Burgtheater-Bericht: Alle haben Mitschuld

Das Wiener Burgtheater
Der Rechnungshof prüfte die Ära Hartmann/Stantejsky – und lässt niemanden ungeschoren.

Der Auftakt der Serie:

Im Frühjahr 2014 platzte die Bombe: Das Burgtheater war tief verschuldet, beinahe zahlungsunfähig. Vizedirektorin Silvia Stantejsky, zuvor Geschäftsführerin, und Matthias Hartmann, der Direktor seit dem Herbst 2009, wurden entlassen. Zu Recht? Und waren wirklich nur die beiden verantwortlich für den Finanzskandal?

Die Staatsanwaltschaft recherchiert noch immer. Aber nun liegt zumindest der "Rohbericht" des Rechnungshofs vor. So viel ist nach der Lektüre klar: Alle haben Mitschuld. Auslöser für die Probleme war das "Feuerwerk" an Inszenierungen, das Hartmann zu Beginn seiner Ära zündete. Denn das zuvor genehmigte Budget wurde gnadenlos überzogen. Der RH beanstandet, dass die Geschäftsführung – also Stantejsky und Hartmann – nicht unverzüglich dem Aufsichtsrat Bericht erstatteten. Umgekehrt hätte aber auch diesem auffallen können, dass 36 Neuproduktionen nicht finanzierbar seien. Zumindest Susanne Moser von der Komischen Oper Berlin oder Georg Springer, Chef der Bundestheater-Holding, hätten – meint der RH – eine Debatte anstoßen müssen.

Kritisiert wird auch die damalige Kulturministerin Claudia Schmied (SPÖ): Sie verlängerte 2012 den Vertrag von Hartmann – ohne vorherige Ausschreibung, "obwohl ihr Ressort über die sich verschlechternde wirtschaftliche Situation" des Burgtheaters informiert worden war.

Verschenkte Karten

In den nächsten Tagen präsentiert der KURIER eine Fülle an Einzelheiten. Zunächst aber die Vorgeschichte: In den späten 1990er-Jahren wurden die Bundestheater ausgegliedert. Ziel waren u.a. flexiblere Arbeitszeiten, geringere Gehälter – und eine größere Transparenz. Doch nicht alle Missstände wurden eliminiert. So war es üblich, dass der Betriebsrat für jede Vorstellung ein recht großes Kontingent an Freikarten bekam. Bereits am 21. Mai 2007 hatte der Oberste Gerichtshof im Falle der Staatsoper entschieden, dass ein Anspruch der Mitarbeiter auf Gratiskarten nicht bestand. Die Staatsoper wurde damals von "Sparefroh" Ioan Holender geleitet, das Burgtheater von Klaus Bachler und Thomas Drozda, seit letzter Woche Kulturminister (SPÖ).

In der Burg aber behielt man die Praxis bei: Im untersuchten Zeitraum, also in den sechs Geschäftsjahren 2008 bis 2014, wurden insgesamt 41.000 Karten an den Betriebsrat verschenkt – im Wert von 1,52 Mio. Euro. Die Auslastung stieg dadurch z. B. im Geschäftsjahr 2013/’14 in Burgtheater um 1,6 Prozent, im Akademietheater um 1,7 Prozent. Der RH empfahl, dies zu beenden – zumal die Kartenabgabe im Widerspruch zur Regelung der Holding stand.

Trick mit der Auslastung

Zudem wurden seit 1999 – also auch in der Ära Bachler/Drozda – bei Repertoirevorstellungen im Burgtheater bis zu 112 teilweise stark sichtbehinderte und bis zum Vortag nicht verkaufte Sitzplätze nachträglich aus dem Angebot genommen. Durch diesen Trick stieg die Auslastung. Und so manche Vorstellung wurde freudig als "ausverkauft" geführt, was nicht den Tatsachen entsprach.

Ohne diese Manipulation wäre das Burgtheater z.B. in der Saison 2013/’14 um drei Prozentpunkte geringer ausgelastet gewesen (78 Prozent statt 81 Prozent). Der RH anerkennt, dass die neue Leitung die Auslastung richtig berechnet. Die zuletzt kommunizierten, leicht gesunkenen Auslastungszahlen bedeuten also nicht, dass weniger Besucher gekommen sind. Sondern nur, dass Karin Bergmann und Thomas Königstorfer ehrlich sind.

Hier lesen Sie mehr über Hartmanns Vertrag:

Wenn man sich die Frage stellt, wer alles Mitschuld hat am Finanzskandal des Burgtheaters, darf man Franz Morak, den ehemaligen Kunststaatssekretär (ÖVP), nicht vergessen. Am 13. Juni 2006 gab der in die Politik quer eingestiegene Burgschauspieler und New-Wave-Schizo-Punker bekannt, dass Matthias Hartmann am 1. September 2009 auf Klaus (heute Nikolaus) Bachler nachfolgen werde.

Auch wenn sich Hartmann gerne auf die Position des Regisseurs und künstlerischen Leiters zurückzieht: Man kam damals vertraglich überein, dass er als Co-Geschäftsführer „die Verpflichtung zur wirtschaftlichen, zweckmäßigen und sparsamen Gebarung unter Bedachtnahme auf die verfügbaren, dem Burgtheater zur Erfüllung seiner Aufgaben zugewiesenen Mittel“ hat.

Für die Vorbereitungszeit von 1. September 2006 bis zum 31. August 2009 wurde ein Pauschalhonorar in der Höhe von 85.000 Euro vereinbart. Zudem zahlte die Burg etwa 52.000 Euro an Reise-, Telefon- und Umzugsspesen – laut Rechnungshof in seinem Rohbericht – ohne die erforderliche Genehmigung von Georg Springer, damals Chef der Bundestheater-Holding, eingeholt zu haben. Auch rechnete Hartmann seine Dienstreisen nicht ab: Für 37.000 Euro konnte der RH keine Originalbelege finden.

Vorgesehen war ein Jahresbezug von 217.000 Euro. Claus Peymann, der Vorvorgänger, hatte pro Saison zwei Stücke gratis zu inszenieren; Hartmann hingegen sollte für jede Regiearbeit eine gesonderte Abgeltung erhalten. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im September 2006 ging man von 40.000 Euro (wertgesichert) aus. Im März 2009 – also ein halbes Jahr vor Hartmanns Start – wurde das Honorar auf 52.500 Euro (wertgesichert) angehoben. Das bedeutet eine Steigerung um 31 Prozent; der Verbraucherpreisindex stieg in diesen zweieinhalb Jahren laut RH aber nur um sechs Prozent.

Hartmann sagt auf Nachfrage, er habe um die Erhöhung nicht gebeten. Sie sei ihm von Silvia Stantejsky, der kaufmännischen Direktorin, angeboten worden, um seine Gagen „im Gagengefüge des Burgtheaters richtig zu positionieren“.

Hartmann führte eifrig Regie, vier Mal pro Jahr etwa. Und er hatte Anspruch auf eine Zusatzzahlung von 33 Prozent des Regiehonorars, wenn eine Produktion auch bei den Salzburger Festspielen gezeigt wurde. Im Fall von „Lumpazivagabundus“ (2013) betrug der Anspruch daher 53.423 plus 17.630, gesamt 71.053 Euro.
Die Prüfer kamen aus dem Staunen nicht heraus. Einer der schönsten Sätze lautet: „Der RH ging davon aus, dass das für die künstlerische Leistung vereinbarte Gehalt auf den Einsatz einer Vollarbeitskraft abstellte. Dies stand jedoch in einem Spannungsverhältnis zu den umfangreichen Regiearbeiten, die mit 737.636 Euro gesondert abgegolten wurden; eine Kürzung des Gehalts entsprechend der angefallenen Regiearbeiten erfolgte nicht.“

Hinzu kam der Pallawatsch mit den Auszahlungen, denen nicht immer ein nachvollziehbarer Leistungsgrund zugeordnet werden konnte. Insgesamt müsste Hartmann Anspruch auf 2,14 Millionen gehabt haben; ausgezahlt wurden aber 2,34 Millionen. Oder umgekehrt? Fazit: Der RH kritisierte, dass die Vertragsbeziehung des Burgtheaters mit Hartmann „von Rechtsunsicherheit und Intransparenz geprägt war“.

Lesen Sie im 3. Teil: Die Bestellung von Silvia Stantejsky.

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