Kunsthalle Wien: Idylle ist trügerisch, überall

Installationsansicht: Marcel Odenbach. Beweis zu nichts Installationsansicht: Marcel Odenbach. Beweis zu nichts, Kunsthalle Wien 2017, Foto: Stephan Wyckoff: Beweis zu nichts, 2016, © Marcel Odenbach & BILDRECHT GmbH, 2017, Courtesy Galerie Gisela Capitain, Köln und Anton Kern Gallery, New York (honorarfrei zur Ausstellung Kunsthalel Wien)
Eine Schau von Marcel Odenbach lehrt nachdrücklich, der Oberfläche zu misstrauen.

Wie kann es sein, dass die Verhältnisse immer wieder kippen? Dass aus einer Witzfigur ein Diktator wird, aus einer Demokratie ein autoritäres Regime, aus dem Fortschritt ein Rückschritt?

Nicht nur Marcel Odenbach stellt sich dieser Tage solche Fragen. Der deutsche Künstler widmet sich der Thematik allerdings schon sehr lange, immer wieder, extrem genau und beharrlich. Die Bilder und Video-Installationen, die nun in der Kunsthalle Wien im MuseumsQuartier gezeigt werden (Eröffnung Samstag 19 Uhr; bis 30.4.), sind Resultate dieser Beschäftigung; zugleich fordern sie nachdrücklich auf, sich zu vertiefen, genau hinzusehen, Unterscheidungen zu treffen. Wobei Odenbach selbst ein wenig die Befürchtung hegt, sein Werk könnte angesichts der aktuellen weltpolitischen Umwälzungen „zu didaktisch“ daherkommen: „Ich will ja nicht der alte Mann mit dem Stock sein, der ruft: ,Ich hab’s euch immer schon gesagt‘“, erklärt er bei einem Rundgang mit dem KURIER.

Packende Ästhetik

Das Werk, das der 1953 geborene, an der Düsseldorfer Hochschule lehrende Künstler seit den 1970er- Jahren entwickelt, ist aber in seiner Ästhetik zu bestechend und zu packend, um als blutleere Geschichtsstunde zu versanden. In der Kunsthalle, wo Odenbach bereits mehrfach im Rahmen von Gruppenausstellungen zu sehen war, sind nun im wesentlichen zwei Werkstränge vereint: Einerseits Filme, andererseits Collagen, die aber vieles gemein haben, insbesondere eine stille, insistierende Qualität.

Kunsthalle Wien: Idylle ist trügerisch, überall
Marcel Odenbach, Die gute Stube, 2011, © Marcel Odenbach & BILDRECHT GmbH, 2017, Foto: Vesko Gösel, Köln, Courtesy der Künstler und Anton Kern Gallery, New York (honorarfrei zur Ausstellung Kunsthalle Wien)
Die großformatige Collage „Die gute Stube“ (2011, Bild) etwa zeigt vordergründig das Interieur eines brav-bürgerlichen Wohnzimmers; mit etwas Nachhilfe erfährt man, dass es sich um das Zimmer Adolf Hitlers in dessen einstiger Residenz am Obersalzberg handelt. Beim näheren „Heranzoomen“ fällt auf, dass Odenbach das Bild aus Hunderten kleinen Foto- und Textschnipseln zusammengesetzt hat – darunter auch Seiten der Zeitschrift „Simplicissimus“, in denen Hitler in den 1930er-Jahren häufig karikiert und verspottet wurde.

Der Prozess, in dem ein vordergründig harmloses Bild nach und nach seine Abgründe offenbart, ist das zentrale Erlebnis bei Odenbachs Werken. Die Videoarbeit „Beweis zu nichts“, die der Wiener Schau den Titel gibt, funktioniert im Kern nicht wesentlich anders: Hier ist es eine Gruppe monumentaler Bronzeskulpturen, die auf zwei Videokanälen bis in die Poren genau abgefilmt wird und dabei eine bedrohliche, dominante, fast waffenähnliche Präsenz erhält.

Zwiespältiges Gedenken

Tatsächlich sind die Skulpturen den Widerstandskämpfern im KZ Buchenwald gewidmet, entworfen wurden sie von Bertolt Brecht und dem Künstler Fritz Cremer, der nach dem Krieg zu einem Chef-Bildhauer der DDR avancierte. „Das Denkmal ist in seiner Formensprache faschistoid“, sagt Odenbach und verweist darauf, dass die Sowjets nach der Befreiung des Lagers dessen „Infrastruktur“ postwendend für eigene politische Gefangene nutzten. Der Film fungiert somit seinerseits als ein Mahnmal, das für die Wiederkehr autoritärer Ideologien – und Ästhetiken – sensibilisiert.

Seine stete Beschäftigung mit Verdrängung und Erinnerung sei „familiär fundiert“, erklärt Odenbach: Zwei Großtanten des Künstlers nahmen sich 1944 aus Angst, ins KZ deportiert zu werden, das Leben. Eine aus Belgien stammende Großmutter, die in der bis 1960 existierenden Kolonie Kongo gelebt hatte, bewog Odenbach wiederum dazu, sich mit Afrika zu befassen.

Krokodil im stillen Teich

Eine fast 15 Meter lange Collage, die zunächst als ein Gewirr von Palmblättern erscheint, tatsächlich aber ein Kompendium von Bildern aus dem Kongo beinhaltet, lässt sich im Saal abschreiten. Dazu läuft noch das Video „Im stillen Teich lauern Krokodile“, das Odenbach als seine „intensivste Arbeit“ bezeichnet.

Kunsthalle Wien: Idylle ist trügerisch, überall
Eine halbe Stunde lang folgt man hier auf zwei Projektionsflächen einer Spurensuche, die den Künstler sieben Jahre nach dem Genozid nach Ruanda führte. Odenbach schwenkt einmal über eine Gedenkstätte, an der blutgetränkte Hemden von Ermordeten aufgehängt wurden: „Die Bilder kann ich vergessen, den Gestank nie“, kommentiert er. Dann eine Sequenz, in der ein Krokodil plötzlich aus dem Wasser schießt und eine Antilope fasst: Idylle ist trügerisch, überall.

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