dichtet Frauen und Männern eine falsche Identität an.

Sex wie die Bonobos

Monogamie: Alles nur gelogen?
Wir boykottieren also unser wahres erotisches Ich. Keine nichtmenschliche, in Gruppen lebende Primatenart sei monogam, in jeder menschlichen Gesellschaft wurde Ehebruch dokumentiert. Vielmehr sei Homo sapiens eine Spezies mit einer großen Schwäche für Sex. Der hat bei den Bonobos eine regulierende Funktion – indem es die Menschenaffen mit jedem treiben, kalmieren sie und leben entspannt dahin – ohne Eifersucht. Mit Sex werden Bündnisse bekräftigt und Freundschaften gefestigt. Wie bei unseren Ur-Ur-Ur-Ur-Ahnen, für die ungezwungene Sexualität einst die Norm war. "Menschwerdung vollzog sich in kleinen Gruppen von Individuen, in denen nahezu alles geteilt wurde – Essen, Zuflucht, Schutz, Kinderbetreuung und sogar die sexuelle Lust", schreiben Ryan und Jethá.

Prähistorische Hippies

Wie man sich das vorstellen kann? Als prähistorische Hippie-Kommune, in der es zu multiplen Paarungen kam. Erst als die Menschen begannen, Land zu bestellen und Vieh zu halten, folgte der tief greifende Wandel. Die Gesellschaftsordnung wurde durch politische Hierarchien, Privatbesitz und dicht bevölkerte Siedlungen geprägt – der Status von Frauen veränderte sich genauso wie das Thema Vaterschaft. Ab sofort wollten Männer sicher sein, dass die Erben auch wirklich ihre Kinder waren. Verknüpft mit der Idee der Romantik, war die Idee der Monogamie geboren. Und damit Eifersucht und Besitzdenken. Übrigens: Zuletzt behaupteten Wissenschaftler aus Kanada und Deutschland im Fachblatt Nature Communications, dass die Monogamie auch deshalb entstanden sein könnte, weil sich der Mensch nach seiner Sesshaftwerdung durch soziale Normen vor der Ansteckung mit Tripper, Syphilis & Co. schützen wollte. So oder so: Laut Anthropologen gibt und gab es zahlreiche Völker mit anderen Vorstellungen dessen, was Beziehung ausmacht. Als eines von vielen Beispielen nennen Ryan und Jethá die Moso. Ihr Credo: "Frauen und Männer sollten nicht heiraten, denn die Liebe kommt und geht wie die Jahreszeiten." Sie leben in den Bergen um den Lugu-See, an der Grenze zwischen den chinesischen Provinzen Yunnan und Sichuan, und haben ein Familiensystem, das Wissenschaftler verblüfft. In deren Schrift existieren keine Worte für Mord, Krieg oder Vergewaltigung. "Mit der respektvollen Gelassenheit der Moso geht eine nahezu vollkommene sexuelle Freiheit und Autonomie einher, sowohl von Männern als auch Frauen."

Was nun?

Soll der westliche Mensch von den Moso lernen und sein aktuelles Liebesmodell über den Haufen werfen? So einfach ist das nicht – was also tun? Ryan und Jethá regen zum entspannteren Umgang mit dem Thema Treue an. Dazu gehört, dass Liebe und Sex wieder auseinanderdividiert werden müssten. Und Erwartungen revidiert. Weil wir uns mit den falschen Erwartungen an uns selbst, an den Partner und an die menschliche Sexualität bleibenden Schaden zufügen. Das Autorenpaar ermutigt zu einem Sichtwechsel und zum Mut, Neuland zu erkunden. Etwa, indem Sexualität frisch verhandelt wird. "Vielleicht können Paare so gemeinsam einen Weg durch dieses schwierige emotionale Terrain finden; vielleicht verurteilt man den Partner weniger, wenn einem die Wurzeln seiner Bedürfnisse bewusst sind und vielleicht entsteht so ein reiferer Ansatz, mit den Differenzen umzugehen." Jedenfalls scheint es Zeit, endlich Frieden mit unserer wahren Natur zu schließen.

KURIER: Ihr Buch "Sex at Dawn", so heißt es im Original, wurde gehypt, aber auch kritisiert. Was haben Sie seit der Veröffentlichung alles gelernt? Christopher Ryan: Ich habe sehr viel darüber gelernt, wie Menschen auf ein Buch reagieren, das ihre Vorurteile infrage stellt. Manche Menschen begrüßen es, wenn sie die Möglichkeit haben, Dinge anders sehen und verstehen zu können, die zuvor unbegreiflich schienen. Andere aber fühlen sich bedroht von dem, was sie lesen mussten, und reagierten mit Anfeindungen.

Das Konzept von Monogamie und Ehe ist fragiler denn je. Trotzdem wird munter geheiratet, die Menschen schwören einander, ganz traditionell, ewige Treue ...

Die kulturelle Prägung ist tief in uns verankert. So tief, dass sich unsere Einstellung normal anfühlt – angeboren, instinkthaft. Deshalb haben wir "Sex. Die Wahre Geschichte" mit einer Diskussion zum Thema Essen begonnen. In manchen Kulturen ist oder war es ganz normal, Insekten zu essen, Hunde oder sogar menschliches Fleisch. In anderen Kulturen hingegen ist es üblich, dass das Essen aus Plastikcontainern von Fabriken kommt. In beiden Fällen sind wir überzeugt, dass das Empfinden dessen, was appetitlich oder ekelhaft ist, jeweils das richtige ist. Doch tatsächlich ist es total willkürlich und wird von der jeweiligen Kultur diktiert. Im gleichen Maße haben wir Neigungen entwickelt, die in unserer Kultur meist ignoriert oder zum Verschwinden gebracht wurden. Wenn es zum Konsens wird, dass die einzige Art zu lieben Ehe, Treue, Kinder und einen gemeinsamen Kredit inkludiert, wird es schwierig, sich aus dieser Realität herauszudenken. So schwierig, wie es für mich ist, einen Lunch mit Hundefleisch und Reis einzunehmen.

Sie behaupten, dass sämtliche Standarderzählungen zur Natur der menschlichen Sexualität gelogen sind. Wann, vor allem aber warum, ist Ihnen das erstmals in den Sinn gekommen?

Ich dachte an den Skandal um Bill Clinton in den 1990ern. Und konnte nicht verstehen, dass das in einer Welt, die von den Menschen seit Tausenden Jahren beherrscht und geformt wird, passieren kann. Dass ein mächtiger Mann dermaßen erniedrigt wird, nur weil er eine einvernehmliche Beziehung zu einer Frau hatte. Also begann ich, alles über Evolutionspsychologie zu lesen, um zu verstehen, was passiert ist. Das wiederum brachte mich zum Standardnarrativ, in dem es etwa heißt, Frauen würden Treue gegen Nahrung und Status tauschen. Schließlich erzählte ich all meinen Freunden davon. Glücklicherweise hatte ich viele kluge und anerkannte Frauen in meinem Bekanntenkreis, die meinten, dass diese Art der Erklärung beleidigend und unrichtig sei. Sie sagten, dass sie Sex hätten, weil er Spaß macht. Und dass sie es nicht wegen des Geldes tun, oder um beschützt zu werden.

Und dann?

Dann habe ich weiterrecherchiert, um zu entdecken, dass die Autoren, die ich gelesen hatte, ganz schön viel ausgelassen haben. So haben sie etwa die Bonobos nicht erwähnt. Stattdessen nur die Schimpansen. Wovon ebenfalls nirgendwo die Rede war: von den vielen Kulturen, in denen sich die Männer ganz und gar nicht um das Thema Vaterschaft sorgten. Also begann ich, am Faden zu ziehen – schließlich fiel der ganze Wandteppich vor meinen Augen auseinander.

Passen Frauen und Männer zusammen, aber nicht unter der Voraussetzung eines monogamen Zusammenlebens?

Frauen und Männer passen genauso gut zusammen wie gleichgeschlechtliche Partner. Beim Sex geht es darum, Intimität und Vertrauen zu schaffen. Der Rest – Besitzdenken, Kontrolle, Unsicherheit, etc . – überlagert unsere Sehnsucht nach Nähe. Eine pathologische Haltung, die uns kontrolliert, statt zu ermöglichen, dass wir unser Leben genießen.

Gibt es seine Exit-Strategie? Die Idee der "Freien Liebe", so wie sie in den 1960er-Jahren praktiziert wurde, ist gescheitert.

Wenn wir weiterkommen wollen, braucht es mehr Respekt für nicht-standardisierte Herangehensweisen zu Themen wie Romantik und Familie. Respekt für nicht-tradierte Lebensweisen sowie größere Skepsis gegenüber religiösen Lehren und der Leitkultur. Zudem bezweifle ich, dass die Sechziger nichts gebracht hätten. Sie brachten viele Fortschritte bei der Gleichberechtigung der Rassen, Respekt für Frauen, Fortschritte in der alternativen Medizin, großartige Musik und Kunst, antikolonialistische politische Entwicklung, Umweltbewusstsein, mehr für gleichgeschlechtliche Paare. Dieser Kampf formte die Welt, in der wir leben – das meiste davon wirkt bis heute nach.

Bonobos haben Sex mit jedem, um in Frieden zu leben. Glauben Sie, dass die Menschen mit einem Bonobo-Lifestyle besser leben könnten?

Wir können eine Menge von den Bonobos lernen, was ihre Toleranz und den entspannten Zugang zu Sexualität, sowie das Teilen der gemeinsamen Ressourcen angeht. Wie sie Stress mithilfe von Freude managen.

Männer, die promiskuitiv sind, gelten als lässige Typen. Frauen, die es ihnen gleichtun, als Schlampen. Wird sich das jemals ändern?

Es ändert sich gerade. Nehmen Sie die Sängerin Madonna – ihre Karriere war in vielen Bereichen die Antithese zu all dem. Viele Frauen stehen heute öffentlich zu ihrer Sexualität und entschuldigen sich nicht mehr dafür. Junge Frauen wachsen in einem Umfeld auf, zumindest in Europa und in den USA, wo eine sexuell selbstbestimmte Frau nicht als "schmutzig" wahrgenommen wird. Ich denke, dass es in einer sexuell liberaleren Gesellschaft wichtig ist, großzügige öffentliche Vorteile für Frauen und Kinder zu schaffen. So dass es überflüssig wird, Männer zu manipulieren, damit sie Frauen und Kinder unterstützen.

Welche Art von Beziehung haben Sie mit Ihrer Partnerin? Und haben Sie Tipps für Langzeitpaare?

Unsere Ehe wird durch die Forschung inspiriert. Das ist alles, was wir dazu in der Öffentlichkeit sagen möchten. Der einzige Rat, den ich Menschen, die ich nicht persönlich kenne, geben kann: Sind Sie mit sich und Ihrem Partner so mitfühlend und versöhnlich wie möglich. Sich zu anderen Menschen hingezogen zu fühlen, heißt nicht, dass Sie, Ihr Partner oder die Beziehung ein Problem haben. Es zeigt nur, dass Sie ein menschliches Wesen sind. Hätten wir ein realistischeres und wissenschaftlicheres Verständnis davon, welche Art von "Tier" Homo sapiens ist, gäbe es befriedigendere und langlebigere Beziehungen.

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