"Theater ist eigentlich tot"

Herbert Fritsch wirft mit „Ohne Titel Nr. 1“ einen abstrakten, lustvollen Blick auf das Genre
Regisseur Fritsch legt in "Ohne Titel Nr. 1" die Oper auf die Couch.

Mit heiligem Ernst stürmen die Musiker in den Orchestergraben, der Dirigent hebt mit großer Geste an. Wo in anderen Opern aber das musikalische Breitwandkino losgeht, startet in Herbert Fritschs "Ohne Titel Nr. 1" – mal ganz lange nichts. Der Pianist sitzt nicht bequem genug, ein neuer Hocker muss her. Minutenlanges Warten.

Was dann losgeht, ist ein abstraktes, hoch lustvolles Spiel mit den Klischees der Oper. Und zugleich ein Bühnenspektakel voller Freude am Spielen: Die Schauspieler arbeiten sich an den wildesten Emotionen ab oder umspielen ein raumfüllendes Sofa. Unfertige Arien, Grimassen, Zaubertricks und Furzsalven reihen sich aneinander. Musik? Handlung? Dialoge, die man versteht? Sind nicht das Wichtigste bei einer Oper. Sondern die Emotion.

"Theater ist eigentlich tot"
Der Regisseur Herbert Fritsch posiert am Dienstag (03.05.11) in Berlin im Haus der Berliner Festspiele fuer den Fotografen. Zwei Inszenierungen von Fritsch sind beim Berliner Theatertreffen vom 6. bis 23. Mai zu sehen. (zu dapd-Text) Foto: Axel Schmidt/dapd

KURIER: Was hat Sie daran interessiert, eine Oper zu machen?

Herbert Fritsch:Für mich steht Oper für eine gewisse Künstlichkeit, für etwas, das sich nicht dauernd auf Realität beziehen muss. Man ist viel freier. Beim Sprechtheater ist alles schon vorgeformt, die Schauspieler sind von der Schauspielschule so ausgebildet, dass sie sehr zurückhaltend, vorsichtig und bescheiden agieren. Das interessiert mich nicht. Ich will freies, kräftiges Theater. Und da dachte ich mir: Ich mache jetzt etwas, das ich einfach "Oper" nenne.

Aber werden nicht gerade in der Oper Konventionen bedient – vom Rampensingen bis zum Niederkippen?

Was man an den meisten Opern erlebt, ist Verleugnung der Oper, etwas Zurechtgestutztes. Alles, was Oper ausmacht, etwa das Wilde in der Gestik, wird den Sängern ausgetrieben. Der Gesang wird nur auf Hochleistung getrimmt, als ob es nur eine Art zu singen gibt! Das ist das Katastrophale.

Woran liegt es, dass die Theater und Opern nichts wagen?

Schauen Sie sich an, wie im Fernsehen mit Schauspielerei umgegangen wird. Zum Beispiel in Krimiserien: Da müssen die Schauspieler leise und verhalten sprechen. Man bekommt sofort gesagt: "Hör’ auf zu spielen." Alles wird auf eine dressierte Witzigkeit reduziert. Das ist auch ein gesellschaftliches Problem: Als Mensch soll man möglichst nur ein Gesicht haben. Wenn man eines mehr hat, ist man schon irre.

Und das schlägt durch aufs Theater?

Das Theater will natürlich mit den Medien mithalten – was dazu führt, dass es das "Theater-Spielen" nicht mehr gibt, auch nicht das Anzweifeln von Theater. Theater ist eigentlich tot in der heutigen Zeit. Niemand merkt, dass Theater ein wunderbarer Gegensatz zu allem ist, dass da etwas explodiert. Und wer interessiert sich heute noch für Theater? Es ist überall der Niedergang des Theaters zu beobachten, auch weil die Politiker den schönen Ansatz haben: Naja, Theater kostet schon auch viel Geld, das muss man langsam unterbinden.

Da geht es der Oper derzeit nicht anders.

Das ist alles eine Katastrophe, was da passiert. Natürlich ist das so gemacht worden, dass es irgendwann mal niemanden mehr interessiert. Ich merke bei meinen Aufführungen, welchen Hunger nach etwas anderem es gibt, nach einer extremen Art, sich auszudrücken, die lange verleugnet wurde. Hätte ich vor 20 Jahren "Ohne Titel Nr. 1." gemacht, wäre ich weggejagt worden.

Der Titel klingt wie abstraktes Kunstwerk, ist das ein abstrakter Blick auf die Oper?

Das ist es, was wir da machen. Es ist abstrakt, aber nicht experimentell. Es ist kein Experiment, es ist schon Ergebnis.

Wie ist das entstanden?

Mich interessiert, was mir die Schauspieler herbeibringen: Ich beobachte sie und baue mit ihnen ein Stück zusammen. Bei "Ohne Titel Nr. 1" hatte ich zuerst überhaupt keine Ahnung, was ich machen will. Es war der Versuch, das Szenische zu vermeiden, ganz pur Oper zu machen. Die Präzision ist dabei extrem wichtig, dass genau durchchoreografiert und gedacht wird. Im Detail kann das aber variieren – nicht wie die Improvisation, die man an der Volksbühne praktiziert hat. Sondern dass man erarbeitete Form- und Strukturelemente auf unterschiedliche Arten zusammenbaut. Es sind keine Maschinen, die da auf die Bühne gehen, es ist ja kein Film – und so variiert das, wie ein Wein reifen kann.

Info: „Ohne Titel Nr. 1“ ist von 16. bis 19. Juni im Rahmen der Wiener Festwochen im Burgtheater zu sehen. Mit dem Hinweis: „In undeutlicher Sprache“. Karten und weitere Infos unter www.festwochen.at

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