Die Sternstunde des Udo Jürgens

In diesem Augenblick, am Abend des 5. März 1966, als Udo Jürgens beim Grand Prix de la Chanson in Luxemburg „Merci Chérie“ sang, konnte niemand ahnen, welch große Karriere dieser Musiker noch vor sich hatte
Österreich schaffte 1996 mit "Merci Chérie" in Luxemburg zum ersten Mal Platz eins.

Die Bildschirme waren in tiefes Schwarz-Weiß gehüllt, und es gab weder raffinierte Sound-Effekte noch elektronisch gesteuerte Lichtorgeln. Da saß nur ein Mann im Smoking ganz schlicht an einem weißen Klavier und sang "Merci Chérie". Doch das Österreichische Fernsehen steuerte einem seiner frühen Höhepunkte zu. Udo Jürgens gewann am 5. März 1966 für Österreich den Grand Prix Eurovision de la Chanson.

"Nie wieder Grand Prix"

Dabei hatte der damals 32-jährige Musiker kurz vor seinem Triumph noch "Nie wieder Grand Prix!" geschworen, da er bereits zwei Mal davor angetreten war: 1964 mit "Warum nur, warum?" in Kopenhagen, wo er Platz 6 erreichte. Und im Jahr darauf mit "Sag ihr, ich lass sie grüßen" in Neapel, Platz 4. Alles schön und gut, aber bei solchen Bewerben zählt nur eins: der Sieg!"Ich war nach meinem zweiten Auftritt nervlich am Ende", erinnerte sich Udo Jürgens in einem Interview, das ich viele Jahre später für den ORF-Sender Ö1 mit ihm führte. "Ich schlitterte nach Neapel in ein massives Alkoholproblem, habe schrecklich viel geraucht, nicht geschlafen, ging jede Nacht auf Partys und in Discos, hatte mich bis an den Rand der Erschöpfung kaputt gemacht. Das war eine schwierige Phase meines Lebens, und es bestand die Gefahr, daran zugrunde zu gehen."

Um das zu verhinderten, lehnte es Udo Jürgens ab, ein drittes Mal am Grand Prix teilzunehmen. Doch sein damaliger Manager Hans R. Beierlein zwang ihn mit sanfter Gewalt dennoch nach Luxemburg zu fahren.

"Udo ist chancenlos!"

Kaum dort angekommen, fand sich in der Bild-Zeitung die Schlagzeile: "Udo Jürgens mit ,Merci Chérie‘ chancenlos". "Ich habe davon Gott sei Dank nichts mitbekommen", erzählte er, "weil mein Manager sofort alle Exemplare aufgekauft hat. Hätte ich das gesehen, wäre es mit meinem Selbstvertrauen dahin gewesen." In diesem Zusammenhang fiel Udo Jürgens der tragische Ausgang des Musikwettbewerbs in San Remo ein: "Die Teilnahme ist ein fürchterlicher Stress für jeden. Als ich 1965 dort war, erschoss sich ein Kollege in seiner Garderobe, weil er es nicht ins Finale geschafft hat."

Ein Lied mit Planung

Udo Jürgens bekannte sich in unserem Gespräch dazu, "Merci Chérie", das Siegerlied von 1966, nach einem vorgegebenen Plan geschrieben zu haben: "Thommy Hörbiger (der Textdichter, Anm.) und ich waren uns einig, dass wir bei einem internationalen Bewerb wie dem Eurovisionsfestival mit einem rein deutschen Text keinen Erfolg erzielen konnten." Sein Lampenfieber war diesmal besonders groß, "denn hätte ich wieder nicht gewonnen, hätten die Leut gesagt: Der spinnt!"Wie voriges Jahr auf ganz andere Weise Conchita Wurst wollte auch Udo Jürgens dem Publikum ein Anliegen vortragen: "Die meisten Sänger weinen in ihren Liedern voll Bitterkeit einer verflossenen Liebe nach. Ich aber war immer schon der Meinung, man soll für jede Stunde, die man mit einem Menschen erlebt hat, dankbar sein, auch wenn man auseinander geht. Schließlich hatten wir noch die – man muss es sagen – geniale Idee, das ,Danke schön‘ auf Französisch zu bringen. Merci Chérie! – diese Worte verstand man überall."

"Merci Jury!"

Und die Rechnung ging auf. Udo erreichte Platz 1 und bekam mit 31 Punkten fast doppelt so viele wie die zweitplatzierten Schweden. Als er am Ende der europaweiten Live-Übertragung traditionsgemäß gebeten wurde, das Siegeslied zu wiederholen, bewies Jürgens auch Humor. Er setzte sich ans Klavier und sagte in die Kamera: "Merci, Jury". Dann erst stimmte er seinen Song noch einmal an.

Möglichst viele "I"

Udo Jürgens erklärte mir damals auch, warum in "Merci Chérie" der Buchstabe "I" so oft vorkommt: "Ich hatte ein großes Problem, hohe Töne mit einem anderen Buchstaben als mit ,I‘ zu singen. Ich bin kein ausgebildeter Sänger und schaffte nur mit dem ,I‘ die hohen Töne. Später war mir das egal, welcher Buchstabe es ist, aber damals war das noch wichtig, das zeigt sich auch in Siebzehn Jahr blondes Haar."In der Nacht nach dem Grand-Prix-Sieg fasste Udo Jürgens den Entschluss, jetzt nur ja nicht größenwahnsinnig zu werden. "Ich ging mit meinem Manager spazieren, und der sagte: Das Wichtigste ist jetzt, kühlen Kopf zu bewahren, auch wenn Angebote aus aller Welt kommen. Ich sollte nur nicht glauben, dass ich der Größte bin. Jetzt muss ein tolles Lied nach dem anderen kommen – sonst verpufft der Eurovisions-Erfolg so schnell wie er gekommen ist." Wie wichtig das war, erkennt man daran, wie viele Grand-Prix-Sieger wieder in der Versenkung verschwanden.

Fünf Schilling als Gage

Doch Udo Jürgens nützte seine Chance. Der Mann, der nicht allzu lange vor seinem Grand-Prix-Sieg noch für fünf Schilling in der Stunde in Jazzclubs und Kärntner Tanzlokalen aufgetreten war, verkaufte von "Merci Chérie" allein im ersten Jahr eine Million Platten, weitere Hits folgten: "Mit 66 Jahren", "Aber bitte mit Sahne", "Griechischer Wein", "Vielen Dank für die Blumen", "Ein ehrenwertes Haus", "Buenos dias Argentina" ... und zuletzt "Mitten im Leben".

100 Millionen Platten

Doch "Merci Chérie" blieb etwas Besonderes: Die Geburtsstunde einer einzigartigen Karriere: Udo Jürgens komponierte 1000 Lieder und veröffentlichte 50 Alben. Als Komponist, Textdichter und Interpret verkaufte er 100 Millionen Platten und CDs, er zählt damit zu den erfolgreichsten Solokünstlern aller Zeiten.

Am 21. Dezember 2014 ist Udo Jürgens gestorben. 48 Jahre nach "Merci Chérie" und sieben Monate, nachdem Conchita Wurst als zweiter Österreicher den Song Contest gewonnen hatte.

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