Tobias Moretti: "Charmant ist in diesem Stück niemand"

Tobias Moretti als Mackie im Theater an der Wien.
Am Mittwoch hat "Die Dreigroschenoper" von Kurt Weill und Bert Brecht Premiere. Ein Gespräch mit Tobias Moretti.

Vor zehn Jahren wurde das Theater an der Wien wieder in ein Opernhaus rückverwandelt. Zum Jubiläum setzt Intendant Roland Geyer bewusst auf "Die Dreigroschenoper" von Bert Brecht und Kurt Weill. Und das in absoluter Top-Besetzung. Florian Boesch, Angelika Kirchschlager, Anne Sofie von Otter und vor allem Tobias Moretti als Mackie Messer stellen sich in den Dienst von Brecht und Weill. Im KURIER-Interview spricht Moretti über Knackpunkte, Fallen und Herausforderungen, welche die Partie des Mackie Messer mit sich bringt.

KURIER: Herr Moretti, ist der Mackie Messer für Sie eine sogenannte Traumrolle?
Tobias Moretti: Ja, sicher. Das ist ein unglaubliches Privileg für einen Schauspieler, diese Rolle gestalten zu dürfen. Aber der Mackie ist gleichermaßen auch eine Nuss, die es zu knacken gilt.

Inwiefern?
Brecht und Weill haben die "Dreigroschenoper" in einer Zeit geschrieben, in der Schauspieler singen konnten, tanzen konnten und natürlich spielen konnten. Das ist die wahre, aber wunderbare Herausforderung.

Haben Sie einen Moment gezögert, diese Rolle anzunehmen, als Sie Intendant Roland Geyer gefragt hat?
Nein. Aber es war auch mehr eine rhetorische Frage von Roland Geyer. Er sagte mir, er wolle das Werk mit Sängern, und das Gewicht liege auf der Musik. Gezögert habe ich damals dennoch nicht. Aber – um ehrlich zu sein – zwischendrin habe ich dann irgendwann doch kalte Füße bekommen.

Warum?
Weil ich gesehen habe, wie hoch diese Partie notiert ist. Das ist eine große Vorgabe von Kurt Weill. Und ich habe natürlich den Ehrgeiz, exakt zu singen. Viele Schauspieler flüchten sich bei dieser Rolle in den Sprechgesang, ins Parlando oder lassen die Songs transponieren. Das wollte ich nicht, und es ist nicht unsere Intention. Also Gesangsunterricht ist ja normal, nur irgendwann muss man das wieder vergessen und seine eigene Stimme finden. Jetzt bei den Proben mit dem Orchester merkt man erst, wie sich in diesem Werk alles zusammenfügt, auf welchem Teppich man sich bewegt.

Welche Knackpunkte gibt es sonst noch?
Die sind vor allem musikalischer Natur, denn es geht um die Zusammenführung der beiden Kunstformen Musik und Schauspiel. Ich habe etwa jahrelang nicht verstanden, warum die Brecht-Erben so restriktiv in der Vergabe der Rechte sind und die Relevanz dieses Werkes damit torpedieren. Inzwischen verstehe ich das. Es ist ein wirklich heikles Werk und gehört in die Riege der musikalischen Weltliteratur.

Tobias Moretti: "Charmant ist in diesem Stück niemand"
Foto: Monika Rittershaus. Honorarfrei bei Namensnennung. Probenfotos von der Dreigroschenoper im Theater an der Wien mit Tobias Moretti, Angelika Kirchschlager, Florian Boesch u. a.

Und wie sehen Sie den Charakter des Mackie Messer? Ist er ein charmanter Gangster?
Charmant ist in diesem Stück niemand. Jeder ist da ein richtiges Dreckschwein, das nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist. Aber: Verstehen kann man alle Protagonisten irgendwie. Das ist ja das Geniale an diesem Stück. Brecht und Weill werten nicht. Sie zeigen anhand einiger Figuren eine Art Stationentheater ohne die Moralkeule zu schwingen.

Wie schwierig war es für Sie, sich diesen Charakter Mackie Messer anzueignen?
Das Wichtigste für einen Schauspieler ist es, herauszufinden, wie nah oder fern einem eine Figur ist. Spielt man Figuren, von denen man glaubt, dass sie einem ziemlich nahe kommen, kann das in eine selbstgefällige Veranstaltung ausarten. Spielt man Figuren, die einem weit weg erscheinen, kann es sein, dass man sie zu unbeteiligt, oder besser gesagt, zu konstruiert darstellt. Die Wahrheit liegt in der Schnittmenge zwischen diesen beiden Polen. Grundsätzlich aber gilt: Man muss die Rolle einmal lernen und das Gelernte dann wieder vergessen, um es glaubhaft abrufen zu können. Das gilt übrigens auch für die Gesangspassagen.

Zum Beispiel?
Man singt ja bei den Proben anfangs als Nicht-Sänger anstatt zu markieren. Und danach war ich jedes Mal völlig fertig. Bis man mir gesagt hat: "Mach’ das nicht". Singen ist Spitzensport. Man braucht oft drei Stunden, bis der Körper in der Lage ist, bestimmte Töne zu produzieren. Ich habe größten Respekt vor allen Sängerinnen und Sängern, die so etwas zu leisten imstande sind.

Stichwort singen: Sie haben erst unlängst den Bassa Selim in Mozarts "Entführung" gegeben, und Ihre Liebe zur Oper ist nicht zuletzt durch Ihre Opernregien bekannt. Könnten Sie sich vorstellen, wieder einmal eine Oper zu inszenieren?
Ja, meine letzte Opernregie ist lange her – das war Haydns "Il mondo della luna" am Theater an der Wien. Das war 2009 mit Nikolaus Harnoncourt als Dirigent. Eine Oper wieder zu inszenieren, ist prinzipiell eine Herausforderung, aber so etwas ist gleichermaßen mit Lust, aber auch mit ungeheurem Zeitaufwand verbunden, und das gilt es erst zu koordinieren. Trotzdem: Verführbar ist man immer.

Welche Pläne haben Sie für den Film?
Noch nichts Konkretes. Es gibt aber zwei Anfragen für das Frühjahr. Eine aus Österreich, eine aus Deutschland. Aber bevor ich mich damit beschäftige, muss ich diesen Mackie erst ausspucken. Das ist die Herausforderung, die mich jetzt Tag und Nacht begleitet.

In der "Dreigroschenoper" heißt es sinngemäß "Erst kommt das Fressen, dann die Moral".
Daran hat sich bis heute nicht allzu viel geändert.

Er hat mit seinen Inszenierungen im Theater an der Wien schon öfters für Furore gesorgt. Nun wagt sich Keith Warner an Bert Brechts und Kurt Weills "Dreigroschenoper". Doch wie sieht der gebürtige Brite dieses Werk? Ist die "Dreigroschenoper" ein Theaterstück, wie die einen behaupten? Oder doch eine Oper, wie andere finden? Warner lacht: "Eine Mischung aus beidem. Aber eigentlich markiert die ,Dreigroschenoper‘ die Geburtsstunde des Musicals", sagt Warner im KURIER-Gespräch. Schneller Nachsatz: "Natürlich nur jene der guten Musicals, wie sie etwa ein Stephen Sondheim und natürlich ein Leonard Bernstein geschrieben haben."

Eine Frage der Balance

Warner, der auch in der kommenden Saison an der Wien inszenieren wird, weiter: "Wichtig war es in den Vorbereitungen, die richtige Balance zwischen Text und Songs zu finden. Wir haben also beim Text Striche gemacht, immerhin kommt diese Produktion ja an einem echten Opernhaus heraus, das mir im Laufe der Jahre zu einer wahren Heimat geworden ist", so der 59-jährige Künstler. Doch in welcher Zeit verortet Warner das im Jahr 1928 in Berlin uraufgeführte Werk? "Wir haben uns für die 50er-Jahre entschieden, also die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Es herrscht Armut, jeder kämpft mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln ums persönliche Überleben. Außerdem rettet am Ende des Stückes ein Bote der Königin Mackie Messer vor der Hinrichtung. Daher ist folgerichtig, das alles zur Zeit der jungen Königin Elisabeth II. anzusiedeln."

Misstrauen

Hat Warner aber ein Problem mit dem abrupten Happy End? Der Regisseur muss lachen: "Wieso sollte ich als Brite ein Problem mit der Queen haben? Aber im Ernst: Für mich ist eine der Grundaussagen dieses Stückes, dass nur wir Menschen etwas verändern können. Keine Politiker oder Staatsmänner, die uns irgendetwas vorgaukeln, haben tatsächlich eine Lösungskompetenz. Denken Sie nur an Tony Blair, der als Hoffnungsträger galt und dann mit diesem Kriegsverbrecher Bush gemeinsame Sache gemacht hat. Ich misstraue der Politik aus eigener Erfahrung zutiefst."

Einer der Gründe für Warners Misstrauen: "In meiner Heimat hat der Staat den kulturellen Institutionen fast alles Geld gestrichen. Nicht einmal mehr Ensembles können erhalten werden. Das ist Wahnsinn! Dagegen hat es Österreich wirklich gut, und ich wünsche mir und uns allen, dass das auch so bleibt."

Und was wünscht sich Warner noch? "Dass diese ,Dreigroschenoper‘ das Herz und den Verstand des Publikums erreicht. Wenn wir es schaffen, in Form der Unterhaltung auch noch Botschaften zu transportieren, dann haben wir hier schon viel erreicht. Eines aber lehne ich am Theater grundsätzlich ab: Den sprichwörtlichen Holzhammer! Ich denke, die Menschen, die in ein Theater kommen, sind klug genug, um subtile Anspielungen zu verstehen. Das heißt nicht, dass wir Brecht und Weill niederkuscheln."

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