Die Volksschule mit den 30 Fremdsprachen

Die Volksschule mit den 30 Fremdsprachen
Schulbesuch – In Wien gibt es 220.000 Schüler, aber nur jeder Zweite hat Deutsch als Muttersprache.

Josef spricht fließend Arabisch. Die achtjährige Zoe fühlt sich im Englischen zu Hause und Jenny mag Chinesisch lieber als Deutsch. "Deutsch kann doch eh a jeder", sagt wiederum Arben, der "ungefähr fast neun Jahre alt ist" und bestens Bosnisch spricht.

Sie alle besuchen die 3a-Klasse der Europäischen Volksschule (EVS) in Wien-Rudolfsheim. Es ist eine Klasse, in der 19 Kinder zehn verschiedene Mutter­sprachen sprechen. Nur einer von ihnen – Paul, der Rechenkönig – wuchs mit der Erstsprache Deutsch auf. "Und es funktioniert sehr gut", sagt Klassenlehrerin Julia Kolonovics. "Die Kinder werden von uns vor allem auf Deutsch, aber auch in Englisch und in ihrer Muttersprache unterrichtet."

Die 3a-Klasse in Rudolfsheim mag ein Extremfall sein, ein Einzelfall ist sie sicherlich nicht. Mittlerweile hat jedes zweite Schulkind in der Bundeshauptstadt eine andere Muttersprache als Deutsch (46,6 Prozent, siehe Grafik) . In ganz Österreich traf dies im Vorjahr auf 207.054 Schüler zu (21,2 Prozent). Die drei Bundesländer mit dem höchsten Anteil an Schülern mit anderen Erstsprachen sind Wien (46,6 Prozent), Vorarlberg (23 Prozent) und Salzburg (18,1 Prozent).

Minderheitenprogramm?

Populistische Parteien wettern deshalb schon lange, dass "österreichische" Schulkinder zur Minderheit in den heimischen Klassenzimmern geworden seien. Susannah Bständig hat all diese Schreckensszenarien oft gehört – daran glauben tut die Direktorin der EVS nicht: "Ich habe 100 Prozent Kinder an der Schule und mir ist wurscht, woher sie kommen." Bständig geht mit ihrer Volksschule im sozial schwächsten Bezirk Wiens schon seit Jahren andere Wege. "Es geht darum, die Vielsprachigkeit nicht als Makel, sondern als das zu sehen, was sie ist: eine Riesenchance für die Kinder und für die ganze Gesellschaft."

An der EVS werden sogenannte Sprachateliers angeboten. Arben absolvierte etwa einen sechswöchigen Schnupperkurs in Ungarisch, Jenny versuchte sich in Portugiesisch und Paul verfügt über einen kleinen französischen Grundwortschatz. Darüber hinaus wurde aber auch der muttersprachliche Unterricht stark ausgeweitet. "Zig Studien haben bewiesen: Wer seine Muttersprache nicht kann, lernt auch Deutsch nicht gut genug."

Mittlerweile gibt es deshalb auch an fast allen Pflichtschulen in Wien Zusatzlehrer für muttersprachlichen Unterricht. "Seit Einführung des verpflichtenden Kindergartenjahres ist es auch seltener der Fall, dass Kinder in die Volksschule kommen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen", sagt Bständig. Die Stadt Wien intensiviert heuer auch ihren sogenannten Leseschwerpunkt – Crashkurs, Lesewoche und Wien-weiter Lesetest inklusive.

Also alles eitel Wonne? "Zu tun gibt es noch viel", sagt Bständig. "Dringend notwendig wäre, dass jede Schule einen Sozialarbeiter hat. Denn gerade Migranteneltern sind mit Alltagsfragen oft überfordert. Da könnte leicht geholfen werden."

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