Rabl-Stadler: "Ich will keine Sesselkleberin sein"

Helga Rabl-Stadler
Präsidentin Helga Rabl-Stadler über Gerüchte, exzellente Zahlen und ihren Vertrag.

KURIER: Im Salzburger Festspielbezirk ist heuer die hohe Polizeipräsenz aufgefallen. Gab es Hinweise auf geplante Anschläge? Immerhin war der schwedische König zu Besuch.

Helga Rabl-Stadler: Nein. Und selbst wenn, würde ich das nicht der Zeitung sagen. Wenn es allerorts terroristische Anschläge gibt, sind Maßnahmen notwendig. Aber es gibt bei uns keine Handtaschenkontrollen wie in Paris oder London. Es war ein Fehler von Bayreuth, die Sicherheit medial derart in den Vordergrund zu stellen. Für Sicherheit sorgt man, darüber redet man nicht.

Die Festspiele laufen noch bis 31. August. Können Sie schon jetzt ein Resümee ziehen?

Unser Glück ist, dass 85 Prozent unserer Karten bereits im Jänner verkauft sind. Aber in der letzten Woche verkaufen wir noch täglich Karten um 50.000 Euro. Das sind 350.000 Euro! Hinzu kommt, dass die letzte Woche traditionell problematisch ist. Es scheint da eine gewisse Festspielmüdigkeit zu geben. Aber wir haben die "West Side Story" und eine Reihe sehr guter Konzerte. Also hoffen wir auf ein exzellentes Ergebnis. Die Budgetvorgabe haben wir jedenfalls bereits erreicht.

Rekordeinnahmen gibt es aber wohl nicht?

Wir hatten letztes Jahr die höchsten Karteneinnahmen in der Geschichte der Festspiele – und die höchste Auslastung. Diesen Wert werden wir nicht übertreffen, aber mit ein bisschen Glück halten. Denn wir haben heuer extrem viele Opernkarten angeboten: die drei Da-Ponte-Opern, "Faust", "Die Liebe der Danae" und die Uraufführung von "The Exterminating Angel". Es stimmt, wir waren nicht immer ausverkauft. Aber das ist relativ zu sehen. Wir hatten z. B. bei "Die Liebe der Danae" im Großen Festspielhaus eine weit höhere Auslastung als 2002, als wir diese selten gespielte Strauss-Oper im Kleinen Festspielhaus zeigten. Damals konnten wir 6.907 Besucher begrüßen und nahmen eine Million ein, 2016 waren es 10.659 Besucher und Einnahmen von 2,6 Millionen.

Wie hoch war die Auslastung bei "The Exterminating Angel"?

Stolze 91 Prozent. Falls Sie weiterfragen wollen, sage ich Ihnen gleich: Sie können von mir nicht erwarten, dass ich auch alle schlechten Nachrichten verbreite!

Wie waren Sie mit den zwei Jahren unter der Leitung von Sven-Eric Bechtolf zufrieden?

Sehr. Man tut ihm unrecht, wenn man seine Zeit als "Interimsperiode" abwerten will. Er konnte sehr wohl Akzente setzen! "Faust" zum Beispiel war ausschließlich sein Projekt. Und die Uraufführung von "The Exterminating Angel" mit drei Partnern zu realisieren: Das war ein harter Weg! Ich kann zudem nicht verstehen, dass man von einem "Sparprogramm" redet. "Faust", "Die Liebe der Danae", "The Exterminating Angel" und auch "West Side Story" waren äußerst kostspielig! Gespart haben wir nur, indem wir die Mozart-Opern wiederaufgenommen haben. Alexander Pereira, Intendant bis 2014, wollte jedes Jahr nur Neues. Dieser Wunsch ist legitim, aber ökonomisch und künstlerisch problematisch. Der "Don Giovanni" zum Beispiel ist heuer total ausverkauft. Und noch geglückter als bei der Premiere vor zwei Jahren.

Passt eigentlich die "West Side Story" ins Programm?

Sie wird ihren Platz in der Geschichte der Festspiele haben. Denn wir konnten wieder einmal beweisen: Es geht nur um die Qualität. Und die "West Side Story" ist kein reines Musical – weder von der Musik her, noch vom Libretto. Ich war erstaunt, wie aktuell der Text ist. Einer der Erwachsenen sagt: "You make this world lousy." Der Junge antwortet: "We found it lousy." Oder am Schluss, wenn Maria mit dem Revolver in der Hand schreit: "And now I can kill you all, because I hate you all." Da muss man doch an den IS denken!

Und wie steht es um die Einzigartigkeit der Festspiele? Das Cleveland Orchestra spielt das gleiche Programm in Salzburg und in Grafenegg ...

Leider. Und noch dazu mit dem gleichen Dirigenten. Das sollte es nicht geben – und wird es unter Markus Hinterhäuser so nicht mehr geben. Wir hatten heuer so viel Besonderes wie selten zuvor! Leider geht das unter. Jedenfalls in der Wahrnehmung mancher Journalisten. Die Meinung des Publikums und jene der Kritiker klafft für mich schmerzlich auseinander. Im Publikum herrschte eine solche Freude mit dem Programm, auch mit dem Schauspielprogramm!

Weil es Werktreue pur gab.

Ich pflichte Sven-Eric Bechtolf bei: Ein "Old Directors Project" mit Dieter Dorn, Gerd Heinz und Deborah Warner ist ziemlich gut!

Fehlt es nicht an Experimentellem oder einem Nachfolger für das "Young Directors Project"?

Auch ich fand die Idee des YDP sehr schön. Aber das Programm wurde weder vom Publikum angenommen, noch von der Kritik. Die Auslastung betrug zumeist nur 50 Prozent, und die Produktionen waren manchen nicht festspielwürdig genug. Bettina Hering, die neue Schauspielchefin, will ein neues Format realisieren. Aber das wird sie selber verkünden.

Viele Pläne von Hinterhäuser sind schon bekannt geworden.

Leider. Was bekannt geworden ist, stimmt. Riccardo Muti freut sich so auf seine "Aida" mit Netrebko, dass er das jedem erzählt. In der heutigen Medienzeit kann man nichts geheim halten. Auch deshalb, weil wir teure Projekte planen – und sie daher möglichen Sponsoren vorgestellt haben.

Früher gab es ein Dreierdirektorium. Dann wurde die Leitung "verschlankt", Sie übernahmen die kaufmännische Leitung – und fanden das gut so. Nun wurde die Rückkehr zum Dreierdirektorium beschlossen. Werden Sie nicht unglaubwürdig?

Nach den Malversationen durch Klaus Kretschmer war es der Wunsch der damaligen Kulturministerin Claudia Schmied, eine Doppelgeschäftsführung zu installieren. Zudem hat uns der Rechnungshof darauf hingewiesen, dass der Präsident laut Festspielgesetz ohnehin die Gesamtverantwortung trägt. Daher habe ich diese arbeitsintensive Aufgabe trotz gegenteiliger Ratschläge übernommen. Das Ergebnis zeigt, dass ich recht gehabt habe: Wir konnten alle Reformen des Rechnungswesens rasch durchziehen. Jetzt möchte ich mich aber wieder auf das Gewinnen und Halten von Sponsoren konzentrieren. Ich glaube außerdem, dass man bei der Suche nach meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin eine größere Auswahl hat, wenn die Person nicht eine derart profunde kaufmännische Ausbildung haben muss.

Größere Auswahl? Da Sie noch einmal antreten wollen, wird die Konkurrenz überschaubar sein.

Davon kann man nicht ausgehen. Was mir ganz wichtig ist: Ich will nicht den Eindruck erwecken, eine Sesselkleberin zu sein. Ich hätte mich im Herbst 2017 sehr zufrieden zurückgezogen. Aber Hinterhäuser will unbedingt, dass ich weitermache.

Sie ließen sich also überreden?

Ich sagte, ich mach es nur, wenn die Verlängerung politisch außer Streit steht. Und das dürfte so sein. Der Posten wird im Oktober ausgeschrieben, ich werde mich wieder bewerben. Wenn es zu einer Vertragsverlängerung kommen sollte, herrscht Einigkeit, dass wir den Vertrag nur um drei Jahre verlängern – bis zum Herbst 2020. Denn im Sommer dieses Jahres feiern wir das 100-Jahr-Jubiläum der Festspiele.

Nun noch eine unangenehme Frage: Lukas Crepaz, ab April 2017 Geschäftsführer, soll eine Nähe zu Hinterhäuser haben.

Die Eltern von Lukas Crepaz hatten den Mut, in Tirol ein Festival für zeitgenössische Musik zu gründen. Große Figuren wie Boulez und Ligeti sind dort aufgetreten – und auch Hinterhäuser. Er war vor Jahrzehnten der Firmpate von Lukas Crepaz. Ich weiß nicht, was daran anrüchig sein soll. Crepaz, seit 2011 Geschäftsführer der Ruhrtriennale, wurde von einem Headhunter angesprochen – wie ein Dutzend anderer auch. Auch wenn er erst in einem guten halben Jahr anfangen kann, ist mir diese Lösung lieber als ein zweitklassiger Kandidat.

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