Die Zukunft war auch schon einmal besser

Kultautor William Gibson
"Peripherie" von Kultautor William Gibson ist ab dem 27. 8. auch auf Deutsch im Handel

Es sind die Romane von William Gibson gemeinhin nicht voll von guten Nachrichten. Gibson ist ein Visionär, und er sieht eine technologiebeherrschte Zukunft, die wenig tröstlich daherkommt.

Lange, lange vor Google, Facebook, Datenbrillen und Hasskommentatoren ist er schon in den frühen 1980er Jahren in den Cyberspace – seine Wortschöpfung! – eingetaucht. Und er hat dort eine moralbefreite, aus allen institutionellen Bindungen herausgebrochene, ums nackte Überleben im Alltag kämpfende Menschheit gefunden, an die wir inzwischen unerquicklich nahe herangerückt sind. Kurz: Gibson ist mehr als ein Cyberpunk-Alltagsautor, er ist Vorreiter und Leitfigur einer technologiefundierten Science-Fiction-Literatur, die zur Gegenwartsliteratur zu werden droht.

Dementsprechend hoch ist der Aufmerksamkeitsgrad, wenn der fleißig twitternde Autor (Jahrgang 1948) ein neues Buch bringt. Denn auch die jüngeren Werke sind erstaunlich oft hellsichtig; wie zuletzt die 2003 mit der Werbeabrechnung "Pattern Recognition" gestartete "Blue Ant"-Trilogie.

Zurück in die Zukunft

Nun, in "Peripherie" (ab 27. August auf Deutsch im Handel), rückt Gibson weiter weg vom Heute und knüpft an jene Art von Science Fiction an, die er vor der Jahrtausendwende geschrieben hat.

Es geht um eine Zukunft, die es nicht geben wird.

Ja, das Setting in "Peripherie" ist gar ein wenig theoretisch, jedenfalls ordentlich Stoff zum Nachfühlen diverser Überlegungen zu Zeitreisen, die den Kopf zuerst durchlüften und dann auch ein wenig weh tun.

Die eine Gegenwart (es gibt mehrere), die beschrieben wird, kennt man: Die USA sind in gesellschaftlicher Auflösung begriffen. Geld und Waffen lösen Probleme, der Staat ist machtlos, die Menschen vermieten sich für diverse Jobs an die Geldelite.

Etwa dafür, in einer virtuellen Welt Wachdienste zu schieben: Die Reichen wollen sich auch dort ungestört von Feinden und vom Pöbel treffen können. Also heuert man Spieler an, die Drohnen steuern, um Unliebsames fernzuhalten. Flynne, Hauptfigur des Buches, lernt aber rasch, dass etwas nicht stimmt. Auch wenn es dann lange dauert zu durchschauen was. Die Welt, in die sie für ein paar Dollar Lohn eintauchte, war nämlich nicht virtuell. Sondern die Zukunft.

Aus der Vergangenheit

Dort gibt es noch mächtigere Menschen, und auch ihnen ist die Technologie entglitten: Der neueste Trend ist, sich unwissende Menschen als Spielfiguren aus der Vergangenheit zu holen. Mit allen möglichen Folgen. Eine davon ist (aus Gründen, die man während der Lektüre zu verstehen glaubt): Die Vergangenheit steht plötzlich ohne Zukunft da, die Gegenwart ist abgebogen und schafft eine neue Zukunft.

Was vielleicht nicht schlecht ist, denn zwischen den Zeiten liegt eine große Katastrophe, über die man wenig erfährt. London jedenfalls ist in Zukunft erfreulich menschenleer.

Klingt komplex, liest sich aber rasant – als Politabrechnung, Gesellschaftskritik, Technologie-Vision, auch als ganz gewöhnlicher Thriller.

Ein großes Aber

Ärgerlich viele Science-Fiction-Schreiber versenken die wundersamsten Ideen und Konstellationen, indem sie die banalsten und erwartbarsten Enden drankleben. So vielen Autoren wünscht man einen verpflichtenden Schreibkurs zu "Stoffentwicklung und Ausführung" an den Hals.

Aber doch nicht William Gibson? Doch, auch William Gibson. Dem ansonsten gegen diese Genrekrankheit immunen Autor entgleitet das Finale völlig. Man erwartet einen doppelten Boden oder zumindest eine letzte Idee; es wird aber schlicht die Geschichte nach dem Konsum abserviert. Aber bis dahin war das Buch schon lohnend genug.

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