Oper: Triumphaler Auftakt in Paris

Ein echter Stier auf der Bühne der Pariser Opera Bastille – ihm werden die Jungfrauen geopfert. Zum Glück freilich nicht ganz
Stéphane Lissner startet mit Schönbergs "Moses und Aron" mutig in seine neue Intendanz

Wien-Tage in Paris.

Am Montag dirigierte Franz Welser-Möst, der ehemalige Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper, in der neuen Philharmonie das Cleveland Orchestra bei Gustav Mahlers Dritter.

Am Dienstag präsentierte Stéphane Lissner, der ehemalige Musikdirektor der Wiener Festwochen (und Vorgänger des Wieners Alexander Pereira als Chef der Mailänder Scala), in der Bastille seine erste Premiere als neuer Intendant der Pariser Oper. Am Pult: Philippe Jordan, der Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Auf dem Programm: Die Oper "Moses und Aron" des gebürtigen Wieners Arnold Schönberg. Nur am Champions-League-Spiel zwischen Paris SG und Real Madrid am Mittwoch war Wien völlig unbeteiligt, aber das nur nebenbei.

Kühn

Lissners Auftakt geriet zum Triumph, auch aufgrund der Inszenierung von Romeo Castellucci, der in Wien unter anderem mit Glucks "Orfeo" für Furore gesorgt hatte. Mit einem Werk von Schönberg zu starten, dafür Castellucci zu engagieren, einen der radikalsten und tiefgründigsten Regisseure – das beweist nicht nur Mut, sondern auch die große Ambition, ein als konservativ verschrieenes Operntheater wieder zeitgemäß zu positionieren. Das Publikum war nach der Premiere begeistert, der Mut, den Stier bei den Hörnern zu packen, hat sich gelohnt.

Apropos Stier: In dieser Produktion spielt ein echter mit, der seinen ersten Auftritt gleich zu Beginn und seinen großen beim Tanz um das Goldene Kalb hat. Über seine stimmlichen Qualitäten lässt sich nur wenig sagen, bei der Choreografie einer gigantischen Schütt-Orgie im Hermann-Nitsch-Stil (allerdings mit schwarzer Farbe statt mit Blut) macht er geduldig mit.

Castellucci stellt diesen Tanz auf eine Ebene mit der Gralsenthüllung im "Parsifal", was perfekt passt, weil man ja gerade bei diesen beiden Werken nie genau weiß, ob es sich um eine Oper oder doch um eine Form von Gottesdienst handelt.

Das zentrale Thema bei "Moses und Aron" ist der Streit zwischen den beiden Protagonisten um die Darstellung Gottes. Darf man den Allmächtigen bildlich, ikonografisch zeigen? Moses findet nein, Aron findet ja. Oder ist er eine Idee und das Göttliche nicht in Bilder zu fassen?

Unscharf

Castellucci denkt diese Frage konsequent weiter und lässt den ganzen ersten Akt des Fragments (etwa eine Stunde) hinter einem Vorhang spielen. Alles ist weiß und unscharf, man erkennt keinen einzigen Sänger und nimmt den (exzellenten) Chor optisch nur als Masse wahr. Castellucci schlägt sich hier also auf die Seite von Team Moses. Die Wunder lässt er von Wissenschaftlern (die ja oft glauben, mit ihren Erkenntnissen Gott abgelöst zu haben) ausführen. Dabei schafft der Regisseur, der auch für Bühne, Kostüme und Licht zuständig ist, Räume von atemberaubender Intensität.

Im zweiten Akt, wenn das Volk Moses misstraut und die alten Götter herbeisehnt, geht der Vorhang hoch, und der Regisseur taucht wie mit Tinte alles in Schwarz. Wohl auch eine Referenz an das Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch (erstmals 1915 ausgestellt), das man ja als eine Art optischer Weiterentwicklung von Schönbergs Atonalität verstehen könnte. Das Konkrete ist nicht mehr möglich und daher führt zwingend zum Abstrakten. Mit solchen Ansätzen beschäftigt sich Castellucci anstatt der Versuchung zu erliegen, das Bilderverbot anderer Religionen (das bekanntlich in Paris zu Anschlägen führte) zu thematisieren.

Scharf

Dirigent Philippe Jordan ist ihm dabei ein kongenialer Partner: Seine Lesart am Pult des präzisen Orchesters ist höchst analytisch, die Schärfen auslotend, ohne dabei auf Dramatik und Emotion zu verzichten. Klanglich zeichnet er einen Bogen von Wagner bis Alban Bergs "Lulu". Meisterhaft.

Thomas Johannes Mayer ist der Moses mit sonorem Bariton und großer Wortdeutlichkeit in der Sprechstimme. John Graham-Hall als Aron spielt aufopfernd und artikuliert fein, sein Tenor zeichnet sich jedoch (glücklicherweise nur anfangs) durch ein Tremolo aus, das vermuten lässt, er zittere vor dem Stier. Die kleinen Partien sind seriös besetzt.

Am Freitag (21.45 Uhr) lässt sich auf Arte überprüfen, wie die Negation der Bildlichkeit im Fernsehen wirkt. Und was im Opernbereich szenisch möglich ist.

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