Graz: Mittelfinger für die Machthaber

Graz: Mittelfinger für die Machthaber
Stilles Aufbegehren und lautstarke Kritik: Foto- und Videoarbeiten des chinesischen Dissidenten Ai Weiwei in der facettenreichen Schau "Interlacing" im Kunsthaus.

Manchmal muss, ja darf man nicht subtil sein. Manchmal braucht man einen gestreckten Mittelfinger.

Diese Urgeste des Aufmuckens, aber auch des Machtlosen streckt der chinesische Künstler Ai Weiwei einem Ort entgegen, der wie kaum ein anderer für die Repression in seinem Land steht: Der Platz des Himmlischen Friedens war 1989 Schauplatz eines brutal niedergeschlagenen Aufbegehrens gegen die kommunistischen Machthaber. Ai setzt die Provokation mit anderen Mitteln fort, stiller und ebenso unmittelbar wirkungslos. Zu sehen auf einem von vielen Fotos in der Schau "Interlacing", die zeigen, wie beharrlich der Kunststar gegen die Unterdrücker in China anrennt.

Es ist die erste umfassende Foto- und Videoschau des Künstlers, der u. a. bei der "documenta" für Aufsehen sorgte; auch mit seinen Porzellan-Sonnenblumenkernen in der Tate Modern oder mit seiner fragwürdigen Kooperation beim Parade-Machtsymbol, dem Pekinger Olympiastadion.

Zerstörung

Graz: Mittelfinger für die Machthaber

Aus den Fotos, einer Auswahl aus rund 200.000 Schnappschüssen, Inszenierungen, Handybildern, formt sich die Figur des kritischen Künstlers. Ai solidarisiert sich mit Erdbebenopfern, deren Tod durch Korruption und daraus resultierenden Baumängeln mitverursacht wurde.

Und Ai, 1957 als Sohn eines regimekritischen Literaten geboren und mittlerweile selbst der wohl bekannteste Künstler Chinas, zeigt die Zerstörung des Kulturerbes des Landes. Fotos dokumentieren die "provisorischen Landschaften", die die heiß laufende Modernisierungsmaschine in Peking erzeugt: Abbruchkommandos hinterlassen Brachen, rasch gefüllt von der weltweit gleich aussehenden Investorenarchitektur. Auf einer anderen bekannten Bilderserie lässt der Künstler eine Urne aus der Han-Dynastie fallen.

Doch es geht nicht so sehr um den Fotografen, sondern um den kommunizierenden Künstler. Fotos aus seinem mittlerweile verbotenen Blog sind zu sehen, dessen Texte die Zensoren derart erzürnt haben, dass Ai im Februar verhaftet wurde.

Dass er sich seit seiner Freilassung kaum noch online zu Wort meldet, macht die umfangreiche, vom Fotomuseum Winterthur übernommene Schau umso aussagekräftiger. Sie zeigt: Kommunikation, neue Medien sind grundlegende, wesensbestimmende Teile des künstlerischen Prozesses Ais. Sie sind Realitätsbestimmung, Dokumentation, Analyse. Und legen viel Wert und Sorgfalt darauf, die Systemkritik mit ästhetischer Kraft zu untermauern.
Wenn auch Ais Verhaftung beklemmend deutlich zeigte, dass selbst ein weltweit renommierter Künstler nicht unantastbar ist: Die Sprengkraft seiner Fotos hallt lange nach, weit mehr, als gestreckte Mittelfinger das sonst können.

INFO:
Ai Weiwei - Interlacing
noch bis 15. 1. 2012 im Kunsthaus Graz

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