Konstantin Wecker: "Empörung gegen die Schwächsten"

Konstantin Wecker
Konstantin Wecker und Volkshilfe-Chef Fenninger über Flüchtlinge, Faschismus und Staatskünstler.

Es scheint wie die Erinnerung an ein anderes Zeitalter, ist aber nur ein Dreivierteljahr her: Anfang Oktober kamen 100.000 Menschen zu einem Konzert auf den Heldenplatz, das der Solidarität mit Flüchtlingen gewidmet war. Seitdem hat die Flüchtlingskrise das Land entzweit. Konstantin Wecker, damals einer der Acts bei dem von der Volkshilfe veranstalteten Konzert, ist seiner Position treu geblieben: "Ich hab einen Traum: Wir öffnen die Grenzen und lassen alle herein", sagt er in seinem aktuellen Buch.

Ein Gespräch mit Wecker und Volkshilfe-Chef Erich Fenninger über das Versagen der Sozialdemokratie, den Faschismus-Vorwurf gegenüber Rechtswählern und den Bruch in der Gesellschaft.

Konstantin Wecker: Ich merke diesen Bruch ganz deutlich bei den Konzerten. Wenn ich das Lied "Ich habe einen Traum" spiele , gab es Leute, die aufgestanden und rausgegangen sind. Demonstrativ, dass man es auch ja sieht! Nicht allzu viele, aber doch. In Österreich mehr, übrigens.

KURIER: Das werden aber wohl insgesamt nicht viele Wecker-Fans machen.

Wecker: Das ist marginal. Ich erlebe sehr viel Schönes: Menschen, die sich bei mir bedanken, die sagen, in ihrer eigenen Familie werden sie schon als "Gutmenschen" beschimpft, und jetzt sehen sie 1000 Leute und einen Künstler, der das ausspricht, was sie denken. Mein Publikum und ich haben nicht die gleiche Meinung, aber die gleiche Sehnsucht. Und sie fühlen sich bestärkt. Das ist auch die Aufgabe der Kunst.

Aber wäre es nicht wichtiger, zu Menschen zu sprechen, die anderer Meinung sind?

Wecker: Viele sagen zu mir: Du müsstest doch in der Nazizentrale deine Lieder singen. Nein, keine Chance! Aber diejenigen, die vielleicht am Schwanken sind, die sich überlegen: "Vielleicht haben die doch recht, die sagen, dass die Willkommenskultur unvernünftig war", die kann man stärken. Denen kann man Mut machen. Kürzlich sagte mir eine Frau nach einem Konzert: "Gestern war ich noch auf einer Pegida-Demonstration. Ich fand das gut. Aber nach ihrem Konzert glaube ich, Sie haben recht." Eine hab ich schon von der Pegida weggebracht!

Viele Menschen sind empört und enttäuscht – über die vielen Aufgenommenen, die soziale Lage, die Politik. Zu Unrecht?

Wecker: Ich verstehe, dass die Menschen empört sind. Sie sind sozial fallen gelassen worden. Es wurde immer mehr an sozialen Sicherheiten abgebaut, und eine kleine Klientel wurde immer reicher. Das ist ein ganz bewusster Akt des Neoliberalismus. 1968 waren wir auch alle empört. Nur haben wir nächtelang diskutiert und uns gebildet, um den wahren Ursachen auf den Grund zu kommen. Die Pegida-Empörung sucht sich den Billigsten, Nächsten, Schwächsten. Das ist die Gefahr: Dumpfe Empörte kann man leicht populistisch ausbeuten, und daraus kann sich dann eine Faschisierung ergeben.

Ist der langjährige SPÖler, der jetzt den Hofer wählte, wirklich plötzlich ein Faschist?

Erich Fenninger: Es wäre ein großer Fehler, Menschen, die sich sorgen und die benachteiligt sind, Faschisten zu nennen. Der Arbeiter hat ja Recht in seiner Erkenntnis, dass diese Politik seine Lebenswelt nicht mehr verbessert, sondern schlechter macht. Die Aufgabe der Sozialdemokratie historisch war, für die Menschen, die benachteiligt werden, einzutreten, zu kämpfen und vor allem: mit ihnen Lösungen zu erarbeiten. Das ist aufgegeben worden. Die Sozialdemokratie hat hier ihre Glaubwürdigkeit verloren.

Und wie kommen die da Flüchtlinge ins Spiel?

Fenninger: Man konstruiert sie als Feindbild. Es wäre ein leichtes, diese Menschen gemeinsam unterzubringen, ohne dass Hysterie entsteht. Die Politik hat ein Feindbild mitkonstruiert und stößt damit in die Ängste der benachteiligten Gruppen. Die Rezepte der extremen Rechten aber sind die falschen. Selbst wenn kein Flüchtling da wäre, hätte man noch keinen Arbeitsplatz mehr. Ich bin der Meinung, dass der Kampf für die Rechte der Schutzsuchenden verbindbar ist mit dem Kampf für die Rechte der benachteiligten Österreicher. Es tut nur niemand. Es gibt Menschen, die massiv verloren haben. Wenn man mit denen Perspektiven entwickelt, wird der Rechtspopulismus relativ rasch zurückgehen.

Relativ rasch zurückgegangen ist auch die Euphorie der sogenannten "Willkommenskultur".

Wecker: Diese Willkommenskultur ist bei 50% der Menschen ganz bestimmt noch im Herzen. Es wurde uns nur systematisch die Empathie ausgeredet. Diese wunderschönen Bilder, als die Menschen an den Bahnhöfen waren – so hätte es weitergehen können. Empathie ist in diesem System, das nur auf Besser-Sein setzt, nicht gefragt.

Jetzt entwickelten viele Menschen die gegenteilige Meinung. Ist es richtig, weiter zu sagen: "Öffnen wir alle Grenzen"?

Wecker: Aber die Grenzkontrollen, die es derzeit gibt, sind ja ein Witz. Man weiß genau, wo man vorbeifahren muss. Da könnte ich hundert Flüchtlinge im Auto haben, während nebenan ein Riesenstau auf der Autobahn ist. Das ist lächerlich, nur ein symbolischer Akt der Regierung, um zu zeigen: Wir tun etwas. Die Politiker hätten aber die Aufgabe, den Menschen klarzumachen, dass die Flüchtlinge kein Feindbild sind.

Immer wieder wird aber auch in den Künstlern ein Feindbild gesehen – wer sich politisch engagiert, gilt als "Staatskünstler" und "Kulturschickeria".

Wecker: Man kann mich nicht als Staatskünstler beschimpfen, weil ich bin Anarchist (lacht). In den Shitstorms, die ich ernte, kommt natürlich immer wieder vor: Du mit deinem Haus in der Toskana hast es ja leicht. Ich bin einer der wenigen, die pausenlos ihr Maul aufmachen.

Anhand der Flüchtlingsfrage gehen aber auch alte Verbindungen der sogenannten progressiven Seite auseinander – etwa die mit dem Feminismus. Alice Schwarzer ist ja mit dem Frauenbild der Ankommenden scharf ins Gericht gegangen.

Wecker: Man darf Alice Schwarzer nicht pars pro toto nehmen. Ich kenne so viele Feministinnen, die wütend auf Schwarzer sind, sie ist einen eigenen Weg gegangen. Ich glaube schon, dass der Feminismus nach wie vor in der libertären Gesinnung angesiedelt ist.

Selbst der Dalai Lama hat gesagt, dass man sich zwar um die Flüchtlinge kümmern müsse, es aber zu viele in Europa gebe.

Fenninger: Der entscheidende Punkt ist: Wir müssen uns immer miteinander auseinandersetzen. Wir müssen das Menschenrecht, die Rechte der Frauen jeden Tag erkämpfen. Demokratie muss jeden Tag erkämpft werden. Frauenrechte müssen wir gerade von den Rechtspopulisten einfordern, weil die sich gegen jede Verbesserung in diesem Bereich gewehrt haben. Aber wir müssen natürlich auch mit den Menschen in einen Dialog treten, die aus anderen Ländern kommen, und Frauenrechte einfordern. Es gibt ja auch die, die herkommen, und sagen: Ich bin fasziniert, wie ihr anders miteinander umgeht, dass plötzlich eine Beziehung zu einer Frau ganz anders definiert sein kann.

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