Kunst: Canetti war eine ziemliche Ratte

Kunst: Canetti war eine ziemliche Ratte
Marie-Louise von Motesiczky, Malerin und Geliebte Elias Canettis, feiert ihr Debüt auf dem Kunstmarkt.

Sie muss wirklich erbost gewesen sein: Als Marie-Louise von Motesiczky 1973 erfuhr, dass Elias Canetti die Restauratorin Herta Buschor geheiratet und mit ihr ein Kind gezeugt hatte, stellte sie den Schriftsteller als Ratte dar, die sich über eine Frau hermachte.
Seit 1939 waren die Malerin und der Literat in einer turbulenten Liebesbeziehung verbunden gewesen - Canetti hatte in den 1950er-Jahren in Motesiczkys Haus in West Hempstead Teile von "Masse und Macht" geschrieben und auch später bei ihr in London gewohnt.
Wie es bei Künstlerinnen allzu oft der Fall ist, stand Motesiczky im Schatten ihres berühmten Gefährten - auch wenn dieser sie mit Lob überschüttete und versuchte, ihr mit Essays in Ausstellungskatalogen zu Anerkennung zu verhelfen.

Motesiczkys Wohlstand mag sich ungünstig auf ihre Künstlerkarriere ausgewirkt haben: 1906 in eine reiche jüdische Aristokratenfamilie in Wien geboren, konnte Motesiczky 1938 noch ohne große materielle Verluste nach England fliehen. Nie musste sie in Folge ihre Werke verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Trotz internationaler Ausstellungen fehlte der Malerin so die - wertsteigernde - Präsenz in Auktionen und Galerien. Einige Arbeiten landeten in Museen (u. a. Belvedere, Wien Museum, Lentos), der Rest verblieb nach Motesiczkys Tod in einer Stiftung.

Am Markt

Kunst: Canetti war eine ziemliche Ratte

Die Wiener Kunsthandlung Wienerroither & Kohlbacher hat nun die erste Verkaufsausstellung für Motesiczkys Werke in Europa ausgerichtet (bis 31. Juli): Die Nachlassverwalter gaben eine Reihe von Werken frei, die die Entwicklung der Malerin von Expressionismus und Neuer Sachlichkeit hin zu einer eigenständigen, modernen Bildsprache nachvollziehbar machen.

Dass Motesiczky mit Kokoschka befreundet war und bei Max Beckmann studiert hatte, verlieh ihrem Werk früh ein Qualitätsprädikat - auch in der Wiener Ausstellung waren bisher frühe Arbeiten besonders gefragt, sagt Galerist Alois Wienerroither, der z. B. das Stillleben "Stockerl/Stool" (1927) um 41.500 Euro verkaufte.
Doch im späteren Werk kommt der beißende Humor und der hintergründige Symbolismus oftmals noch besser zum Vorschein: Da bannte Motesiczky neben der Ratte auch noch Fantasiewesen ins Bild ("Der Zauberfisch", 1956, 171.000 €) oder stellte sich selbst mit Pinsel und Malerpalette wie eine Kriegerin dar ("Konfrontation im Wald", 1970, 41.500 €). In der höchst persönlichen Umsetzung von Befindlichkeiten ist Motesiczky hier am ehesten mit Maria Lassnig vergleichbar, auch wenn sie einer völlig anderen Generation entstammte: In den Bildern der emigrierten Adeligen lebt ein Teil jenes modernen Geistes fort, der 1938 so brutal verbannt worden war.

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