Dürfen Künstler stören?

Eine Frage des Mammons: Jürgen Tarrach (Mammon) und Cornelius Obonya (Jedermann) beim Salzburger "Jedermann"
Nach dem Protest gegen Strache beim "Jedermann" wird heftig darüber diskutiert, was Künstler sollen und dürfen.

Theater, schreibt der Intendant der Salzburger Festspiele im Programm zum "Jedermann", hat "anarchische" und "subversive" Kraft. Und dank dieser Kraft kann es über die "Anliegen der Obrigkeit" siegen.

Aber offenbar nicht bei den Salzburger Festspielen.

Denn Sven-Eric Bechtolf hat das Ensemble "ausdrücklich darauf hingewiesen, dergleichen in Zukunft zu unterlassen". Mit "dergleichen" ist jener subversive und anarchische Protest gemeint, den Musiker der "Jedermann"-Aufführung improvisiert haben. Sie haben wegen der Anwesenheit von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ein paar Takte der Arbeiterhymne "Internationale" gespielt.

Und damit eine Debatte ausgelöst, wie weit sich Künstler bei Vorstellungen subventionierter Institutionen politisch äußern dürfen.

Störung

Die Meinung des Salzburger Festspieldirektoriums: "Private oder politische Meinungskundgebungen der Künstler haben in keiner der Vorstellungen die Billigung der Festspielleitung", hielt Bechtolf fest. Er entschuldigte sich für die "Störung" der Aufführung. Auch "Jedermann"-Darsteller Cornelius Obonya distanzierte sich von der Aktion der Musiker. Er lehne die Ansichten der FPÖ und ihres Chefs zwar ab; aber Politiker müssten eine Aufführung "ohne jedwede politische Meinungsäußerung von der Bühne herunter" besuchen können.

Die Diskussion wird nun heftig geführt –mit einem bekannten Argument: Wer vom Staat Geld bekommt, sollte diesen nicht kritisieren.

Aber eigentlich ist Künstlerprotest an sich das Wertvollste, das sich das Land um sein Geld kaufen kann. Die Kulturmillionen für reine Unterhaltung – sei sie auch auf dem allerhöchsten Niveau – auszugeben, hätte den Nutzen, dass die Besucher einer Vorstellung selbige ungestört genießen. Das ist viel wert. Mehr wert für das ganze Land ist es aber, wenn aus dem Theater, aus der Oper, aus der Kunst, aus dem Fernsehen heraus Fragen gestellt werden, um die es sich zu streiten lohnt, wenn widersprochen und gelernt wird.

Auch für diese Störung bezahlt man Künstler.

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Kunstskandale in Österreich und ihre lange Tradition

Mit dem Anstimmen der "Internationalen" haben am Dienstag bei der Aufführung des "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen die Musiker gegen die Politik einer Partei protestiert, dessen Obmann sie an diesem Nachmittag im Publikum entdeckten: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der sich am Dienstag mit dem Wiener Parteichef Johann Gudenus auf dem Domplatz einfand.

Der Schauspieler Cornelius Obonya bezeichnete die Kundgebung via Facebook als "extrem unglücklich gewählt". Die Salzburger Festspiele seien nicht der Ort, um politische Ansichten zum Ausdruck zu bringen. "Würden wir unter einer Diktatur leben, und das Theater wäre der letzte Rückzugsort freier Meinungsäußerung, würde ich einer solchen Aktion zustimmen. Wir leben aber, Gott sei Dank, in einer Demokratie." Er fügte aber hinzu, dass "die Ansichten der FPÖ und ihrer Chefs durchaus das sind, was ich für unsere Demokratie für ungesund erachte und die ich persönlich ablehne".

Direktorium distanziert sich

Die Festspiele distanzierten sich ebenfalls "ausdrücklich" von den Vorgängen auf dem Domplatz: "Private oder politische Meinungskundgebungen der Künstler haben in keiner der Vorstellungen der Salzburger Festspiele die Billigung der Festspielleitung und wir haben das Ensemble ausdrücklich darauf hingewiesen, dergleichen in Zukunft zu unterlassen. Wir entschuldigen uns in aller Form für diese Störung der Inszenierung bei allen Zuschauern", verkündete Sven-Eric Bechtolf, Künstlerischer Leiter der Salzburger Festspiele, in einer Aussendung.

Dürfen Künstler stören?

Spontane Aktion

"Das war eine ungeplante, spontane Aktion, wir stehen dazu", erläuterte der Schlagzeuger und Perkussionist Robert Kainar, der die "Jedermann"-Formation "ensemble013" leitet, am Donnerstag in den Salzburger Nachrichten. Beim Einzug der Tischgesellschaft folge nach der Auftrittsmusik eine kurze Sequenz, die Raum für Improvisationen lasse. Um ein Statement abzugeben, hätten die Musiker die "Internationale" zitiert. Er gebe durch seine Musik immer politische Statements ab. Er vermisse im österreichischen Kulturgeschehen, dass namhafte Künstler mit großer Popularität Stellung zu politischen Themen bezögen.

"Blau-braune Führungsriege"

Dies tat allerdings die Schauspielerin Katharina Stemberger, die beim "Jedermann" als Schuldknechts Weib selbst auf der Bühne stand: "Beim ,Jedermann' müssen wir die blau-braune Führungsriege entdecken. Die Stimmung sinkt. Was machen unsere hinreißenden Musiker: Sie stimmen in der zentralen Tischgesellschaft-Szene die ,Internationale' an! Ich liebe diese Truppe!!!", postete sie auf Facebook.

Strache postete seinen Besuch auf Facebook, wo auf seinem Profil mehrere begeisterte Selfies zu sehen waren. Die beiden Politiker haben den Medienberichten zufolge aber nicht bemerkt, dass die "Internationale" angestimmt worden ist. Gudenus sprach außerdem von künstlerischer Freiheit.

Es ist eine schöne Tradition, dass einen die Sommerhits zur heißen Zeit nicht mit unnötiger Gedankenschwere belästigen. Das geht ungefähr so: Man möge mich aufwecken (Avicii, „Wake Me Up“). Man hat ein Mädchen geküsst (Katy Perry, „I Kissed A Girl“). Man mag Ketchup (Las Ketchup, „Ketchup Song“).

Das heurige Jahr ist anders, und das sagt viel darüber aus,wo dieses Land steht und wie es uns geht. Denn zwei der Musikstücke, mit denen man diesen Sommer (auch) verbinden wird, haben eine bittere Note, vielleicht sind sie sogar der Soundtrack zu einer gesellschaftlichen Verwerfung.

Einerseits – 60 Sekunden Schweigen aus Solidarität für Flüchtlinge. Die „Schweigeminute (Traiskirchen)“ des Wiener Künstlers Raoul Haspel steht an der Spitze der iTunes-Downloadcharts. Das ist wegen der geringen Zahl der Downloads, die für den Spitzenplatz nötig sind, nicht gerade der wichtigste politische Pulsmesser. Dennoch: Plötzlich bekommt Protest in Songform Aufmerksamkeit. Auch in Salzburg, wo ein paar Takte einer historischen Arbeiterhymne (siehe oben) für eine Debatte sorgen. Beide „Hits“ zeigen dorthin, wo sich unser Land gerade ändert, auf das Erstarken der FPÖ und die Frage, ob Österreich so mit Menschen umgehen will, wie es in Traiskirchen der Fall ist.

Wir wünschen uns, bitte sehr, unbeschwerte, gerne auch ein bisschen blöde Sommerhits zurück.

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