Josef Hader: "Man kann nur weiterleben"

Josef Hader im Interview am 21.12.2015.
Der Kabarettist und Schauspieler über sein Regiedebüt beim Film "Wilde Maus" und eine Welt, die aus den Fugen zu geraten scheint.

KURIER: Sie haben gerade Ihre erste Filmregie geführt. Was bedeutet der Titel "Wilde Maus"?

Josef Hader: Es gibt da eine gleichnamige Achterbahn im Prater. Was der Titel darüber hinaus sonst noch bedeuten könnte, verrat ich lieber nicht. Der darf ruhig ein bissl geheimnisvoll bleiben. Vielleicht ist es ja auch eine Fabel.

Es geht, wie man hört, um einen gekündigten Musikkritiker, der Rache übt.

Die Arbeitslosigkeit ist ein Thema im Film, aber nicht als soziales Problem. Es geht eher um einen Ego-Verlust. Der Film erzählt aber auch die Geschichte einer Beziehung. Außerdem die einer Männerfreundschaft – und die Geschichte einer Feindschaft. Und schlussendlich ist der Film auch eine Satire über das neue Bürgertum. Also über Leute, die als grüne Non-Konformisten begonnen haben und jetzt nicht viel anders geworden sind als ihre Eltern, sich aber immer noch vormachen, sie wären die wilden Hunde von früher. Fallen Ihnen da nicht auf Anhieb ein paar Journalisten ein? Kabarettisten natürlich auch. Und egal, wie der Film wird: Das war auf jeden Fall eine der spannendsten Herausforderungen, die ich je hatte. Ich wollt das unbedingt noch probieren.

Wieso noch?

Bevor ich zu alt werde und der nervlichen Anspannung nicht mehr gewachsen bin. Einen ersten Film sollte man eigentlich mit 20 machen. Die schwindende Lebenszeit motiviert zu Dingen, für die man sonst zu faul wär. Also hab ich ein Drehbuch geschrieben.

Und daher haben Sie das Kabarett vernachlässigt? Das letzte Programm, "Hader muss weg", kam 2004 heraus, das neu konzipierte Best-Of "Hader spielt Hader" 2011.

Das stimmt. Ich habe im vergangenen Jahr so wenig Kabarett gespielt wie zuletzt mit 20. Wenn ich ein neues Programm geschrieben hätte, hätte ich es überall spielen müssen, und ich hätte den Film wieder auf die lange Bank geschoben. Da hab ich mir gesagt, ich mach erst wieder ein neues Programm, wenn der Film fertig ist.

Um noch mehr nervliche Anspannung zu haben, übernahmen Sie auch die Hauptrolle?

Ich hab mich nicht darum gerissen. Aber die Filmfirma hat gemeint, dass die Chancen auf einen zweiten Film größer wären, wenn ich mitspiele. Weil dann gehen unter Umständen mehr Leute ins Kino. Und man tut sich eventuell leichter, wieder einen neuen machen zu können.

Einen zweiten Film? Und das Kabarett ganz aufgeben?

Nein. Ich habe mir gedacht, ich geh ab jetzt mit zwei Schreibbüchern ins Kaffeehaus. Eines für ein Programm, eines für einen Film. Und dann wird sich zeigen, wozu mir mehr einfällt. Nein, das stimmt so nicht. Ich werde das Buch für den neuen Film zu Hause lassen, bis ich weiß, ob der erste Film so geworden ist, dass ich überhaupt die Chance hab, einen zweiten zu machen. Es bleibt mir also gar nichts übrig, als ein Programm zu schreiben.

Der Film kommt erst im Februar 2017 in die Kinos. Denkt man sich da nicht: Derzeit passiert derart viel auf der Welt – und ich kann nicht darauf eingehen.

Filme spielen sich immer vor einem bestimmten zeitlichen Hintergrund ab. Und den haben wir schon getroffen. Denn ich gehe davon aus, dass sich die großen Probleme in den nächsten Jahren nicht ändern werden. Leider, muss man sagen. Sie werden uns noch lang beschäftigen.

Die Flüchtlingskrise wird daher im Film spürbar sein?

Ich glaube, dass ein so gewaltiges Thema entweder ganz im Zentrum eines Filmes stehen muss – oder eigentlich nicht vorkommen darf. Alle diese "Tatort"-Krimis, in denen so nebenbei ein gesellschaftliches Problem angerissen wird, erinnern mich immer an die "Zigeuner" in der Wiener Operette. Die wurden als malerischer Hintergrund verwendet, spielten aber nie eine Hauptrolle. Das wollte ich vermeiden. Das Flüchtlingsthema wird in meinem Film vollkommen folgenlos miterzählt: Die Protagonisten sitzen beim Rotwein vor dem Fernseher, schütteln den Kopf und sagen: "Es ist ein Wahnsinn." Und keiner von ihnen tut etwas. Ich wollte von Menschen wie uns beiden erzählen. Oder sind Sie anderer Meinung? Sie können mir gerne widersprechen!

Nein, der Befund stimmt wohl.

Im Frühjahr hab ich den Schriftsteller Stefan Zweig gespielt – in einem Low-Budget-Film von Maria Schrader mit dem Titel "Vor der Morgenröte". Der Film spielt vor und während des Zweiten Weltkrieges, es geht um die Flucht vor den Nazis. Man glaubt sich aber in die Gegenwart versetzt. Ein Satz, den ich zu sagen hatte, war: "Derzeit möcht’ ein halber Kontinent auf einen anderen flüchten. Wie soll das gehen?"

Ja, wie sollen wir Bürger reagieren? Flüchtlinge willkommen heißen? Durchschleusen?

Ich möchte keine moralischen Ratschläge erteilen. Ich bin ja keine Instanz in dem Sinn.

Als Kabarettist?

Wenn mich jemand als moralische Instanz sehen würde, dann wäre das ein grobes Missverständnis. Der einzige Künstler, den ich bei uns für eine moralische Instanz halte, ist Willi Resetarits. Der hat wirklich viel Arbeit und Lebenszeit in das Integrationshaus gesteckt. Was mach dagegen ich? Ich spiel ein paar Benefizvorstellungen im Jahr, das war’s dann auch schon. Normalerweise sind Kabarettisten keine besonders moralischen Menschen, das kann man bei mir sehr gut beobachten. Ich kann schlecht die Leute dazu auffordern, Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, solange ich das nicht selber mache.

Als Kabarettist üben Sie aber trotzdem Gesellschaftskritik.

Natürlich. Das ist der Sinn von Satire. Wenn ich ein Programm mache, sollte es sich mit dem Zustand der Gesellschaft auseinandersetzen. Und ich mach das halt nicht so, dass ich als Herr Gscheit auf der Bühne stehe. Das können andere besser. Kommentieren ist nicht so mein Bewerb; das Irritieren oder Provozieren schon eher. Peter O’Toole hat irgendwann in den 80er-Jahren in London eine Satire von Jonathan Swift vorgelesen. Ein Teil des Publikums verließ unter Protesten den Saal. Die Zuhörer fühlten sich angegriffen – von einem Text, der fast drei Jahrhunderte davor geschrieben worden war! Damals gab es in Irland eine große Hungersnot. Und Swift gab den Iren den Rat, sie mögen doch ihre eigenen Kinder essen. Er erklärte auch, wie sie am besten zuzubereiten seien. Dass jemand seinen Ekel über einen unmenschlichen Zustand so in einen Text fassen kann, dass dieser Ekel Jahrhunderte später noch die Leute empört, das wär zum Beispiel für mich ein Vorbild. Ein paar Leute sollten eigentlich immer empört den Saal verlassen, dann wär die Kabarettvorstellung wirklich gut.

Es geht also doch darum, wie wir uns verhalten.

Es geht in einer Satire immer darum, wie wir uns verhalten. Aber die Satire gibt keine Ratschläge. Sonst wär’s ja eine Predigt. Wir erleben grad die vielleicht größte Krise der Nachkriegszeit, und niemand weiß, was man genau tun soll. Da sind die Kabarettisten zirka genauso ratlos wie die Installateure. In den letzten Jahrzehnten hat sich ein bisschen das Gefühl breit gemacht, man hätte das Ende der Geschichte erreicht. Speziell nach 1989, nach dem Zerfall des Kommunismus, dachte man: Jetzt haben wir alle Probleme gelöst. Dabei hätten wir ja wissen müssen, dass Geschichte immer weitergeht, dass Geschichte immer von Krisen, Katastrophen und von Kriegen geprägt ist. Derzeit herrscht Krieg in mehreren Ländern, und sie liegen alle in einem Halbkreis rund um Europa. Zudem sind die Menschen mobiler und besser vernetzt. Deswegen ist Europa von diesen Kriegen unmittelbarer betroffen. Wir müssen im eigenen Interesse mithelfen, eine Lösung zu finden.

Die Politik scheint jedoch dazu nicht in der Lage.

Der Einzelne, auch der einzelne Staat, ist nicht in der Lage, sowas zu lösen. Die beliebteste Frage ist derzeit, ob das Boot voll ist. In Österreich oder sonstwo. Aber diese Frage geht am Thema vorbei. Diese Frage müsste gar nicht gestellt werden, wenn es eine funktionierende europäische Asylpolitik gäbe. Wenn ganz Europa Flüchtlinge aufnähme, würden Länder wie Österreich, Deutschland oder Schweden nicht an die Grenzen ihrer Kapazität kommen. Europa muss gemeinsam Verantwortung übernehmen. Und jene Länder, die sich weigern, sollten irgendwelche Folgen zu spüren bekommen.

Sanktionen als probates Mittel?

Wenn ich Politiker wäre, würde ich schon ein bissl mit einer Kernzone drohen, wo sich die zusammentun, die unter Europa mehr verstehen als einen Verein zur gegenseitigen Wirtschaftsförderung. Der Kuschelkurs gegenüber denen, die sich nur die Vorteile herauspicken, bewirkt ja nichts als Lähmung.

Schockstarre nicht auch wegen des Rechtspopulismus?

Das hat ja niemand vorher gewusst, dass Länder wie Ungarn oder Polen, deren Bürger aufgrund der autoritären Regime bis 1989 selber flüchten mussten, dass genau diese Länder nun einen derart nationalistischen Kurs verfolgen. Das ist sehr traurig. Der Rechtspopulismus ist ab jetzt aber kein europäisches Problem mehr. Dass eine Person wie Donald Trump Chancen auf eines der wichtigsten politischen Ämter der Welt hat: Das hat ja etwas von einem Albtraum, aus dem man leider nicht aufwachen kann. In Deutschland fehlt nur mehr ein attraktiver Spitzenkandidat – und schon könnte es auch dort eine rechtspopulistische Partei geben. Wenn wir in Europa immer mehr nationale Regierungen haben, dazu eine sehr nationale in Russland und im schlimmsten Fall bald auch eine in Amerika: Dann sind wir ganz gut in einer Vorkriegszeit angekommen.

Könnte die EU zerfallen?

Das weiß ich nicht. Es ist halt auf einmal denkbar. Das Blöde ist, dass Rechtspopulismus oder Flüchtlingskrise ja nur Symptome dafür sind, dass eine viel tiefere Grundübereinkunft dabei ist zu kippen. Diesem System – dass man von seiner Arbeit leben kann, dass es soziale Stützen gibt, dass die, die mehr verdienen, mehr Steuern zahlen und so weiter – wird immer mehr das Geld entzogen, weil bei uns immer mehr die Arbeit besteuert wurde – und immer weniger Firmengewinne und Gewinne aus Finanzspekulationen. Die Arbeit, die man besteuern könnte, wird aber immer weniger: Statt uns im Café bedienen zu lassen, stellen wir uns an der Theke an, machen die Arbeit des Kellners mit und zahlen genau so viel. Als Dank dafür verschiebt der Unternehmer seine Gewinne dorthin, wo er keine Steuern zahlen muss. Und wenn er dann Multimillionär geworden ist, gründet er eine Stiftung und hilft Not leidenden Menschen. Mir wär lieber, er hätte vorher Steuern bezahlt. Währenddessen haben wir in Europa teilweise 40 Prozent Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen, die für Ideologien jeder Sorte empfänglich werden. Und es erodiert ein Mittelstand, der sich zunehmend für die Botschaften von rechts begeistert. Da kann man ruhig laut sagen: Dankeschön, Neoliberalismus.

Droht die Islamisierung, die Michel Houellebecq in seinem Roman "Unterwerfung" für das Jahr 2020 skizziert?

Er beschreibt sehr gut die Diskrepanz, in der sich unsere Gesellschaft befindet: Wie halte ich die Balance zwischen einer Offenheit gegenüber anderen Kulturen samt der Migration – Europa würde wirtschaftlich zugrunde gehen, wenn wir keine Migration hätten – und der Forderung, dass die, die kommen, auch unsere Grundwerte annehmen. Ich bin persönlich sehr froh, in einem Gesellschaftssystem zu leben, in der mir niemand den Schädel einschlagen kann, weil ich nicht seine Religion habe. Wir sollten das verteidigen.

Der Terrorismus nimmt aber zu.

Das stimmt. Mein Lieblingsfilm in den 80er-Jahren war "Brazil" von Terry Gilliam. Von dieser Zukunftsversion ist viel wahr geworden ist: Schönheitsoperationen, vergiftete Umwelt, Terroranschläge, ein Staat, der die Bürger überwacht oder – aufgrund des Terrorismus – überwachen muss. Man sollte sich diesen Film wieder anschauen! Aber ich habe keine Angst vor dem Terrorismus. Man kann nicht vor etwas Angst haben, das einen ständig bedroht. Ich habe auch nicht Angst, einen Herzinfarkt zu erleiden. Obwohl die Wahrscheinlichkeit für einen Herzinfarkt bei mir wahrscheinlich sehr viel höher ist als für einen Terroranschlag. Man kann nur weiterleben wie bisher. Man hat ja keine Alternative. Zu Konzerten gehen, in Cafés herumsitzen. Das ganz normale, jämmerliche Bobo-Dasein wird plötzlich zum gesellschaftspolitischen Statement. Schon allein das wäre Grund genug, jeden Terrorismus aufs Entschiedenste zu bekämpfen.

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