Richard Ashcroft im Interview: "Macht residiert nie im Licht"

Der Schöpfer der "Bittersweet Symphony" tritt zum Comeback an.

Schon mit 21 Jahren – lange bevor er mit seiner Band The Vevre berühmt wurde – bekam Richard Ashcroft den Spitznamen "Mad Richie". In einem Interview hatte er nämlich gesagt: "Ich glaube, dass man fliegen kann, ich glaube an Astralreisen!"

Dass er den Song "Out Of My Body" jetzt als Antwort auf die Kritik von damals an den Anfang seines jüngsten Albums "These People" gestellt hat, bestreitet er. "Stimmt, das ist witzig", lacht er im KURIER-Interview. "Aber daran habe ich nicht gedacht. Der Song ist . . ."

Es folgt eine fünfminütige Abhandlung über die Watergate-Affäre, Alice im Wunderland und Ashcrofts Abtauchen ins Privatleben. Mit der Essenz, dass es – wie in vielen Songs der neuen Platte – um persönliche Freiheit geht.

Sechs Jahre hat sich der Verve-Gründer dafür Zeit gelassen. Trotzdem wirkt "These People" musikalisch ein wenig orientierungslos. Ashcroft wirft dabei Rock, Pop und Folk in den Topf und würzt mit Electronic-Beats oder den bombastischen Streicher-Arrangements, die die Verve-Klassiker "Bittersweet Symphony" und "The Drugs Don’t Work" zu Welthits gemacht haben.

Was ihm von damals geblieben ist, ist die Fähigkeit, eingängige Melodien zu schreiben. Was den neuen Songs fehlt, ist die Dringlichkeit der Aussage – egal ob politisch oder persönlich –, die Ashcroft beim Plaudern an den Tag legen kann.

Redeschwall

Denn einmal auf ein Thema angesprochen, redet der 44-Jährige wie ein Wasserfall, kommt sprunghaft zu allen anderen Dingen, die ihm grad am Herzen liegen. Schließlich hat er in der Pause viel Zeit gehabt, über sich und die Welt nachzudenken.

"Ein Grund, dass ich für das Album so lange gebraucht habe, war, dass mein Manager schwer krank wurde und später starb. Und es war auch alles so verwirrend: Die persönliche Situation genauso wie die Welt da draußen – mit Russland und der Ukraine und allem anderen. Diese Zeit fühlt sich an wie eine globale Krise von entscheidender Bedeutung. Als Vater erwacht da in mir der Beschützer-Instinkt, ich muss das thematisieren."

Mit dem Song "They Don’t Own Me" spielt Ashcroft deshalb auf vieles an, was in den letzten Jahren passiert ist, auf Banken, Konzerne, aber auch die Medien: "Früher wurden Whistleblower als Helden verehrt. Heute sind sie auf der Flucht. Da frage ich mich, wo ist die Rede-Freiheit hingekommen? Sind unsere Medien wirklich unabhängige News-Quellen, oder der verlängerte Arm der Regierung? In manchen Ländern würden die Leute alles geben, um als Journalisten die Freiheiten zu haben, die wir hier haben. Umso enttäuschender ist es, wenn die nicht genützt werden. Aber ist Demokratie ohnehin je wirklich frei?"

Marionetten

Im selben Atemzug kritisiert er die Politiker: "Das sind Marionetten, die uns tagtäglich unterhalten. Entschieden wird in Hinterzimmern. Politiker sind nur die, die uns diese Entscheidungen dann verkaufen. Die Macht residiert nie im Licht."

Wie im Interview mischt Ashcroft all das auch in seinen Texten mit spirituellen Botschaften über "Momente der Transzendenz, wenn man sich völlig frei und eins mit dem Universum fühlt". In den Augen seiner Frau findet der Brite heute solche Momente, oder bei Spaziergängen mit den Kindern in der Natur. Auch die alten Verve-Hits, sagt er, seinen solchen Augenblicken geschuldet.

"Mit ,The Drugs Don’t Work’ oder "Bittersweet Symphony’ hatte ich das Glück, eine Quelle der Wahrheit und der Zeitlosigkeit anzapfen zu können . . . und das auch zuzulassen. Denn eigentlich wollte ich gleich nachdem ich sie geschrieben hatte, viel daran ändern. Aber das war nur mein bewusster, alltäglicher Geist, der von den Prägungen der Vergangenheit gesteuert wird. Der dir sagt, der und der könnte das und das darüber denken. Im Idealfall ist der beim Songschreiben aber nicht da."

Weiter lässt er sich heute nicht mehr auf Spirituelles ein. Dass er fliegen kann, behauptet er nicht mehr: "Ich denke, ich habe das damals in meinem jugendlichen Überschwang nur gesagt, um anzudeuten, dass ich alles erreichen kann, was ich will, und mir von niemandem Grenzen auferlegen lassen werde. Denn damals hat mir keiner zugetraut, dass ich einmal Welthits schreiben werde."

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