Warum das Wettsingen im Zeichen des Regenbogens steht

Kult oder Käse? Die Wiener Ampelpärchen.
Schwuler Song Contest.Die Fangemeinde aus der LGBTI-Szene ist längst unübersehbar. Wien kann sich nun als schwulenfreundliche Stadt zeigen.

Spätestens, wenn heute das erste Semifinale über die Bühne geht, werden in Wien die Regenbogenfahnen geschwenkt. Nicht erst seit Conchitas Triumph in Kopenhagen ist der Song Contest in der LGBTI-Community (Lesbian-Gay-Bisexual Transgender-Intersexual) auffallend beliebt. Laut einer Umfrage für das Buch "Eurovision Song Contest" (siehe Buchtipp) fühlen sich in Österreich 78 Prozent der männlichen ESC-Fans zu Männern hingezogen (23 Prozent der Frauen präferieren Partnerinnen, Anm.).

Warum das Wettsingen im Zeichen des Regenbogens steht
privat
Marco Schreuder, LGBTI-Politiker und Mitglied des offiziellen ESC-Fanclubs OGAE, erklärt das so: "Ich glaube, dieses Interesse bei LesBiSchwulen gab es immer schon. Man sagt ja dem Siegerbeitrag von 1961 nach, dass "Nous les Amoureux" schon die erste schwule Hymne war. Ich glaube, dass in der Welt der Unterhaltung Schwule schon immer ihre Nische hatten, wo man relativ frei sein konnte. Damals wurde das aber noch eher versteckt."

1997 war der Isländer Paul Oscar der erste Teilnehmer, der offen über seine Homosexualität sprach. Der Durchbruch kam ein Jahr darauf – mit dem Sieg der transsexuellen Dana International für Israel. Danach ging die Community zunehmend selbstbewusst nach außen. "Das war nicht zufällig zu dieser Zeit, 1993 war der erste Life Ball, 1996 die erste Regenbogenparade in Wien. Das Thema Sichtbarkeit war damals ganz stark präsent," meint Schreuder.

Queere Beiträge beim Song Contest

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EUROVISION 1961-JEAN-CLAUDE PASCAL
Warum das Wettsingen im Zeichen des Regenbogens steht

PAUL OSCAR OF ICELAND PERFORMS HIS SONG
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SLOVENIA'S TRANSVESTITE BAND "SISTERS" PERFORMS AT
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Ukraine's Verka Serduchka sings during the rehears
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Proben fuer den Eurovision Song Contest 2011
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Conchita Wurst representing Austria acknowledges t
Warum das Wettsingen im Zeichen des Regenbogens steht

Conchita Wurst representing Austria performs the s
Warum das Wettsingen im Zeichen des Regenbogens steht
Der australische Historiker und Kulturwissenschafter Dean Vuletic forscht an der Uni Wien über die Geschichte des Eurovision Song Contest
Es dauerte aber noch ein paar Jahre, bis das bunte Fantreiben zum Standardrepertoire des Bewerbs wurde. 1999 in Israel sei die Community noch kaum bemerkbar gewesen, erzählt ESC-Forscher Dean Vuletic(siehe dieses Interview). Die Shows fanden damals noch in kleineren Hallen statt. Erst ab 2000 in Stockholm ging der Contest in wesentlich größere Arenen und wurde zum Mega-Event mit Nebenveranstaltungen. "Dadurch, dass das zunehmend mehr Fans vor Ort zelebriert haben, wurde auch die LGBTI-Community vor Ort sichtbarer", so Schreuder.

"Aber es gibt immer noch die viel größere Gemeinschaft vor den Fernsehern. Da sind alle Generationen vertreten, auch meine Oma hat immer begeistert zugeschaut."

Tracht und Bären

Schreuder betont: "Die Schwulen und Lesben wollen überhaupt nicht, dass das ihr Event ist. Das Wesen von Eurovision ist, dass jeder willkommen ist. Als ich zum ersten Mal dabei war, 2010 in Oslo, war mein erster Anblick eine albanische Familie in Trachten, die gemeinsam mit schwulen Spaniern in Bärenkostümen tanzte. Wo gibt’s das sonst?"

Warum das Wettsingen im Zeichen des Regenbogens steht
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Auch Christian Högl, Obmann der Homosexuellen Initiative Wien (HOSI) und seit Langem ESC-Fan, entkräftet Verallgemeinerungen: "Es gibt Schwule, die schreiend davonlaufen, wenn sie das Wort Song Contest hören und eine vollkommen andere Musik bevorzugen."

Vuletic sieht ein Auf und Ab in der LGBTI-Fankultur. 2012 in Aserbaidschan habe es kaum Side-Events für die Community gegeben. "Homosexualität ist zwar legal, aber es gab keine Schwulenklubs in Baku. Irgendjemand hat nur für den Song Contest eine Gay Bar eröffnet, das war wie im Untergrund, nach dem ESC wurde diese sofort von der Polizei geschlossen."

Schwule lieben Wien

Wien präsentiert sich in dieser Hinsicht wesentlich offener, wie auch die neuen Verkehrsampeln mit gleichgeschlechtlichen Pärchen zeigen. "Wien verkauft sich hier sicher nicht unter einem falschen Deckmantel las besonders lesben- und schwulenfreundlich", sagt Högl. "Man hat sich die letzten 20 Jahre wirklich ins Zeug gelegt, Vorreiter zu sein, und das Resultat ist, dass diese Stadt für Lesben und Schwule lebenswert ist wie kaum eine andere."

Der Sieg Conchitas sei zum Teil ein Resultat dieses Umbruchs. "Sie ist ja Teil der Community dieser Stadt. Man kann nicht sagen: Ein Mensch allein hätte die Situation für Schwule jetzt dramatisch verbessert. Sie gibt der Thematik ein sympathisches Gesicht und ist Anlass für viele, nachzudenken." Zu tun gäbe es noch mehr als genug, aber "in dieser Woche müssen wir aktivistisch nicht viel machen. Der ESC ist so etwas wie ein Selbstläufer."

Högl rechnet wieder mit Buhrufen gegen Russland wegen der homophoben Gesetze. Genauso wie er würde Schreuder dies unfair finden: "So wenig wie Conchita für Faymann verantwortlich ist, ist die Sängerin Russlands für Putin verantwortlich."

Dieser wissenschaftliche Band richtet sich an Leute, die nicht genug über die Hintergründe des Song Contest wissen können. "Eurovision Song Contest. Eine kleine Geschichte zwischen Körper, Geschlecht und Nation" widmet sich dem ESC als Bühne für Machtverhältnisse, vor allem auch auf ästhetischer Ebene - von den Anfangsjahren bis zum Sieg von Conchita Wurst. In vielen aufschlussreichen Aufsätzen, unter anderem vom Wiener Song Contest-Forscher Dean Vuletic, werden verschiedenste Aspekte beleuchtet: Nationale Identitätspolitik, die Austragung politischer Konflikte, Körper und Bildpolitik sowie die Rezeption des Song Contests.

www.zaglossus.eu

Amnesty International startete aus Anlass des ESC eine Aktionswoche unter dem Motto "Intoleranz macht schiach". Zum Thema #RespectDiversity finden Diskussionen und Veranstaltung im am Montag eröffneten "Human Rights Café" statt. Conchita Wurst sei schließlich das "missing link" zwischen der Arbeit der sozialen Organisationen und der Gesellschaft, unterstrich AI-Generalsekretär Heinz Patzelt.

INFOS: www.amnesty.at/songcontest

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