Die "Nürnberger Prozesse" aus Sicht von Marcel Ophüls

Oscar-Preisträger Marcel Ophüls präsentiert in Wien seine verschollen geglaubte Doku „Memory of Justice“.
Der Oscar-Preisträger präsentiert in Wien seine Doku "Memory of Justice".

Herz und Hirn" sollen die Wiener Festwochen dominieren. Das versprach Intendant Markus Hinterhäuser vor deren Eröffnung. In der zweiten Halbzeit zielt das Festival auf tiefer liegende Körperteile – mit einem Schlag in die Magengrube.

Für die Doku "Memory of Justice", die Montagabend im Stadtkino im Künstlerhaus (18.00 Uhr) ihre Österreich-Premiere hat, braucht man starke Nerven. Regisseur Marcel Ophüls wird bei der Premiere dabei sein. Mit seinen Filmen hat er sich an schwere Themen gewagt: Hass und Gewalt, Nationalsozialismus, Antisemitismus, Kriegsverbrechen. Sein Antrieb war und ist Empörung. Wie etwa für "Hotel Terminus", die Abrechnung mit dem Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie, für die er den Oscar bekam. Trotzdem gesteht der nicht minder berühmte Sohn des legendären Filmregisseurs Max Ophüls ("Liebelei", "Lola Montez"): "Ich bedaure, dass ich nicht Liebesfilme drehen kann wie mein Vater."

Memoiren

Seine vor kurzem präsentierte Autobiographie "Meines Vaters Sohn" liest sich wie ein Who’s who der Filmgeschichte und ist ein ebenso anekdotenreiches wie kritisches Panorama des 20. Jahrhunderts. Ophüls erzählt von seiner Kindheit in Paris und Hollywood und von Begegnungen mit den Großen des Films .

Mit Bertolt Brecht hatte der junge Marcel Schach gespielt – und immer verloren. In Paris folgten Freundschaften mit Jean-Luc Godard und François Truffaut. "François hat mir kurz vor seinem Tod gesagt: ,Versprechen Sie mir, dass Sie Ihre Memoiren schreiben’." 30 Jahre später sei er diesem Wunsch "von ganz oben" gefolgt.

Ophüls war sechs, als er und seine Familie von den Nazis vertrieben wurden. Bis heute hat er keinen deutschen Pass – er ist französischer und US-amerikanischer Staatsbürger. In seinen Memoiren erzählt er auch, wie er aus Verzweiflung zum Dokumentarfilm kam, nachdem er als Spielfilmregisseur gescheitert war.

Dass er den Spielfilm höher schätzt, ist ein Grund für sein Credo: "Auch der strengste Dokumentarfilmer darf nie vergessen, dass er sein Publikum unterhalten muss!"

Die Columbo-Taktik

Was Ophüls damit meint, wird klar, wenn man die Interviews in seinen Filmen sieht – provokant, frech, zweifelnd, respektlos und gerade deshalb effektiv. Seine Interview-Methode nennt er die "Peter-Falk-Columbo-Taktik", in der sich "der tiefe jüdische Glaube an Wahrheit und Gerechtigkeit verbirgt".

In "The Memory of Justice", dem 1975 gedrehten und lange verschollen geglaubten Film über die Nürnberger Prozesse, provoziert Ophüls mit seiner eigenwilligen Rhetorik Antworten auf Fragen, die uns bis heute bewegen. Er stellt die Nazi-Verbrechen in Relation zu späteren Kriegsverbrechen und lässt dazu auch Veteranen des Algerien- und des Vietnam-Krieges zu Wort kommen. Dass "Monster nicht so aussehen, wie wir uns Monster vorstellen", und dass "große Kriegsverbrecher auch attraktive Seiten haben können", so Ophüls, habe er einsehen müssen, als er Albert Speer begegnet sei, "einem überaus charmantem Mann".

Nach seinem Plänen gefragt, erzählt Ophüls von Dreharbeiten in Paris – während der Demonstrationen gegen den Terroranschlag auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo und die Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt. Aus Ophüls spricht einmal mehr die Empörung, die immer schon der Antrieb für seine Filme war:

"Diese Scheiß-Mörder, diese grauenhaften, unkultivierten Fanatiker, die wussten genau, warum ihre Form von Islam keinen Humor duldet – so wie der Hitler genau wusste, warum er die Juden nicht will!"

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