Jordan: "Es geht um Fleisch und Blut"

Jordan: "Es geht um Fleisch und Blut"
Der international gefeierte Dirigent Philippe Jordan, designierter Chef der Symphoniker, über seine Pläne für Wien.

Sein Büro in der Pariser Opéra Bastille ist das schönste des Theaters: Blick über die ganze Stadt, vom Eiffelturm bis Montmartre. "Mir geht’s hier wirklich gut", sagt er zur Begrüßung. "Und mein Assistent heißt mit Vornamen Tristan – was soll da musikalisch noch passieren?"

Philippe Jordan, der gebürtige Schweizer, hat gut lachen. Soeben wurde er für die Premiere der Oper "Arabella" von Richard Strauss gefeiert. Ab 2014 ist er parallel zu seiner Funktion des Generalmusikdirektors der Pariser Oper, zu der neben der Bastille auch das Palais Garnier gehört, Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Das erste große Interview mit Jordan seit Bekanntgabe dieses Wiener Coups.

KURIER: Sie dirigieren zurzeit "Arabella" mit Renée Fleming. Die neue Pariser Saison eröffnen Sie mit "Capriccio". Das haben Sie an der Staatsoper auch schon dirigiert, ebenso wie den "Rosenkavalier" . Woher kommt diese Affinität zu Strauss?

Philippe Jordan: Die kam ganz früh. Meine erste Liebe war der "Rosenkavalier", da war ich neun oder zehn Jahre alt. Ich habe eine Platte bei meinem Vater entdeckt und war begeistert. Später hatte ich meinen ersten Job im Pariser Chatelet-Theater, als mein Vater ( Armin Jordan, Anm.) "Rosenkavalier" dirigierte: Ich habe als Pianist die ganzen Proben begleitet. Das war wunderbar.

In Wien wurde, als Sie selbst den "Rosenkavalier" dirigierten, heftig über Ihren Zugang diskutiert: nüchtern, rational, wenige Klangeffekte. Kein leichter Start an der Staatsoper...

Ich musste in Wien diesen Strauss-Klang erst entdecken. Aber ich hatte die Möglichkeit, das Orchester in dieser Serie besser kennenzulernen. Bei "Capriccio" war das überhaupt kein Thema mehr. Wir hatten eine tolle Zusammenarbeit. Bei Strauss ist es genauso wie etwa auch bei Mahler: Man braucht die Mischung zwischen Struktur und Emotion.

Wo sehen Sie die grundsätzlichen musikalischen Unterschiede zwischen Wien und Paris?

In Paris geht es sehr oft um Ästhetik, musikalisch und szenisch. Sauberkeit, schöne Töne zu produzieren – darauf legen die Franzosen großen Wert. Ich habe das Gefühl, in Wien geht es nicht immer nur um Exaktheit, sondern mehr um Fleisch und Blut. Das merkt man auch bei den Sängern: Da achtet man nicht nur auf die Stimme, sondern auf die Persönlichkeit. Man will ein richtiges Tier auf der Bühne sehen.

Wie können Sie von den Wiener Symphonikern profitieren und wie die Symphoniker von Ihnen?

Ich habe in Paris ein Orchester, das auf einem technisch unglaublich guten Niveau spielt, die Musiker haben auch Persönlichkeit. Bei den Symphonikern ist die Qualität viel mehr im Klanglichen zu suchen. Bezüglich Präzision kann man mit kontinuierlicher Arbeit schon noch viel machen. Aber dieser Wiener Klang, diese spezifische Identität – das ist in Wien einzigartig.

Die Symphoniker waren lange Zeit ein absolutes Toporchester. Zuletzt gab es immer wieder Kritik. Was sind Ihre Pläne?

Ich will in erster Linie gute Musik machen. Aber natürlich auch ein schärferes Profil für das Orchester schaffen. Da fehlt zurzeit etwas. Das fängt mit dem Repertoire an. Jetzt ist es ein bisschen wie ein Gemischtwarenladen: Man spielt, so viel man spielen kann, und was die Veranstalter wünschen. Aber es sollte klarer sein, wofür die Symphoniker stehen.

Wofür stehen sie?

Natürlich für das große romantische Repertoire, das deutsche und österreichische. Aber man muss sich auch fragen: Woher kommt dieser Klang? Dafür muss sich man sich der Vergangenheit widmen: Mozart, Haydn, vor allem Schubert. Und auch der Zukunft, damit es wieder mehr Zeitgenössisches gibt. Es geht auch darum, einen neuen Pool an Dirigenten zu schaffen.

An wen denken Sie?

Mit Andris Nelsons läuft das wunderbar, er soll unbedingt weitermachen. Ich denke vor allem auch an die Dirigenten meiner Generation, die jung sind, aber nicht mehr zu jung. Etwa Vladimir Jurowski oder Paavo Järvi.

Als Sie bestellt wurden, gab es vor allem Zustimmung, aber einen Einwand: Dass Sie mit dem Orchester keine Oper dirigieren werden. Gerade das bräuchten die Symphoniker ganz dringend.

Ich teile diesen Einwand. Wenn ich könnte, würde ich das natürlich tun. Aber ich habe von Anfang an gesagt: Ich mache diesen Job sehr gerne, aber ich dirigiere so viel Oper in Paris. Wenn ich ein Symphonieorchester übernehme, dann, um wieder mehr Konzerte zu dirigieren und nicht noch mehr Oper. Oper frisst viel Zeit. Und ich bin niemand, der erst in der letzten Probenphase kommt. Aber es gibt Gespräche mit dem Theater an der Wien über ein Opernprojekt. Und auch in Bregenz werde ich vielleicht eine Oper im Haus dirigieren.

Wie viele Wochen werden Sie ab 2014 in Wien sein?

Laut Vertrag gibt es ein Minimum von acht Wochen pro Jahr. Aber ich bin schon im ersten Jahr zehn Wochen da. Und ich hoffe, dass wir ab 2015/’16 auf zwölf Wochen, auf zwölf Programme, kommen. Das ist normal für so eine Funktion.

Die Pariser Opernszene hat den Ruf, sehr schwierig zu sein, weil es so viele Gewerkschaften gibt.

Das ist in Österreich nicht anders. Aber zum Glück gibt es in Wien diese Streikgefahr nicht. Wobei: Ich bin immer gut mit den Gewerkschaften ausgekommen. Und ich wäre selbst der Erste, der, wenn er im Orchester sitzt, sagt, wenn etwas nicht passt.

Zur Person: Neuer Symphoniker-Chef

Karriere Philippe Jordan, 1974 in Zürich geboren, studierte Klavier, Violine und Dirigieren, war Assistent in Aix, Erster Kapellmeister in Ulm, Assistent von Barenboim in Berlin und von 2001 bis 2004 Chefdirigent der Grazer Oper.

Paris Seit 2009 (bis 2018) ist er musikalischer Direktor der Opéra National de Paris. Sein Orchester besteht aus 174 Musikern: zwei Equipen, die nicht dauernd wechseln.

Wien Nach einem Übergangsjahr wird Jordan ab 2014/15 Nachfolger von Fabio Luisi als Chefdirigent der Symphoniker.

Salzburg 2013 ist er mit einer konzertanten Oper auch bei den Festspielen zu hören.

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