Seit wann gibt es Zäune?

Seit wann gibt es Zäune?
Von Steinkreis bis Stacheldraht: Zäune gibt es, seit der Mensch sesshaft wurde. Die Geschichte steckt bis heute voller Widersprüche.

Am Anfang war kein Zaun. Dann kam der Mensch und baute einen, um seine Tiere an der Flucht zu hindern oder bestellte Felder zu schützen. Eine ökonomische Notwendigkeit. "Als Menschen sesshaft wurden, benutzten sie den Zaun als Instrument zur Landnahme. Und machten so aus der Natur- eine Kulturlandschaft", sagt die Volkskundlerin Linda Schmelz von der Universität Jena. Das Wort "Zaun" kommt von "Thun" – was im Alt- und Mitteldeutschen für eine Begrenzung aus totem Material wie Holz, Metall, oder Stein stand. Den Stein legten Menschen vor zwei Millionen Jahren rund um das Feuer, damit es sich nicht ungewollt ausbreitet – die erste bewusste Form der Begrenzung. Der lebende Zaun, etwa die Hecke, leitet sich wiederum von "Hag" ab. Es findet sich nach wie vor in Städtenamen wie Kopenhagen, wo früher anscheinend eine Grenze definiert wurde.

Sich abzugrenzen sei ein anthropologisches Grundbedürfnis, sagt die Kulturwissenschaftlerin. Es wurde über die Jahrhunderte tradiert und ist heute in Zaunform sogar in jedem Kinderspielzeug-Ensemble zu finden– von Lego bis Playmobil. Der Mensch zäunt Besitz und primär sich selbst mit Holzlatten, Eisenstangen oder Maschendraht ein – um den sich in den 1990er-Jahren ein Rechtsstreit entbrannte, den Stefan Raab zum Hit machte. Wie groß der Zaun für Schrebergärtner ist, lässt dieses Sprichwort erahnen: Freiheit erkennt man an ihren Grenzen.

Zum politischen Instrument wurde der Zaun mit der Entstehung von Siedlungen und der wachsenden Bevölkerungszahl, sagt Wilfried von Bredow, Politologe der Universität Marburg und Autor eines Buches über Grenzen und deren Geschichte. "Bestimmte Regionen waren beliebt, da es dort viel Wasser, Wild und fruchtbaren Boden gab, also wurden Besitzansprüche gestellt und verteidigt." Vor vier bis fünf Jahrtausenden gesellten sich in den frühen Städten Afrikas und Indiens Mauern zu den Zäunen. Aus einfachen Abgrenzungen wurden Schutz- und Abwehreinrichtungen – bekanntes Beispiel: der römische Limes. Der Grenzwall quer durch Europa wurde zwischen erstem und sechstem Jahrhundert nach Christus errichtet. Mit seinen Wachtürmen und Kastellen hatte er zwei Funktionen: "Schutz gegen Feinde, die von außen kommen. Darüber hinaus herrschte an diesen Grenzen reger Austausch zwischen Händlern." Menschen und Waren wurden kontrolliert – die Römer hatten so die Möglichkeit, Zölle und Steuern einzuheben.

Festhalten

Das größte Bauwerk, das errichtet wurde, um Menschen fernzuhalten, ist die Chinesische Mauer, einst über 21.000 Kilometer lang. Sie sollte nicht nur die "barbarischen Reitervölker", die aus chinesischer Sicht aus Nordwesten anrannten, abhalten. "Sondern auch das eigene Volk im Land festhalten. Es gab ja damals noch kein ausgeprägtes nationales Bewusstsein", sagt Bredow. Eine ähnliche Funktion des Einsperrens hatte die Berliner Mauer. Das Gefühl von Einschränkung spiegelte sich im Alltag wider, etwa durch Reisebeschränkungen und Bespitzelung. Dennoch entstand in der DDR eine "Zaunkultur", belegt durch kulturwissenschaftliche Ausstellungen und Bücher nach der Wende. Das Motiv: Abgrenzung von der aufgezwungenen Uniformität durch originelle Zäune.

Ländergrenzen

Staaten sind oft durch geografische Barrieren wie Berge, Flüsse oder Täler getrennt. Zäune sind unpraktikabel und die meist vielbeachtete Ausnahme. Ein Zaun, der zwei Staaten trennt, erfüllt sowohl eine Ab- als auch eine Eingrenzung: Seit 1953 ist die koreanische Halbinsel geteilt, die Grenzzone zwischen Nord- und Südkorea ist 248 Kilometer lang und vier Kilometer breit. Während das Regime im Norden seine Bewohner damit im Land einsperrt, schützt sich der Süden vor möglichen Angriffen von außen. Diese Linie darf ausschließlich zu wirtschaftlichen Zwecken überschritten werden. Auf nordkoreanischem Territorium gibt es eine Sonderwirtschaftszone. Dort produzieren südkoreanische Unternehmen mit nordkoreanischen Arbeitern. Der Deal: Die Firmen aus dem Süden müssen nur geringe Löhne auszahlen, Nordkorea erhält dringend benötigte Devisen. Politologe Bredow erklärt: "Das zeigt, dass die ökonomische Verlockung über Zäune und Grenzen Beziehungen zu haben, zu groß ist." Selbst an der US-amerikanischen-kanadischen Grenze, an der seit dem 11. September 2001 noch intensiver kontrolliert wird, gibt es kostspielige Sonderregelungen für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr.

Aktuelle Zäune

Einen Doppelstandard erwartet die Politik auch gegenwärtig von Zäunen, die errichtet wurden, um Flüchtlinge aus Europa fernzuhalten – etwa an den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Marokko. Zweireihige und über sechs Meter hohe High-Tech-Zäune – sichtbar unüberwindbar – sollen auch abschrecken und damit verhindern, dass Bilder durch die Medien gehen: "Sie wollen, dass die Grenzzäune ihre Funktionen erfüllen – die auftauchenden Bilder von Menschen, die versuchen Zäune zu überwinden und sich dabei verletzen oder sterben, will niemand sehen", sagt Politologe Bredow.

Alle Zäune und Mauern, egal ob bereits gefallen oder noch stehend, eint, dass sie Probleme aus dem Blickfeld schieben. Gute Beispiele dafür gibt es auch in den USA, in Brasilien oder Südafrika. Dort wählen betuchte Menschen die freiwillige Selbsteinzäunung aus Angst vor Dieben und Kriminellen. In sogenannten "gated communities" grenzen sie sich in eingezäunten Wohnkomplexen ein, diese ähneln einem Hochsicherheitstrakt.

Was Abschottung und Zäune bringen? Nichts, das (ab)hält. "Sie bieten sich vielleicht als schnelle und funktionierende Lösung an, die Probleme kommen aber in einer anderen Form wieder", ist Wilfried von Bredow überzeugt.

Kommentare