Selbstporträt eines Zauberers

Sein Horror begann mit einer riesigen Zahnspange. Disneys "Cap und Capper" folgte. Der Kino-Magier erzählt von seinen eigenen "Scherenhänden". Und von Bertie Brie.

In den 1960er-Jahren, als er klein war und schiefe Zähne hatte, gab es noch diese riesengroßen Zahnspangen, die den ganzen Kopf umschlossen. Wie sollte man da zu anderen Menschen Beziehungen aufbauen? Man konnte ja nicht einmal mit sich selbst in Kontakt bleiben! In der Schule signalisierte er allen, dass sie ihn in Ruhe lassen sollten. Daheim riss er seinen Spielzeugfiguren die Arme aus, spielte am Friedhof bzw. versteckte sich in einem der fünf Kinos, die damals in Burbank am Rand von Los Angeles existierten. Der Schauspieler Vincent Price (1911–1993) wurde sein Leinwandidol; und später sein väterlicher Freund. Price, der Zauberer, der sich mit Boris Karloff duellierte (in "Der Rabe"). Die halbe Fliege (in "Fly"). Der Horrorstar vieler Edgar-Allen-Poe-Verfilmungen.

Unter die Räder

... und ausgerechnet dieser Sonderling namens Tim Burton saß als 20-Jähriger in den Disney Studios und sollte niedliche Füchse zeichnen: Er arbeitete tatsächlich bei "Cap und Capper" mit. "Ich habe sie ums Verrecken nicht hinbekommen. Meine Füchse sahen alle aus, als wären sie unter die Räder gekommen." Aber er war gelandet. Bald ließ ihn Disney mit eigenen kreativen Ideen experimentieren (und die entstandenen Kurzfilme dann rasch verschwinden). Johnny Depp, Burtons Star in bisher acht Filmen, fasst zusammen: "Ich habe noch nie einen Außenseiter erlebt, der sich so gut in die Gesellschaft eingepasst hat – auf seine eigene Weise."

Scherenhände

Der amerikanische Regisseur, Produzent, Autor, Zeichner (und schräge Vogel) ist kürzlich 54 geworden. Über Jugendzeit und Eltern redet er selten. Burton hat sich ohnehin oft porträtiert. In "Edward mit den Scherenhänden" (1990) deutlich, sogar an den zerwühlten Haaren ist er erkennbar: ein lieber Typ, der schubladisiert wird, weil er halt ein bissl anders ist. Oder, in einem Gedicht, als Bert Brie – ein Bub mit einem Käsekopf: "Dass die Kinder ihn mieden, tat Berti auch weh, jedoch passt er gut zu nem Glas Chardonnay." Oder in "Nightmare Before Christmas" (1993): Die Augen des Kürbiskönigs sind genäht, er ist Flickwerk, hat keinen Halt im Inneren ...

Aber reden, das tut Burton lieber über seinen Warteraum im Jenseits ("Beetlejuice"), über den geduldigen Jack Nicholson (der Joker in "Batman"), über die Schwierigkeiten, einem Fluss das Aussehen von Schokolade zu geben ("Charlie und die Schokoladenfabrik"). Deshalb fallen die oft ins Private gehenden Interviews mit dem Journalisten Mark Salisbury aus der Reihe: Die eben erschienene persönliche Werkschau "Tim Burton – Der melancholische Magier" war Herzenswunsch des Verlegers Stefan Lübbe.

Toter Hund

Bis zu „Alice im Wunderland“ wandert das Buch, mit einer Milliarde Dollar Einspielergebnis sein finanziell erfolgreichster Film. Anfang 2013 kommt „Frankenweenie“ nach Österreich. Der kleine Victor Frankenstein erweckt seinen toten Hund zum Leben. Tim Burton mag Hunde. In Amerika, heißt es, sei „Frankenweenie“ ein Flop gewesen. Er spielte bloß das Doppelte der Produktionskosten von 39 Millionen Dollar ein. Wie das klingt: "bloß" das Doppelte. Im Wirtschaftsleben gibt es noch viel größere Sonderlinge.

Das Buch: Zwei Mal grüßt Johnny Depp
Neufassung In den USA erschien das Buch erstmals 1995; und musste mit "Ed Wood" enden. Mittlerweile hat Mark Salisbury eine neue Fassung herausgegeben. Die deutsche Ausgabe mit vielen Zeichnungen und Fotos kann deshalb gleich zwei Vorworte von Johnny Depp abdrucken: "Tim Burton – Der melancholische Magier" (Quadriga Verlag, 30,90 €, übersetzt von Sara und Hannes Riffel)

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