Secession: Wenn sich Schönheit auf ein Bild draufsetzt

Gerald Domenig/Ausstellung "Awaragaude", Secession, 2016, Foto Sophie Thun
Eine Ausstellung präsentiert noch bis 19.6. herrlich feinsinnige Kunst von Gerald Domenig.

Viele Künstler haben schon ein Loblied auf das Starren gesungen. Leonardo da Vinci etwa soll seinen Schülern geraten haben, konzentriert eine alte, fleckige Mauer zu betrachten, um darin Tiere und andere wundersame Dinge zu entdecken. Der Fotograf Walker Evans riet fünfhundert Jahre später Ähnliches.

Die Ausdauer zum konzentriertem Schauen muss man aber erst einmal aufbringen, und selten gelingt als Schlussfolgerung eine so pure, präzise und originelle Kunst, wie sie der aus Kärnten stammende, in Frankfurt lebende Gerald Domenig derzeit in der Wiener Secession präsentiert.

Langsamer Zauber

Domenig ist das, was man einen „slow burner“ nennt – er ist schon seit langem im Geschäft, wurde aber nie vom Markt oder dem Ausstellungsbetrieb groß hochgejubelt; obwohl er seine Werke schon 1988 gemeinsam mit Franz West zeigte, ist die Schau in der Secession seine erste institutionelle Einzelausstellung in Österreich.

Es ist auch das Wesen von Domenigs Kunst, ihren Reiz nach und nach zu entfalten: Die Fotografie (analog, eigenhändig ausgearbeitet) ist sein primäres Medium, doch im Kern arrangiert und montiert der Künstler Bilder. Beziehungsweise fotografiert und sammelt er dort, wo schon Montagen und Arrangements vorhanden sind.

An vordergründig unspektakulären Motiven – einem Abbruchhaus, einer Tallandschaft, Bäumen – erkennt Domenig übergeordnete Formen, durchgehende Linien, bildliche Rhythmen. Die Rippchen einer Schokoladentafel setzt er in Beziehung zu einer aus mehreren Teilen zusammenflickten LKW-Plane, die eine ganz ähnliche Struktur aufweist.

Exaktes Denken

Secession: Wenn sich Schönheit auf ein Bild draufsetzt
Gerald Domenig/Ausstellung "Awaragaude", Secession, 2016, honorarfrei für Bericht
Domenigs Bilder sind aber keine Dokumentationen seltsamer Zufälle: Die Fotos weisen eher auf feine Unterschiede im Wesen der Bilder hin und sind nah am begrifflichen Denken angesiedelt.

Gern fotografiert der Künstler Fotos – seine eigenen, aber auch andere – noch einmal ab; oft geht es nur um das Festhalten einer Spiegelung oder eines Glanzlichts, das zeigt, dass ein Foto eben keine simple „Abbildung“ ist, sondern ein Objekt mit ganz bestimmten Eigenschaften. Der Satz von Marshall McLuhan, wonach der Inhalt eines Mediums immer ein anderes Medium sei, findet bei Domenig einen ungemein poetischen Widerhall.

Mit dem Begriff „Gastmedium“ umreißt der Künstler Strukturen oder Formen, die anderen innewohnen – in einem Buch, das zur Ausstellung erschien („Mittendrin ein Z“, 27 €), führt er diese Idee in ebenso ausufernden wie witzigen Monologen aus.

Manche der wundersamen Konstellationen arrangiert Domenig auch im Studio – fotografische Stillleben, in denen zerbrochene Schalen, Nivea-Cremedosen oder Taschentuchverpackungen Verbindungen eingehen. Andere Motive der Schau schuf die Welt – viele Aufnahmen sind in Domenigs Kärntner Heimat entstanden.

A Gaude is aa!

Von dort stammt auch der Titel der Ausstellung: „Awåragaude?“ bedeutet etwa „Hat es Freude bereitet?“ und ist ein Beispiel dafür, wie im Medium des Dialekts vieles kürzer, und atmosphärisch anders gesagt werden kann. Dass nicht egal ist, wie etwas gesagt wird, ist vielleicht der direkteste Konnex zu den Bildern. Die Erfahrung, dass das Auseinanderklauben von Inhalt und Form auch lustvoll sein kann, nimmt man in jedem Fall mit. Im Übrigen sollte auch im angeblich elitären Kunstbetrieb viel mehr Kärntnerisch gesprochen werden.

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