Runder Tisch: Radikal in den Wahlkampf

Runder Tisch: Radikal in den Wahlkampf
Die Klubchefs der sechs Parlamentsparteien eröffneten den Fernsehwahlkampf im ORF emotional und überhitzt. FPÖ-Chef Strache drohte sogar einen Abgang an.

(*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des Fernsehabends*)

"Auf in den Wahlkampf!" betitelte der ORF den "Runden Tisch" vom Donnerstagabend. Nach dem Neuwahlbeschluss in der letzten Parlamentssitzung vor der Sommerpause sollte etwas Ordnung in die verschiedenen Standpunkte kommen. Ein ehrenwerter Wunsch, aber die geladenen sechs Klubobleute nahmen den Sendungstitel offenbar zu ernst und warfen sich bereits voll in die Wahlschlacht.

Das Wort erteilten sich die Klubchefs immer wieder selbst. Das kann zwar reizvoll und unmittelbar wirken, funktioniert aber nur, wenn dabei eine gewisse Disziplin eingehalten wird. Jene, die sich "mit Anstand" zurückhielten, wie der stv. Klubobmann der NEOS, Gerald Loacker, gingen dabei völlig unter. Immerhin konnte Loacker den von den NEOS vorgelegten "Pakt für Verantwortung" in die Kamera halten. Denn auch die berüchtigten Wahlzuckerl, die im kurzen Parlamentsherbst befürchtet werden, waren gestern Thema.

Dass ein möglicher Beschluss des Sicherheitspakets ein solches Wahlzuckerl sein könnte, stellte Grünen-Klubobmann Albert Steinhauser in Abrede und warnte vehement vor einem Überwachungsstaat. Er bezeichnete die Grünen als "kampfbereit für die Bürger" und fuhr insgesamt bereits die (Wahl-)Kampflinie einer Alleinstellung gegen FPÖ und alles was rechts ist.

Ein Hauch von Eklat

Wenn Diskussionsleiterin Patricia Pawlicki ordnend eingriff, was mit zunehmender Dauer notwendig war, fühlte sich der eine oder andere ungerecht behandelt. Am meisten FPÖ-Chef Heinz Christian Strache, der sogar androhte, einen Bosbach zu machen. Als "Bosbach" gilt seit Mittwoch im deutschen Fernsehen: Eine Talksendung verlassen, weil man mehrmals unterbrochen wird und die Standpunkte des Gegenübers gänzlich ablehnt.

Im österreichischen Fernsehen sah das so aus: Als Steinhauser ihm beim Thema Pflegeregress ins Wort fiel, und Pawlicki danach den Diskussionsfaden gleich weiterspinnen wollte, sagte Strache plötzlich völlig entgeistert: "So ist das aber keine Diskussionskultur. Na, dann geh' ich". Er blieb bis zum Schluss sitzen. Und fiel dann anderen ins Wort.

Strache hatte neben Kritik an "Frontex-Wassertaxis" im Mittelmeer unter anderem noch zu verkünden, dass die FPÖ keinen Dreikampf führen wolle, sondern einen Zweikampf gegen Rot-Schwarz. Er warnte davor, dass sich die beiden Regierungsparteien auch nach dieser (Wahl-)Auseinandersetzung wieder einigen könnten.

Neues Gesicht

Für die ÖVP saß nicht Klubchef Reinhold Lopatka im Studio, sondern ein neues Gesicht bei TV-Diskussionen: Stellvertreter August Wöginger. Zuletzt wurde kolportiert, dass der Oberösterreicher nach der Wahl als neuer Klubchef gesetzt sein könnte. Am "Runden Tisch" wiederholte er die Forderung nach einer Schließung der Mittelmeerroute. Ebenso strikt an der Kurz-Linie bewegte sich Wöginger mit einem betont ruhigen, ausgeglichenen Diskussionsstil.

Als ausgeglichen gilt auch sein Gegenüber bei der SPÖ, Klubchef Andreas Schieder. Gestern argumentierte er aber mehrmals ungewohnt emotional. Beim Thema Kontrollen und Bundesheerpanzer am Brenner stritt Schieder mit Strache über die Zahl der illegalen Grenzübertritte an der besonders sensiblen "Innertiroler Grenze". Bei der Diskussion um die Finanzierung der Aufhebung des Pflegeregresses herrschte ebenso Uneinigkeit über die entsprechenden Zahlen. "Der Kollege Strache wird sich sinnvollerweise nicht als Finanzminister bewerben," sagte Schieder, "da hat er große Lücken."

Große Ziele

Strache hatte zudem erklärt, er wolle eine Verringerung der Abgabenquote über eine Staats- und Verwaltungsreform gegenfinanzieren. Die Ankündigung einer solchen geistert seit Jahrzehnten durch die Politik und wurde dennoch nie gestemmt.

Ähnlich große Ziele verfolgt offenbar immer noch Team-Stronach-Klubchef Robert Lugar: "Ich werde dafür sorgen, dass wir in Österreich neue Mehrheiten bekommen und endlich eine Regierung, die arbeitet", sagte Lugar. Das Team Stronach will im Herbst allerdings nicht mehr kandidieren. Lugar aber schon.

In welcher Form? "Das werden wir sicher nicht hier im Fernsehen abhandeln", sagte Lugar entnervt. Die Frage, ob die FPÖ ihn vielleicht anwerben wolle, hatte Strache zuvor so beantwortet: "Ja vielleicht, er ist ein ganz sympathischer Bursch."

Noch flapsiger wurde es bei der Frage, wer denn einem Irrtum aufsitze, wenn er für seine Partei am 15. Oktober den ersten Platz prognostiziert.

Schieder: "Das ist jetzt schon klar: Der Wöginger."

Wöginger wiederum: "Der Schieder hat nicht recht."

Das war dann schon das Höchstmaß an Widerspruchsgeist beim Vertreter der Neuen Volkspartei.

Radikal sommerlich

Manche Diskutanten zeigten sich allerdings in geradezu sommerlicher Lässigkeit (Schieder: "Ich weiß nicht, warum sich der Lugar so aufregt"). Da wurde herzlich aufgelacht, als Wöginger sagte, Kurz wolle sich als neuer Parteichef mit seiner frühzeitigen Plakatkampagne "dem Volk zeigen". Bei anderen Wortmeldungen wurde mit den Augen gerollt, oder plötzlich aufs joviale "Du" umgeschaltet.

Eine Art Erklärung dafür lieferte Lugar: "Natürlich gibt es unterschiedliche Standpunkte. Aber wir sind uns hier nicht böse untereinander und können uns alle privat ganz gut leiden." Dass die Politik also radikaler würde, wie es Vizekanzler Wolfgang Brandstetter jüngst ins Spiel brachte, könne er überhaupt nicht nachvollziehen.

Dafür begeben sich die sechs Parlamentspolitiker demnächst radikal, nämlich ausnahmslos, in den kurzen Sommerurlaub. Für etwas Abkühlung ist es, wenn man diesen "Runden Tisch" betrachtet, offenbar höchste Zeit. Aber es wird nicht mehr lange dauern, bis es tatsächlich heißt: "Auf in den Wahlkampf!"

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