Lisbeth hinter den Spiegeln

Lisbeth Zwerger am Zeichentisch.
Lisbeth Zwerger, Österreichs bekannteste Kinderbuchillustratorin, wird 60

E.T. A. Hoffmann, Gebrüder Grimm, Georg Büchner. Lewis Caroll, Rudyard Kipling, Theodor Storm: Es ist gut, dass die Autoren, deren Texte sie illustriert, nicht mehr leben. Lisbeth Zwerger sieht das pragmatisch: "Ich muss mich mit ihnen nicht herumschlagen. Es gibt ja manchmal echte Krisen zwischen Autor und Illustrator. Vielleicht schauen sie sich meine Illustrationen im Himmel an."

Ein häufiges Schicksal: Den Autor kennt man, wer die Bilder dazu gemalt hat, weiß man nicht. Ausnahmen bestätigen die Regel – Erich Kästners "Konferenz der Tiere" wäre ohne Walter Triers Illustrationen nur das halbe Vergnügen. Maurice Sendak ("Wo die wilden Kerle wohnen") und Eric Carle ("Die kleine Raupe Nimmersatt") erledigten Illustration und Erzählung gleich auf einmal. Und auch Edward Gorey schrieb sich die Geschichten zu seinen morbid-melancholischen Zeichnungen oft selbst. Was sie vereint: Man erkennt ihre Bilder auf den ersten Blick.

Zierlich

Auch bei Lisbeth Zwerger ist das so. Zwar lassen sich in ihren mittlerweile 40 Jahren künstlerischen Schaffens durchaus Tendenzen feststellen. Sie durchlebte verschiedene Farbphasen, von bräunlich bis bläulich, von intensiv bis matt, und probierte unterschiedliche Techniken, Wasserfarben, dann wieder Buntstifte. Doch ihr Stil ist eindeutig geblieben: Zart und zierlich, gleichzeitig sehr geradlinig; romantisch und ein bisschen verschroben, aber ohne Kitsch und Schnörksel. Filigran und doch bestimmt. Bezaubernd. Manchmal ein bisschen unheimlich.

Einige frühe Grimm-Illustrationen erinnern an Schiele, ihre Hauff-Bilder entfernt an Paul Flora. Und doch ist es unverwechselbar Lisbeth Zwerger: durch und durch ungewöhnlich.

Auch auf ihr Atelier, eigentlich bloß ein Schreibtisch im Wohnzimmer, passt diese Beschreibung: Hier gibt’s keine Fertigteile, keinen Möbelhaus-Chic. Spärlich, mit alten Möbeln eingerichtet, und doch federleicht. Altes Holz und viel Luft. In Teedosen wohnen verzierte Mohnkapseln – sie wurden zum Vorbild für die "Herzkönigin" aus Zwergers "Alice-im-Wunderland"-Buch – , auf einem Regal sitzt eine Kasperl-Puppe, die ihr ihr erster Mann, der englische Maler John Rowe, geschenkt hat. Auch ihr Abbild wurde ein Aquarell.

Lisbeth hinter den Spiegeln
Malerin, Lisbeth Zwerger, im Atelier,
Die Natur ist Zwerger, obwohl ihre Bilder sehr organisch wirken, nur theoretisch Vorbild. "Ich habe Sehnsucht nach romantischer Natur. Aber ich bin nicht oft in der Natur. Ich liebe die Erinnerung an sie."

Wenn die Illustratoren hinter dem Autor stehen, ist das bitter, sagt Zwerger. "Doch es ist nicht mein Schicksal, weil meine Autoren schon bekannt sind. Man könnte durchaus sagen, dass ich es mir leicht mache. Über die Gebrüder Grimm oder Oscar Wilde braucht man nicht mehr viel erzählen. Die haben sich längst bewährt."

Die Wienerin Lisbeth Zwerger, sie wird im kommenden Mai 60, ist eine der bekanntesten Illustratorinnen ihrer Zeit. Ihr wurden Einzelausstellungen in Japan, Italien, Deutschland und den USA gewidmet.

Verzweifelt

Das erste Mal stellte sie 1975 gemeinsam mit ihrem Vater, dem Grafiker Reinhold Zwerger, aus. Er war es auch, der sie zur Karriere ermutigte. Sie sei eine schlechte Schülerin gewesen, erinnert sie sich. "Das Malen und Zeichnen war das, mit dem ich Erfolg hatte. In der Schule und daheim. Mein Vater und meine Mutter waren beide sehr kunstinteressiert und haben mich unterstützt. Malen und Zeichnen war das Einzige, das mir wirklich Freude gemacht hat. Meine Eltern haben wahrgenommen, dass ich an der Schule verzweifelte und scheiterte. Ich hab das Gymnasium abgebrochen und sie haben mich in die Angewandte gesteckt. Ich bin ihnen ewig dankbar für diese Entscheidung."

Schon an der Angewandten hat Zwerger am liebsten illustriert. Das sei nicht besonders geschätzt worden: "Da wurde immer die sogenannte reine Kunst gewünscht, was ich gemacht habe, war ihnen irgendwie zu minder. Aber ich hab’s trotzdem gemacht, weil ich nicht anders konnte und wollte."

Romantisch

Ermutigt wurde sie dabei von den Andersen-Bildern des Tschechen Jiří Trinka, später vom Engländer Arthur Rackham, dem großen viktorianischen Illustrator, dessen romantische schwarz-weiß Zeichnungen sie nachhaltig prägten.

Lisbeth Zwerger hat nie aufgehört, an Märchen zu glauben. Das half in den immer wiederkehrenden Zeiten, als sie sich fragte: Wie überlebe ich als Illustratorin?

Inspiriert

Vor allem aber sind Märchen ihre größte Inspiration: "Was meine Bilder auszeichnet, ist der Text. Der Text ist immer einmalig gut. In der Poesie des Textes kann ich baden". Kaum hat sie das Papier auf das Zeichenbrett gespannt, kaum die ersten feinen Linien mit Sepiatusche gezogen, beginnt diese Sogwirkung: "Ich werde hineingezogen in eine andere Welt."

Ein bisschen erinnert das an Alice:

Lisbeth Zwerger hinter den Spiegeln.

Lisbeth Zwerger (* 26. Mai 1954 in Wien) studierte an der Hochschule für Angewandte Kunst und illustriert seit 1977 Bücher, unter anderem zu Geschichten von Oscar Wilde, Charles Dickens, E. T. A. Hoffmann, Clemens Brentano, den Brüdern Grimm.

Sie erhielt u. a. den österr. Kinderbuchillustrationspreis und den Hans-Christian-Andersen- Preis. Ihre Bücher wurden mehrmals von der N. Y. Times als bestes illustriertes Buch des Jahres ausgezeichnet. 2003 wurde ihr das Goldene Verdienstkreuz der Republik Österreich verliehen.

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