Manuel Legris: "Die Tänzer waren traumatisiert"

Manuel Legris: "Die Tänzer waren traumatisiert"
Der Direktor des Staatsballetts über den Bolschoi-Krimi, den Wiener Ruf und die Tanz-Zukunft.

Die Tänzer sind über dem Limit – aber auf gute Art“, sagt Ballettdirektor Manuel Legris mit einem Schmunzeln.

Immerhin soll das Wiener Staatsballett am heutigen Mittwoch nichts weniger bieten als einen Ausblick auf die Zukunft seiner Kunst, bei der Premiere „Tanzperspektiven“ in der Staatsoper, einem von vier verschiedenen Choreografen gestalteten Abend. Das wird „modern, und nicht – ich mag das Wort nicht – langweilig“, sagt Legris zum KURIER. „Die Besucher sollen sagen: ,Wow, Ballett ist ein riesiges, komplettes Universum.’“

Provokation

Manuel Legris: "Die Tänzer waren traumatisiert"
APA11519762 - 18022013 - WIEN - ÖSTERREICH: Eine Tänzerin und ein Tänzer des Staatsopernballetts am Montag, 18. Februar 2013, bei einer Probe der Choregraphie "A Million Kisses To My Skin" die im Rahmen des Programmes "Tanzperspektiven" am 20. Februar an der Wiener Staatsoper Premiere hat. APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER
Ein Universum, zu dem vor allem viele junge Leute überhaupt keinen Zugang haben. „Einige junge Menschen sehen ,Schwanensee‘ zum ersten Mal – und sagen: Ach, das ist doch altmodisch, mit Tutu und so“, bestätigt Legris. „Ja, wir haben im klassischen Ballett manchmal noch Perücken. Es ist gut, Traditionen zu bewahren. Aber andere junge Menschen finden das Balletterlebnis magisch, andere mögen modernen Tanz. Und man braucht auch ein bisschen Provokation.“

„Nicht glücklich“ ist Legris hingegen über die hohe Zahl an Ballett-Vorstellungen an Staats- (an die 50) und Volksoper (rund 30). Denn diese verhindern ausführliche Probenarbeit mit großen Choreografen. „ Das ist mein größtes Problem in Wien, und ich habe dafür keine Lösung. Wir haben die ,Tanzperspektiven‘, vorher den Opernball, dazwischen ,Manon‘, ,Blaubart‘ an der Volksoper, usw. – ich kann die Tänzer nicht für zwei Monate für ein Projekt abstellen. Wir sind jetzt schon am Maximum angelangt. Mehr kann man von den Tänzern nicht mehr verlangen, sonst werden die wahnsinnig“, sagt Legris.

Wobei sich die Stimmung in der Compagnie stark gebessert habe: „Als ich kam, waren die Tänzer traumatisiert, weil jede Kritik schlecht war“, schildert Legris. „Ich liebe Kritik, jeder braucht Kritik. Aber wenn alles immer nur negativ ist, dann wird man depressiv. Jetzt sehen die Tänzer auch anhand der Kritiken, dass es aufwärts geht, dass viele Fortschritte gemacht wurden“. Die Compagnie sei nun „wie eine Familie“, mit „Tänzern aus so vielen Nationen, die Österreich lieben und Wien als ihr Zuhause ansehen“. Vergleichsweise wenige österreichische Tänzer sind in dieser Familie, bestätigt der Ballettchef: „Ja, ich weiß“, sagt Legris. Doch „es gibt sehr viele österreichische Talente, die ich an die Compagnie heranführen will. In vier, fünf Jahren wird es einige österreichische Top-Tänzer geben.“

Geschockt

Als „einen Schaden für die gesamte Ballettwelt“ bezeichnet Legris die Tragödie rund um den Säureanschlag auf den Tanz-Chef des Bolschois, Sergej Filin. „Ich kenne ihn gut. Als ich von dem Anschlag gehört habe, war ich völlig geschockt, das ist durch nichts zu rechtfertigen. Ich sage nicht, dass Filin ein Engel ist. Niemand ist ein Engel. Ich weiß auch nicht, was dahinter steckt. Aber das Bolschoi hat eine lange Ballett-Tradition. Die junge Generation ist anders. Per Internet und Facebook können Menschen von einer Minute auf die andere zerstört werden. Ich dachte nach, ob mir das auch passieren kann, ich bekomme auch dumme Briefe. Aber ich denke, Russland ist insgesamt ein sehr gefährliches Pflaster.“ Mit dem scharfen Konkurrenzkampf in der Ballettwelt haben die Geschehnisse für Legris ursächlich nichts zu tun. „Intrigen aber gibt es überall. Auch in Paris oder in Italien, mit der Gewerkschaft, ist es hart. Selbst Wien hatte, als ich kam, einen ziemlich schlechten Ruf. Weniger wegen der Intrigen als vielmehr wegen des geringen Stellenwerts, den das Ballett damals hatte. Das hat sich geändert. “ Legris sieht „gute Perspektiven für Wien und das Ballett“ – denn nicht zuletzt auch finanziell „haben wir in Wien wirklich Glück. Ich hoffe, dass das so bleibt. In Spanien ist es ein Horror für die Kultur, dort wird alles gekürzt.“ Dass auch das Wiener ImPulsTanz-Festival von massiven Subventionskürzungen bedroht ist, „bedauere ich sehr. Dieses Festival ist für Österreich extrem wichtig. Ich schätze sehr, was Karl Regensburger und Ismael Ivo da geschaffen haben.“

Tänzer zu sein ist, so betont Legris, jedenfalls „eine unfassbar harte Arbeit. All die Schmerzen, der Wettbewerb unter den Tänzern ist groß, man muss kämpfen, die Karriere ist früh zu Ende. Nur wer wirklich eine tiefe Leidenschaft für das Ballett und das Tanzen hat, sollte diesen Weg einschlagen.“

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