Ein Opernhaus, das "Nein!" ruft

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Der preisgekrönte Brüsseler Intendant Peter de Caluwe über Haneke, Museen und Rebellion.

Die Brüsseler Oper La Monnaie zählt zu den erfolgreichsten und künstlerisch relevantesten Musiktheatern der Welt. Schon in den 1980er-Jahren sorgte der damalige Intendant Gérard Mortier vor allem mit Mozart-Produktionen für Furore – er wurde danach als Chef zu den Salzburger Festspielen berufen. Seit 2005 steht Peter de Caluwe an der Spitze des Theaters, das zuletzt zwei Mal en suite zum „Opernhaus des Jahres“ gewählt wurde.

Zurzeit ist in Brüssel Mozarts „Così fan tutte“ in der Inszenierung von Michael Haneke zu sehen – jene Erfolgsproduktion, die im kommenden Jahr unter dem neuen Festwochen-Leiter Markus Hinterhäuser möglicherweise auch nach Wien kommt. Intendant Peter de Caluwe eröffnet das Interview mit dem KURIER auch gleich mit einem Österreich-Aspekt.

Peter de Caluwe: Zuletzt habe ich Österreichs Kulturministerin Claudia Schmied in Brüssel getroffen. Ich finde, dass ihre Bereiche Kunst und Unterricht gut zusammenpassen. Außerdem hat die Kultur ja in Österreich nach wie vor enorme Bedeutung.

Ein Opernhaus, das "Nein!" ruft
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KURIER: Ist das politische Interesse in Brüssel etwa an der Oper nicht so stark?

Die einzigen zwei Politiker, die regelmäßig zu uns ins Theater kommen, sind die EU-Spitzen Manuel Barroso und Herman Van Rompuy. Nationale Politiker kommen gar nicht.

Und wie funktionieren Bestellungen im Kulturbereich?

Ich bin der erste Intendant in Brüssel, bei dem es keine politische Entscheidung gab. Ich habe davor 16 Jahre lang in Amsterdam gearbeitet und wurde von einer Findungskommission ausgewählt. Vielleicht war es deshalb zu Beginn etwas leichter für mich, weil ich, obwohl ich Belgier bin, wie ein Niederländer betrachtet wurde und quasi von außen kam.

Braucht ein kleines Land wie Belgien oder Österreich Kulturmanager von außen?

Da gibt es sicher eine Parallele. Man muss aus diesem kleinen Zirkel ausbrechen, sonst wird das ja fast klaustrophobisch. Wenn man Belgien und Österreich vergleicht, muss man auch sagen: Brüssel ist vielleicht die politische europäische Hauptstadt. Aber das eigentliche geografische Zentrum Europas ist Wien. Insofern sind wir fast wieder bei den Habsburgern. (lacht)

Worum geht es Ihnen bei der Programm-Erstellung?

La Monnaie ist zweifellos ein europäisches Zentrum für Kreativität, ähnlich wie es die Salzburger Festspiele sein sollten. Hier entstehen neue Dinge. Hier geht es um Fragen zur Gesellschaft. Um Innovation. Und sicher nicht um Entertainment und Kommerz.

Ähnlich wie in Deutschland, wo das viel diskutierte Regietheater sehr stark ist?

Uns geht es nicht nur um das Konzept, sondern auch um die Geschichten. Um europäische Zusammenhänge, die man anhand der Werke der Komponisten zeigen kann. Nehmen wir zum Beispiel die Inszenierung von Haneke: Das sind moderne Einsichten auf Basis von Mozart. Das ist unser Ziel.

Wie hoch ist Ihre Subvention?

33 Millionen Euro pro Jahr. Aber jetzt steht fest, dass wir noch für die laufende Saison 1,1 Millionen Euro weniger bekommen. Seit 2008 wurden wir jedes Jahr um mindestens zwei Prozent gekürzt. Insgesamt 15 Prozent weniger. Ich wurde heuer als erster Kulturmanager zu Belgiens „Manager des Jahres“ gewählt. Und was ist passiert? Am nächsten Tag hat man mir eine Million gestrichen. Ich möchte daher lieber keine solchen Preise oder Auszeichnungen wie „Opernhaus des Jahres“. Da glauben die Politiker, es funktioniert ja alles problemlos und mischen sich kurzfristig ein. Das ist sehr enttäuschend. In Österreich, glaube ich zumindest, könnte ich die Kulturministerin anrufen. Hier läuft man ins Leere.

„Così fan tutte“ ist eine Koproduktion mit dem Teatro Real in Madrid, das von Gérard Mortier geleitet wird. Sind solche internationalen Kooperationen notwendig?

Ich schätze Mortier sehr. Es ist eine Würdigung seiner Leistungen zu seinem 70. Geburtstag, dass wir diese Saison mit einer Produktion aus Madrid beenden und kommende mit einer weiteren eröffnen: „C(h)oeurs“ von Alain Platel. Aber für uns ist es ungewöhnlich, dass wir eine Produktion übernehmen. Meistens entstehen die Aufführungen hier. Nächstes Jahr allerdings werden wir auch mit den Wiener Festwochen unter Markus Hinterhäuser so kooperieren: Es kommt eine Produktion in Wien heraus und geht dann nach Brüssel. Markus ist ja auch einer, der über die Grenzen denkt.

Was bedeutet grundsätzlich Oper heute für Sie?

Oper ist ein Genre gegen Populismus und gegen nationale Tendenzen, ein Plädoyer für das Zusammenleben verschiedener Kulturen und Schichten. Oper ist auch die einzige Kunstform, die noch existiert, in der man nur mit Harmonie auf allen Ebenen Erfolg haben kann. Da darf es keine Kompromisse geben, da müssen alle Bereiche passen. Es heißt immer, in der Kunst muss man ökonomische Modelle übernehmen. Lasst doch lieber die Ökonomie die Harmoniemodelle der Theater übernehmen! Diese Harmonie, die Gemeinsamkeit, kommt heute leider nicht mehr von der Kirche, die allzu oft auf Konfrontation setzt. Das können nur noch die Theater. Das hat aber nichts zu tun mit Kulinarik. Es geht um ein Gemeinschaftsgefühl, um ein Ideal, das wir wiederfinden müssen. Und wir müssen permanent das System infrage stellen.

Ist das Brüsseler Publikum offener als etwa das österreichische?

Ich kenne Wien dafür viel zu wenig. Ich war nur zuletzt enttäuscht, als ich als Vorsitzender der europäischen Opernkonferenz eine Diskussion mit den Wiener Opernchefs moderiert habe und die Haltung herrschte, dass Oper nichts beim Publikum bewirken kann. Ich finde auch, man muss gezielt Theater für die Stadt, in der man arbeitet, machen. Ich war etwa vor Jahren im Gespräch für die Intendanz in München. Aber ich hatte Angst vor diesem Haus, weil ich das Publikum und das Theater nicht gespürt habe. In Opernhäusern wie in München oder in Wien gibt es so viel Historisches, das mitschwingt. Das haben wir in Brüssel nicht. Ich kann Werke bringen, die man seit Jahrzehnten hier nicht gesehen hat.

Viele Opernexperten sind der Ansicht, dass es weiter auseinanderdriften wird: Auf der einen Seite Stagione-Theater, auf der anderen Repertoirehäuser, die immer musealer werden. Teilen Sie diese Meinung?

Das sind doch schon Museen. Das hat zwar den Vorteil, dass man immer wieder neue Sänger hört. Aber wenn man da einen „Parsifal“ herausbringt, spielt man den 20 Jahre im Repertoire. Da ändert sich ja die Gesellschaft schneller als die Inszenierung. Kunst braucht immer einen Draht zur aktuellen Gesellschaft. Und Theater muss etwas Essenzielles aussagen. Ich glaube an die Kraft der Humanität.

Wie sehen Sie die Funktion des Intendanten?

Er ist eine Person zwischen dem Publikum und dem Künstler. Aber er selbst ist keinesfalls ein Künstler. Das verwechseln manche meiner Kollegen: Sie denken wie Künstler an ihre Karrieren. Aber sie sind nicht die Stars, sondern sollten nur Vermittler sein. Ich kann auch nur in einer Stadt arbeiten, die ich spüre. Deshalb würde mich etwa Mailand gar nicht interessieren.

Ihre Pläne für die Zukunft?

Ich habe in Brüssel einen Vertrag bis 2019. Bis 2016 ist das Programm geplant. Kommende Spielzeit steht unter dem Motto „Nein!“ Wir rufen eine „soft“ Art von Rebellion aus. Wir wollen gerade in Brüssel den Menschen wieder ins Zentrum stellen und nicht die Institutionen. Es gibt ja Mächte, die wir nicht mehr kontrollieren können, die uns kontrollieren. Dagegen wollen wir rebellieren. Zu den Werken, die wir spielen, gehören „Clemenza di Tito“, „Hamlet“, „Rigoletto“, die Uraufführung der neuen Boesmans-Oper, „Orfeo ed Euridice“, „Jenufa“. Die Regisseure sind unter anderem Ivo van Hove und Jan Versweyveld, Olivier Py, Alvis Hermanis, Robert Carsen.

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