Wenn Jelinek auf Oscar Wilde trifft

Wenn Jelinek auf Oscar Wilde trifft
Barbara Frey inszeniert am Akademietheater Oscar Wildes "Der ideale Mann". In einer Fassung von Elfriede Jelinek. Frey im KURIER-Interview.

Elfriede Jelinek hat Oscar Wildes "Der ideale Mann" übermalt. Das ist jedenfalls das Wort, das Regisseurin Barbara Frey für die Textneufassung verwendet. Die Intendantin des Schauspielhaus Zürich wagt sich mit dieser Inszenierung am Akademietheater erstmals an Jelinek. Gespielt wird im Heute, Frey will "nichts Müffelndes". Das würde gar nicht passen. Denn Jelinek hat aus dem Skandal um den Bau des Suezkanal, um den es beim wilden Iren noch ging, eine Hypo Alpe Adria Angelegenheit gemacht. Frey: "Sie hat dazu mehrere Wortschöpfungen: Hyper-Alpenkanal, Kanalalpenvorhaben. Ich habe mich in der Vorbereitung mit vielen Grasser/Swarovski-Berichten beschäftigt."
Premiere ist am 23. 11.

KURIER: In der Realität gab's Teilgeständnisse, Tagebuchfetzen ... Das passt hervorragend zu Oscar Wildes Stück.
Barbara Frey: Stimmt, da funktioniert viel über Schriftstücke. Und bei Jelinek bleibt manches absichtlich diffus. Lord Chiltern hat einen Monolog über das Finanzwesen, bei dem man gar nicht alles versteht. Das ist gewollt. Mit dieser Undurchsichtigkeit handeln die realen Akteure im Bankenbusiness; wir, die kleinen Anleger sollen das gar nicht durchschauen. Der Rechtsstaat durchschaut's teilweise auch nicht. Unheimlich! Damit spielt Jelinek: Wo verwässert sich Moral und Ethik in einem Geflecht aus Seilschaften? Das ist was sehr Österreichisches, diese Politik der Seilschaften.

Chiltern ist bei Jelinek Lobbyist à la Mensdorff-Pouilly. Und: Kurz steht die "Buberlpartie" im Raum, also, dass mit dem zwielichtigen Baron Arnheim was gelaufen wäre.
Wenn's den eigenen Interessen dient, geht man auch mal einen Schritt weiter als normal. Dann Schwamm drüber und das war's. Chiltern macht Mrs. Cheveley absolut unseriöse finanzielle Angebote, wie man Geschäfte über den "Liechten Stein" spielen könnte. Das gehört sozusagen zum guten Ton. Es wird immer schwieriger zu sagen,
wo die Grenze zwischen Flegel- und Verbrechertum verläuft. Guckt man sich Berlusconi an, ist der Kasperlefigur und Schwerverbrecher. Dieser Kabarettaspekt der Politik ist heikel; für Kabarett kann man niemanden haftbar machen.

Anders, neu, ist auch die Interpretation der Lady Chiltern, die zur Charity-Lady mit Politcircle mutiert.
Ja, sie organisiert "kommunales Teppichweben für Kinder". Sie hat darin eine gewisse Vulgarität, die man bei bestimmten Damen der österreichischen Gesellschaft durchaus findet. Wenn man sich anguckt, wie sich da manche benehmen - zwischen Charity und Geschmacklosigkeit, gemixt mit vermeintlicher political correctness - das hat diese Lady Chiltern: einen Mix aus Erhabenem und Deftig-Unangenehmem.

Die Sprache im Stück ist extrem zeitgemäß. Ob's der Wortspiele und Kalauer nicht zu viele des Guten sind?
Das ist etwas, was wir gerade auf den Proben herausfinden. Für Frau Jelinek ist es ja kein Problem, dass man mit Text umgeht, wie man will. Es ist jedenfalls bei ihr wie bei Wilde wichtig, dass Sprache für Demaskierung sorgt. Jelinek ist eine große Nonsense-Fanatikerin; sie lässt ihre Texte oft programmisch in den Unsinn driften.

In einen Sigmund-Freud'schen Nonsense ...
Genau, es kommt etwas Verbotenes nach oben. Und manchmal so verquer nach oben, dass man das Eigentliche gar nicht mehr erkennt. Die Sprache als eine Art Insekt, das sich verselbsständigt.

Sie mögen Komödie.
M i ch reizt, dass das Lachen über Situationen oder Figuren immer eine Grundierung der Not hat. Wenn etwas keinen Abgrund, keine Peinlichkeit hat, ist es auch nicht komisch. Deshalb finde ich das Tragödienhafte an der Komödie schön. Man erkennt darin
seine eigene tagtägliche Lächerlichkeit. Komödie zu inszenieren ist also eine Art Exorzismus, ein Austreiben der eigenen Lachhaftigkeit.

Wenn Jelinek auf Oscar Wilde trifft

Sie waren mal Schlagzeugerin. Hilft Rhythmusgefühl beim Timing der Pointen?
Wahrscheinlich. Ich versuche eine bestimmte Musikalität reinzubringen, sonst fliegt einem das ganze Ding um die Ohren.

Im Sinne von Outrage?
Outrage - zurückgenommen und trotzdem zu viel - das ist doch very british!
Sie sprachen eingangs von österreichischen Seilschaften. Sind die der Schweiz anders?
D ie Schweiz hat es bis jetzt immer geschafft, sich aus allem rauszuhalten. Das ist etwas, das in mir Unmut erzeugt, dieses Image des kleinen, unabhängigen Ländchens. Ein einig Volk von Brüdern, wie's heißt im Wilhelm Tell. Dadurch tut man so, als gebe es diese Art von Allianzen nicht. Den Glamour, den Seilschaften hier haben, den kann man in der Schweiz nicht erzeugen, dazu sind wir zu protestantisch, zu schmucklos. Hier hat das eine gewisse Erotik, dieses Verbrecherische. Hier sind Samt- und Schmirgelpapier sehr nah zusammen. In der Schweiz bewegt sich alles versteckt im Hinterzimmer, dass sich jemand für ein "Kavaliersdelikt" Öffentlichkeit, Aufmerksamkeit, Applaus verdient, würde man den Leuten nicht gönnen.

In der Schweiz gibt's keine Kavaliersdelikte?
Da heißen sie nicht so. Wir sind doch verschwiegen: Deckel drauf und stur aussitzen. Das spürt man in Zürich auch beim Theaterpublikum; es ist zurückhaltender, weniger feierfreudig als in Wien.

Das Sprichwort, das zum Stück passt, ist, dass wer Erfolg hat, auch eine Leiche im Keller hat. Sie haben Erfolg.
Und Leichen im Keller! (Sie lacht.) Wenn ich die zusammenzählen würde, das würde den Rahmen dieses Interviews sprengen.

Zum Stück: Weiße Weste mit altem Fleck

Bestechende Komödie:
In Oscar Wildes 1894 entstandenem Stück versucht die Betrügerin Mrs. Cheveley den aufstrebenden Politiker Lord Chiltern zu erpressen. Er hat einst seiner Karriere mit einem Insidergeschäft den nötigen Schub verpasst; nun soll ihn ein Brief des damaligen Nutznießers, Baron Arnheim, enttarnen, wenn er sich im Parlament nicht für ein von Cheveley kofinanziertes Kanalprojekt stark macht. Die Intrige nimmt ihren Lauf; die hehre Lady Chiltern ist über ihren "idealen Gatten" entsetzt.

Inszenierung:
Am Akademietheater spielen u. a. Michael Maertens, Maria Happel, Kirsten Dene und Johann Adam Oest.

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