Vor der Premiere: Welser-Möst im Interview

Vor der Premiere: Welser-Möst im Interview
Franz Welser-Möst leitet "Cardillac", die erste szenische Premiere der neuen Staatsoperndirektion. Das große Interview zu Kunst, Geld und Politik.

Der Generalmusikdirektor über Barockperücken, Ungeziefer, Pipifax und Pereira.

KURIER: Herr Welser-Möst, nächste Woche beginnen in Wien die Koalitionsverhandlungen. Wie kommentieren Sie das Wahlergebnis?
Franz Welser-Möst: Ich finde es höchst bedauerlich, dass die Krakeeler doch so einen großen Zulauf bekommen haben. Anscheinend gelingt es der Politik nicht, Dinge den Leuten zu vermitteln, die für die Menschen auch wichtig sind. Man kann ja nicht immer nur nach dem Gerede der Straße regieren. Aber jedes Land hat die Regierung, die es verdient. Im Grunde ist es ein Aufruf an jeden einzelnen, sich auch wirklich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen. Wir nähern uns auch langsam amerikanischen Verhältnissen an, was die Wahlbeteiligung betrifft. Ich glaube nicht, dass es in den letzten 50 Jahren einen amerikanischen Präsidenten gegeben hat, der mit mehr als 60 Prozent der Stimmen gewählt wurde. Das finde ich wirklich traurig. weil die Demokratie lebt davon, dass man sich alle paar Jahre an der Wahlurne ausdrückt. Bei der Wien-Wahl gibt es drei Verlierer und einen Gewinner. Und das sind ausgerechnet diejenigen, die bei allem nur dagegen sind. Von Seiten der Kultur muss ich sagen, dass in einer Stadt, in der die Kultur das Wichtigste ist, von einem Pipifax-Ressort gesprochen wird, ist unfassbar. Ich habe mich da persönlich beleidigt gefühlt.

Trotzdem könnte das Kulturressort eine Manövriermasse in einer Koalition sein
.
In den letzten Jahrzehnten hat sich Wien sehr verändert. Ich kann mich noch erinnern, wenn man in den 60er- oder 70er-Jahren am Westbahnhof angekommen ist, wie grau und heruntergekommen Wien war. Und wie Wien in den 80er- und 90er-Jahren eine Blüte erlebt hat. Gerade in der Kultur und mit wechselnden Stadträten. Ich fände es traurig, wenn man sagt: Kultur ist nicht wichtig, und es ist egal, wer das macht. Es ist nicht egal. Der Tourismus - und es sind pro Tag mehrere Hunderttausende Touristen in der Stadt - lebt von der Kultur. Die Touristen kommen ja nicht wegen des Würstelstands oder der Kebab-Bude nach Wien. Sie kommen wegen der Kultur. Das Kulturressort ist geradezu ein Lebensnerv-Ressort für diese Stadt. Das zur Verhandlungsmasse zu erklären, wäre eine Bankrotterklärung. Denn Wien ist eine pulsierende, lebendige Stadt.

Nur wird dieser Lebensnerv von den Politikern sehr gern beiseite geschoben . . .
Ich ärgere mich auch jedes Mal, wenn man über Salzburg sagt: Wir bedanken uns beim Steuerzahler. Natürlich gibt es öffentliche Gelder. Aber man muss sich umgekehrt anschauen, wie viel da zurückfließt. Um ein Vielfaches mehr. Die Kultur subventioniert ja andere Bereiche. Und das finde ich auch in Ordnung. Nur man soll nicht immer so tun, als wäre das nicht der Fall. Ich sage nur: Setzen wir Salzburg ein Jahr aus und schonen wir den Steuerzahler - dann sehen wir, wie Salzburg innerhalb eines Jahres von einer reichen Stadt zu einer armen werden würde. Machen wir doch die Probe aufs Exempel.

Oft aber wird die Kunst als elitär kritisiert . . .
Das ärgert mich unfassbar. Was kostet ein Stehplatz in der Wiener Staatsoper und was kostet eine Karte für ein Fußballspiel? Die Karte für den Fußball ist wesentlich teurer. Ich war in den USA eingeladen zu einem Basketball-Spiel. Ich habe gefragt: Wie viel kosten die Karten? 700 Dollar. Und dann redet man davon, dass das Cleveland Orchestra elitär sein soll? Da stimmen doch die Relationen nicht mehr.

Mit Kultur lassen sich aber keine Wähler gewinnen, mit dem Thema Migration jedoch schon. Wie kommentieren Sie es, dass Europa dieses Thema so wichtig nimmt.
Das ist ein Phänomen in der gesamten westlichen Welt. Auch in Amerika. Erst vor zehn Jahren haben die Amerikaner eine Mauer gegen Mexiko gebaut. Da gibt es ganz heftige Diskussionen. Schalten Sie nur einmal Fox-TV ein. Wie da gegen die Einwanderer gehetzt wird. Außerdem gibt es in Amerika einen christlichen Fundamentalismus, der mir kalte Schauer über den Rücken jagt. Das ist ein Phänomen der gesamten westlichen Welt. Ich glaube, das kommt daher, dass wir uns mit der absteigenden wirtschaftlichen Kraft im Vergleich zu China und Indien nicht mehr zu helfen wissen und wir dann automatisch Nebenschauplätze und Feindbilder suchen. Wenn man weiß, dass ein Drittel aller amerikanischen Staatsanleihen in chinesischem Besitz sind, wundert man sich nicht mehr. Da ist es viel leichter, sich mit Afghanistan anzulegen als mit China.

Haben Sie schon Erfahrungswerte, wie sich der Job in Cleveland mit der Wiener Staatsoper vereinen lässt?
Ich mache keine Gastdirigate mehr, sondern konzentriere mich auf meine beiden Aufgaben. Insofern geht sich das zeitlich alles gut aus. Und ich muss außerdem sagen: Hier, an der Staatsoper gibt es eine tolle Mannschaft. Studioleiter, Korrepetitoren, die alle an einem Strang ziehen. Und auch mit Dominique Meyer geht alles sehr informell. Einmal steht er bei mir im Zimmer, einmal ich bei ihm, und so lösen wir die größeren und kleineren Probleme, ohne für jedes eine große Sitzung anberaumen zu müssen.

Man hat das Gefühl, dass die neue Direktion der Staatsoper einen sanften Relaunch durchgeführt hat. Wie empfinden Sie die Stimmung im Haus?
Jedes neue Führungsteam bringt auch eine andere Stimmung. Wenn dem nicht so wäre, wäre ja Dominique Meyer nur ein Holender-Klon. Der Respekt vor der Leistung eines Ioan Holender bedeutet ja nicht, in Erstarrung zu verfallen und zu versuchen, der bessere Holender zu sein. Das wäre ja genau falsch. Dominique Meyer ist Dominique Meyer. Und er macht seine Sachen auf eine ganz andere Art und Weise. Aber er macht sie konsequent. Wenn man sich auf dieses Haus einlässt, für das es einen ganz genauen gesetzlichen Auftrag gibt, was hier zu tun ist, hat man diesem Auftrag nachzukommen. Irgendwelche Revolutionen sind daher sinnlos. Sanfte Änderungen und Neuerungen sind aber sehr wohl möglich. Wir versuchen innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Rahmens die bestmögliche Qualität herzustellen. Sie können mir glauben, das ist Herausforderung genug.

"Cardillac" ist Ihre erste Premiere als Generalmusikdirektor. Hat sich für Sie da etwas geändert?
Nein, überhaupt nicht.

Wo liegt bei diesem Stück die Herausforderung?
(lacht) Es ist schwer. Die Oper wurde 1926 komponiert und ist sehr modern. Sie klingt zum Teil sehr schräg. Aber genau diese Schrägheit ist ja eine hochinteressante Farbe, die auch ihren Platz in unserem Repertoire haben muss. Ich glaube auch, dass man heute zu diesem Stück wieder einen besseren Zugang findet, als noch vor einigen Jahrzehnten. Es ist ein kompaktes, intensives Drama, das gespielt gehört.

Haben Sie jemals überlegt die zweite, von Hindemith in den 50er-Jahren überarbeitete Fassung zu wählen?
Ich habe sie mir natürlich angesehen. Aber ich finde die zweite Fassung viel schwächer, weil er musikalisch vieles abgemildert hat. Ich finde diese freche, schräge, konsequentere, erste Fassung viel stärker. Was Hindemith da komponiert hat, würde man ihm gar nicht zutrauen. Ich habe das so ausgedrückt: Unter dieser Barockperücke ist einiges an Ungeziefer vorhanden.

Sie dirigieren "Cardillac" zum ersten Mal. . .

Ja. Aber ich kenne die Oper schon lange und gut. Und das wird es noch öfter geben, dass ich Stücke zum ersten Mal dirigiere. Ich will mich ja nicht langweilen. Dafür bin ich ein zu neugieriger Mensch. Ich finde prinzipiell: Man lebt, solange man lernt. Ich habe mir für mein Leben vorgenommen, bis zum letzten Tag immer noch was Neues dazu zu lernen.

Vor der Premiere: Welser-Möst im Interview

Sie dirigieren im ersten Jahr vier der sechs Premieren. Das wird sich in den nächsten Jahren zeitlich wohl nicht ausgehen, oder?
Da ist aus der Not eine Tugend gemacht worden. Mit einem relativ späten Planungsstart, konnten wir gar anders agieren. Aber "Katja Kabanova" etwa wollte ich unbedingt selbst dirigieren, weil Janácek für mich der sechste "Operngott" neben Wagner, Strauss, Mozart, Verdi und Puccini ist.

Sie dirigieren heuer auch die Premieren von Mozarts "Le nozze di Figaro" und "Don Giovanni" . . .
Weil es für ein Haus wie die Staatsoper unerlässlich ist, eine Art Mozart-Ensemble, eine Mozart-Pflege zu haben. Da gibt es einiges zu tun. Natürlich könnte man sagen: Da gibt es einen Overkill, der Generalmusikdirektor dirigiert vier Premieren. Aber es war schon immer meine Auffassung, dass der Generalmusikdirektor für das Haus auch da sein muss, wenn es einmal brennt. Für eine dieser Premieren war ein anderer berühmter Kollege vorgesehen, der sich aber zurückgezogen hat. Klar, bin ich dann zur Stelle. Das ist meine Pflicht. Sonst brauche ich so einen Posten gar nicht anzunehmen.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Orchester?
Wenn das Verhältnis nicht wirklich gut wäre, hätte mich das Orchester wohl nicht für das Neujahrskonzert eingeladen. Das ist schon ein Vertrauens- und Liebesbeweis. Das Orchester der Staatsoper muss man ja nicht neu erfinden. Das war in Zürich anders. da lag das Orchester darnieder, da musste ich Aufbauarbeit leisten. In Wien ist entscheidende Arbeit für mich, neue Sänger zu finden, die Ensemblesänger zu begleiten und aufzubauen.

Halten Sie es eigentlich für vernünftig, dass man fremde, alte Produktionen wie in dieser Spielzeit "Le nozze di Figaro" an die Staatsoper holt?
Ich halte das für einen sehr gangbaren Weg. Wir müssen schauen, dass wir das Repertoire erneuern. Wir können nicht zwölf oder 16 Premieren machen. Das geht aus vielerlei Gründen nicht. Da ist es dann ganz legitim zu sagen: Gut, wir lassen nicht alles neu inszenieren, sondern speisen gute, für Wien passende Produktionen hier in das Repertoire ein.

Einige Premieren der kommenden Jahre haben sich schon herumgesprochen: Ein neuer "Tristan", ein neuer "Lohengrin". Werden Sie beide Premieren leiten?
Ich werde "Tristan" dirigieren, den "Lohengrin" wird Christian Thielemann dirigieren. Ich wünsche mir, dass viele großartige Kollegen hier dirigieren. Etwa ein Kirill Petrenko oder ein Gustavo Dudamel? Diese Vielfältigkeit zeigt auch die Stärke des Hauses. Denn letztlich geht es mir darum, zu zeigen, dass der Star das Haus selbst, die Wiener Staatsoper ist.

Alexander Pereira, ihr ehemaliger Kollege in Zürich, ist zukünftiger Intendant der Salzburger Festspiele. Ihr Verhältnis war einmal so, einmal so. Wie ist es jetzt?
(lacht) So. Pereira hat eine große Qualität: Er ist nie beleidigt.

Aber er hinterlässt Beleidigte, wie etwa die Wiener Philharmoniker, die ihm gleich zu Beginn einiges übel genommen haben . . .
Pereira hat viele Seiten. Für Pereira ist die Welt ein großer Spielkasten. In dem tut er sich um und spielt und ist dann ganz überrascht, wenn einmal jemand nicht so spielen will, wie er. Aber wenn man ihn kennt, ist es gar nicht so schwer, mit ihm auszukommen. Ich war ja 13 Jahre in Zürich quasi mit ihm verheiratet und kenne ihn möglicherweise besser als er sich selbst.

Pereira ist auch jemand, der bemüht ist, jeden Abend perfekt zu verkaufen. Dafür sind ihm auch Mittel recht, die Ihnen als Künstler widerstreben müssten . . .

Das kann man so sagen. Es war nicht immer leicht. Aber Pereira ist der begnadetste Verkäufer, den ich je erlebt habe. Und er ist ein Meister im Schaffen von Tatsachen, denn plötzlich steht man mit dem Rücken zur Wand und weiß nicht, wie man da hingekommen ist.

Finden Sie es schade, dass die Idee gescheitert ist, die Wiener Philharmoniker unter einem Dirigenten Franz Welser-Möst bei den Osterfestspielen spielen zu lassen?
Was vorbei ist, ist vorbei. Ich weine prinzipiell nicht einer Sache nach. Außerdem sollte man überhaupt nie in der Vergangenheit denken.

"Cardillac": Alle Daten und Fakten

Werk
Paul Hindemiths "Cardillac" ist eine Oper in drei Akten und wurde in der Erstfassung 1926 in Dresden uraufgeführt. 1952 hat Hindemith die Oper noch einmal überarbeitet.Die literarische Vorlage stammt von E. T. A. Hoffmann. Inhaltlich geht es um den Goldschmied Cardillac, der alle Käufer seiner Schmuckstücke ermordet, weil er sich von seinen Kunstwerken nicht trennen kann. Am Ende wird er entlarvt und von der aufgebrachten Bevölkerung getötet.

Produktion
In der Staatsoper führt Sven-Eric Bechtolf Regie. Bühnenbild: Rolf Glittenberg. Kostüme: Marianne Glittenberg. Dirigent ist Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst. Es singen: Juha Uusitalo (Cardillac), Juliane Banse (Die Tochter), Herbert Lippert (Der Offizier), Tomasz Konieczny (Der Goldhändler), Matthias Klink (Der Kavalier), Ildiko Raimondi (Die Dame), Alexander Moisiuc (Führer der Prévoté). Die Staatsoper spielt die Erstfassung des Werkes.

Buchtipp: Der neue Opernchef erzählt

Vor der Premiere: Welser-Möst im Interview

Rechtzeitig vor ersten szenischen Premiere der neuen Direktion ist ein Buch erschienen, in dem Dominique Meyer über seine Karriere, seine Kindheit, seine Ansichten zur Kulturpolitik, zu Sängern und Regie, seine Liebe zur Barock- und zur groß besetzten Oper, seine Visionen von einem modernen klassischen Musiktheater etc. erzählt. Es trägt den Titel "Dominique Meyer - Szenenwechsel Wiener Staatsoper" (Styria Verlag), wurde von Michaela Schlögl liebevoll und kompetent aufgezeichnet und kostet 24,95 Euro.

Kommentare