Juniormarathon Linz: Stresstest statt Erfolgserlebnis

Eine Elternberaterin über falsch verstandenes Leistungsdenken.

Für Entrüstung sorgten die Bilder des Linzer Junior-Marathons: Eltern ziehen die Kinder an der Hand die Laufstrecke entlang bis ins Ziel. Freude am Sport sieht anders aus. Im KURIER-Gespräch zeigt sich Familylab-Elternberaterin Sandra Teml-Jetter entsetzt von solchen Eltern: "Das ist das Gegenteil davon, was bei so einem Laufbewerb geschehen sollte. Er sollte den Kindern Freude an der Bewegung geben."

Die Familienberaterin kennt solche Beispiele falsch verstandenen Leistungsdenkens: "Ein Erfolgserlebnis stärkt das Selbstwertgefühl eines Kindes und seine Motivation. Experten nennen das Selbstwirksamkeit. Es geht darum, dem Kind das positive Erlebnis zu geben, dass es selbst etwas erreicht hat. Hier geschieht das Gegenteil: Das Kind schafft es eben nicht selbst, sondern deshalb, weil die Eltern es wollen." Natürlich sind in diesem Alter die Eltern notwendig, betont sie: "Für das Kind sind sie wichtig als Motivation und als Sicherheit. Das Ziel des Kindes ist klar: Ich habe es selbst geschafft, aber nicht allein."

Die Strecke von 40 Metern könnten Kinder locker bewältigen, sie laufen am Spielsplatz die vielfache Entfernung. Aber vielleicht nicht so schnell und diszipliniert, wie die Eltern es wollen. Sie hält die Überlegung des Veranstalters für sinnvoll, nächstes Jahr das Konzept zu überdenken. Sie findet einen Laufbewerb dann gut, wenn die Eltern am Rand oder beim Ziel stehen und die Kinder anfeuern können, aber nicht unmittelbar dabei sind: "Die Kinder wollen natürlich, dass ihre Eltern sie sehen." Aber für ein Kind, das diese kurze Strecke nicht alleine laufen möchte, ist der Bewerb ohnehin nicht geeignet.

Andere Eltern entsetzt

Bei anderen Eltern im Internet gehen inzwischen die Emotionen hoch. Leser berichten über ähnliche Erlebnisse, etwa beim Bergsteigen, wo Kinder von ihren sportlichen Eltern überfordert sind. Und stellen die ganze Veranstaltung in Frage: Schließlich würden so schon die Drei- und Vierjährigen unter Leistungsdruck gesetzt. Ähnliche Themen beschäftigen auch Eltern, deren Kinder in einen Skikurs gehen. Das obligatorisches Abschlussrennen am letzten Tag ist für manche kleine Kinder eine Belastung, auch wenn sich die Schischulen bemühen, wenig Druck aufzubauen.

Auch hier sind es oft die Eltern, die ihr Kind auf einem Stockerlplatz sehen wollen. Andere Konzepte zeigen, dass man Kinder auch anders in Bewegung setzen kann. Etwa beim Wiener Friedenslauf um das Rathaus, heuer am Sonntag, dem 23. April. Dabei geht es nicht darum, schneller zu sein als die anderen, erzählt die zweifache Mutter Cornelia Melloni-Forrer: "Für jede Runde, die ein Kind schafft, sammelt es eine Spende. Man kann laufen, mit dem Roller fahren oder auch spazieren. Heuer wird mein jüngerer Sohn mit dem Papa gehen und der Zehnjährige mit seinen Freunden - so ist es auch ein schönes Erlebnis."

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Ein Bild, ein Befund: Das Foto von Eltern, die ihre weinenden Kleinen beim Juniormarathon am vergangenen Samstag in Linz ins Ziel zerrten, wurde in Social Media herumgereicht. Ein Einzelfall? Guter Witz. Überambitionierte Mamis und Papis sind überall zu finden. Am Sportplatz genauso wie bei der Kinderjause. Das beginnt beim „Meiner-kann-schon-gehen“-Wettbewerb und endet beim Auszucker, wenn der Nachwuchs nicht abliefert, wie daheim bei Kakao und Cornflakes besprochen. Da wird geschimpft und angefeuert, bis der Kinderarzt kommt. Aber was passiert da genau?

Kinder als Projektionsfläche

Oft werden Kinder zur Projektionsfläche für eigene Ideale. So ein Sportstar daheim, ist feiner Smalltalk-Stoff für die nächste Party: „Du, meiner hat Gold beim Landhockey gemacht – und deiner so?“ Der Überehrgeiz wuchert auch abseits des Tatorts Sportplatz, so sortieren Eltern die Freunde ihrer Kinder zuweilen nach sozialem Status. Man weiß ja nie so genau, wozu man den kleinen Nick, dessen Paps ein VIP-Rechtsanwalt ist, so braucht. Dass die Bedürfnisse der Kleinen dabei untergehen, ist eher wurscht, denn: „Wir wollen nur dein Bestes, Kind“. Leider ist das Beste oft nicht gut genug.

gabriele.kuhn@kurier.at

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