André Riot Sarcey: Der Clown-Professor aus Frankreich

André Riot Sarcey: Der Clown-Professor aus Frankreich
André Riot Sarcey war einer der ersten Clowns im Circus Roncalli. Heute coacht er Clown-Doktoren.

Ein Augustin stolperte in die Manege. Er hielt eine Trompete in der Hand. Die Hose war ihm zu groß, der breite Mund reichte von Ohr zu Ohr: "Wo ist hier der Eingang?", fragte der Mann mit französischem Akzent und großen Augen. Das Publikum im Zirkuszelt tobte vor Lachen. André Riot Sarcey konnte zufrieden sein mit seinem Auftritt im "Circus Roncalli". Dieser gastierte 1976 erstmals in St. Marx, im dritten Wiener Gemeindebezirk. Der Franzose gehört zu den wenigen heute noch lebenden Clowns, die anfangs dabei waren. Zirka sechs Monate tourte der damals 35-Jährige mit dem Zirkus durch Österreich und Deutschland.

Heute, 40 Jahre später, ist er wieder in Wien – um Clowns zu coachen. Sarcey ist Clownprofessor. Er gründete die Gruppe "Les Nouveaux Nez" und "La Cascade", ein Zentrum für Clownerie in Südfrankreich. Er schreibt Stücke, tritt selber auf und bildet andere aus. Zum Beispiel "Rote Nasen" oder "CliniClowns", die kranke Kinder in Krankenhäusern oder Menschen in Altersheimen besuchen. "Ich habe früh erkannt, dass mir Kinder und Erwachsene zuhören, wenn ich Geschichten erzähle, mit vielen Worten oder durch Pantomime. Man sieht, wie Vorstellungskraft und Kreativität wachsen und glitzern." Egal, ob Spital oder Zirkuszelt, das Publikum macht für ihn keinen Unterschied – die Rolle muss funktionieren. "Es ist die beste Möglichkeit, um Zeit stehen zu lassen und andere zum Lachen zu bringen", sagt André, trinkt den Kaffee aus und geht gegenüber ins Theater Olé, einem kleinen Ort für Clownerie in Wien-Landstraße.

André Riot Sarcey: Der Clown-Professor aus Frankreich
Clown Training, für Clini Clowns und Rote Nasen Clowns
Hier sitzt der Professor am Boden des Kellerraumes. Ungeschminkt, ohne rote Nase, leger in Jeans und grauem Pullover. Acht "CliniClowns" sitzen rund um ihn in einem Kreis. Ihre Hüte, bunte Hosen, Strümpfe und rote Nasen sind in Taschen und Koffern verstaut, die Kostüme sind Nebensache. "Der Mensch hinter der Figur ist das Wichtigste", erklärt André und zeigt die erste Übung vor. Er steht auf, sagt ein Wort, macht eine Geste und setzt sich wieder hin. "Ruhig sein, nicht bewegen, sich bewusst machen, was man tut." Er schlägt die Hände übertrieben weit auseinander. "Bitte nichts vorgefasstes machen, das soll spontan passieren."

Beobachten lernen

Die Clown-Schüler machen es nach, jeder einzeln. Es geht um Konzentration und um Disziplin. André rückt seine Brille zurecht. Den anderen rät er, aufmerksam hinzusehen, sie müssen einander später imitieren. "Der Clown sieht alles, will alles wissen und beobachten."

Gelernt zu beobachten hat André von klein an. Er wuchs mit vier Geschwistern am Land auf: "Ich war immer auf mich alleine gestellt – ohne Großeltern und mit schweigenden Eltern." Das genaue Beobachten der Natur, der Tiere und Pflanzen inspirierte ihn. Aber auch das Studieren anderer, etwa in Feriencamps. Als 14-Jähriger passte er auf Jüngere auf. "Ich lernte mit ihnen und begann zu erkennen, dass ich selber wissender und besser werde, wenn ich ihnen etwas beibringe", sagt er.

André Riot Sarcey: Der Clown-Professor aus Frankreich
Clown Training, für Clini Clowns und Rote Nasen Clowns
Zum Clown wurde er erst in seinem zweiten Leben, erklärt er und lacht. Zuvor unterrichtete er als Volksschullehrer. Wegen seiner Beobachtungsgabe riet man ihm, nach Paris zu gehen – an die Ecole Internationale de Théâtre von Jacques Lecoq, einem renommierten Theaterpädagogen, Schauspiellehrer und Pantomimen. "Ich lernte kreativ zu sein, nichts auswendig zu lernen." Das alleine macht noch keinen guten Clown aus: "Er muss sensibel, ehrlich sein und eine gute Menschenkenntnis haben", sagt der 75-Jährige heute. Vor allem aber zeige der Clown alle Schwächen eines Menschen: schlechtes Gedächtnis oder Tollpatschigkeit. Warum er heute andere lehrt? "Ich habe gelernt, dass ich besser bin, wenn ich andere ausbilde." Wie einst im Feriencamp. Und wie heute im Theater Olé.

Zu sich finden

Dort sind die Teilnehmer mit der ersten Übung fertig: Sie dürfen in ihre Rollen schlüpfen, die Dr. Rotznase oder Dr. Spaghettini heißen. Sie packen Ukulelen, Hüte, Plastikblumen aus, ziehen bunte Strümpfe, Hosen oder Ballettröckchen an. "Beim Umziehen ruhig werden, nicht herumreden, zu sich und in seine Rolle finden", sagt André und zieht sich den zu langen Mantel an, der die zu große Hose bedeckt. Zum Schluss kommt die rote Nase. Sie macht den Clown vollkommen.

André Riot Sarcey: Der Clown-Professor aus Frankreich
Clown Ander riot Sarcey, honorarfrei
Kritisch beäugt er einen Schüler, der sich in der Pantomime durch den Raum bewegt. "Du machst den Clown, aber du bist es nicht", stellt André fest. Als der Schüler später auf einem Sessel sitzt, sagt er ihm, dass er nun viel mehr Clown sei: "Die Komik kommt von allein, wenn ich bei mir bin, mir treu bin." Für André Riot Sarcey haben Clowns eine tragische Seite, sie tragen die Menschheitsgeschichte in sich: "Sie lachen nicht, sie bringen andere zum Lachen." 50 Jahre trägt André die rote Nase schon. Für ihn ist es Zeit, seine Memoiren zu schreiben. "Das Geschriebene bleibt lebendig und ein Clown existiert nur, wenn er lebendig ist."

Getupfte Strumpfhose, Badehaube, Tasche, rosa Kleidchen und rote Nase – mehr braucht Dr. Tupfen-Topfen nicht für ihre Visite. Und klopft an der Zimmertür. Ihre Aufgabe: Chronisch- und schwerkranken Kindern helfen, ihre Krankheit für einen Moment zu vergessen. Flink zaubert sie eine bunte Nase hinter dem Ohr des Patienten hervor – und ihm ein Lächeln auf die Lippen. "Die Kinder haben oft viel Spaß, auch wenn es nur ein paar Minuten sind. Manchmal spielt es sich richtig ab", sagt die Clownfrau. Seit 1992 besucht Verena Vondrak-Zorell alias Dr. Tupfen-Topfen für die CliniClowns Patienten. Dafür braucht es Fingerspitzengefühl – denn die scheinbar einfache Aufgabe ist manchmal sehr schwer: "Man muss spüren, ob es jetzt für die Kinder passt oder nicht. Wir wollen niemanden zwangsbeglücken und fragen vorher immer." Vor allem bei Jugendlichen müsse man sensibel sein, sagt Vondrak-Zorell, die auch als Direktorin eines Clowntheaters arbeitet und mit ihrem Mann Hubertus Clownworkshops veranstaltet.

André Riot Sarcey: Der Clown-Professor aus Frankreich
dr. tupfentopfen, cliniclowns
Gegründet wurden die CliniClowns 1991 in Wien. Das Konzept von den Spitalclowns geht auf Michael Christensen zurück, einen US-amerikanischen Clown, Jongleur und Gründer des "Big Apple Circus" (New Yorker Stadtzirkus). Er entwickelte 1986 das "Clown Doctoring" und gründete eine Organisation, die Clowns in Kinderkliniken schickte. Die Idee kam ihm, während er seinen krebskranken Bruder seelisch mit Humor begleitete.

Im September vor 25 Jahren besuchte das erste Clownpaar die Kinderdialysestation im Wiener AKH – sie waren die Ersten in Europa. Seitdem führen 69 CliniClowns in 52 Spitälern und Geriatriezentren Visiten durch, bei jungen und älteren Menschen. Jene, die sich in Altersheimen einsam fühlen, freuen sich besonders über den ungewöhnlichen Besuch, berichtet Vondrak-Zorell.

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