Ein Dinner wird zur Hölle

Die eingeschlossene Tischgesellschaft im Haus für Mozart
Erfolg zum Auftakt der Salzburger Festspiele: Die Uraufführung von "The Exterminating Angel", der neuen Oper von Thomas Adès, wurde bejubelt.

Zumeist freut man sich ja als Gastgeber, wenn die Geladenen lange sitzen bleiben, nach dem Essen noch ein paar Drinks zu sich nehmen und die Welt neu erfinden. Das Dinner, von dem hier die Rede ist, wird jedoch zum Horror und schon das Eingangsportal zum Tor zur Hölle.

Eine nobles Paar bittet nach einer Opernaufführung zehn Freunde in seine Villa. Aber niemand ist danach im Stande, das Haus zu verlassen. Eine nicht näher definierte Kraft, sei sie äußerlich, sei sie innerlich, hält die Gäste zurück. Was genau passiert, wird nicht erklärt. Die erste Nacht vergeht, die zweite, wahrscheinlich eine Woche oder mehr – und wir beobachten elegante Menschen, wie sie zu Tieren werden, wie sie körperlich und seelisch verfallen, wie die ihnen gesetzten Grenzen moralische Grenzen sprengen.

Heute würde man sagen: "Promi-Dinner" trifft "Big Brother" oder "Dschungelcamp". Früher hätte man gesagt: Eine neue Variante der "Wand" von Marlen Haushofer mit mehr Personal. Oder eine Geschichte über Transzendenz und Leiden, fast wie im "Parsifal". Der Ursprung ist jedenfalls ein Film von Luis Buñuel namens "The Exterminating Angel" aus dem Jahr 1962.

Den gleichen Titel trägt auch die neue Oper von Thomas Adès. Mit dem Librettisten (und Regisseur der Produktion) Tom Cairns schuf er aus der surrealistischen Geschichte eine intensive, sich von einem gediegen-verhaltenen Beginn zu einer packenden Story im Roald-Dahl-Stil steigernde Oper, die das Premierenpublikum so begeisterte, dass es am Ende Standing Ovations gab.

Von Salzburg in die Welt

Die Festspiele 2016 starten ihr Opernprogramm mit einer Uraufführung – allein das ist eine Freude. Diese wird zum Erfolg – eine noch größere. Und das Werk wird danach zumindest noch an den Koproduktionshäusern in London, New York und Kopenhagen gespielt – das ist überhaupt das Wichtigste, wenn ein Auftragswerk nicht nur Alibicharakter hat.

Man sucht als Besucher zunächst freilich den zwingenden Grund, warum aus dem Film eine Oper werden musste. Und findet am Ende vielleicht sogar gleich mehrere gute Gründe: Weil gerade das bürgerliche Genre Oper sich besonders dazu eignet, eine Geschichte über die Grenzen und den möglichen Verfall der Bourgeoisie zu erzählen; weil die finale Rettung, die keine wirkliche ist, vermittels einer Opernarie herbeigeführt wird; oder auch nur, weil Adès ein wahrer Könner ist.

Zugegeben: Seine Tonsprache ist nicht sonderlich innovativ, nicht einmal überaus originär – aber gut verständlich. Er versteht es meisterhaft, verschiedene Stile zu vermischen, zwischen spanischer Volksmusik und Walzer zu changieren, Effekte zu setzen, berührende Momente mit Soloinstrumenten (Klavier, Gitarre) zu schaffen und die Spannung Suspense-artig zu steigern.

Die Instrumentierung ist höchst raffiniert, der Einsatz der vielen Glocken gerade in Salzburg passend, die orchestralen Zwischenspiele sind exzellent, farbenprächtig und treiben das Crescendo der Story voran. Als Dirigent des intensiven und präzisen RSO Wien ist der Komponist überdies ein kraftvoller Gestalter.

Die Sänger stellt er vor große Herausforderungen und schenkt ihnen nur allzu selten attraktive Passagen. Aber das Ganze, das Ensemble, der geheimnisvolle Überbau stehen hier im Fokus. Aus den vielen Gesangssolisten ragen Anne Sofie von Otter, Charles Workman, Thomas Allen, John Tomlinson, Frédérich Antoun und vor allem Audrey Luna, die atemberaubende Spitzentöne bewältigen muss, heraus. Allesamt müssen sehr dramatisch agieren und mehr Wert auf Ausdruck denn auf Schöngesang legen.

Die Bühne von Hildegard Bechtler stellt ein großes Mahagonny-Portal ins Zentrum. Die Inszenierung von Tom Cairns ist ganz klassisch, zunächst etwas langatmig, dann schauerlich-bedrohlich. Lassen Sie sich zu diesem Horror-Dinner unbedingt verführen!

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